Der Ort war gut gewählt, und alle Teilnehmenden bekamen eine Tageskarte spendiert: Freifahrer und die Gemeinderatsfraktion SÖS-Linke-Plus haben vergangene Woche zum gemeinsamen Pressegespräch in die Stadtbahn geladen. Hier, in einem der knallig gelben Wagen der U 14 Richtung Mühlhausen, skizziert die zu Jahresbeginn gegründete Initiative Freifahren Stuttgart zusammen mit dem linken Stadtrat Tom Adler die gemeinsame Vision vom Nahverkehr zum Nulltarif. Sie haben eine verblüffende Botschaft im Gepäck: Mit einer gebührenfreien Beförderung in Bussen und Bahnen würden Gemeinden nicht nur Lebensqualität dazugewinnen, sondern langfristig sogar Geld sparen.
Angesichts der gut 200 Millionen Euro, welche die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) jedes Jahr an Ticketerlösen einnimmt, scheint diese These zunächst gewagt. Schließlich wird gerade beim fahrscheinfreien Fahren immer wieder der angeblich immense Kostenfaktor angeführt. Klar ist für die Stuttgarter Kommunalpolitik jedenfalls: Würden die Einnahmen durch Fahrkartenverkäufe für das städtische Verkehrsunternehmen mit gut 3000 MitarbeiterInnen entfallen, müsste der Verlust durch öffentliche Gelder kompensiert werden. Schon heute arbeitet die SSB nur zu knapp 60 Prozent kostendeckend. Der ÖPNV funktioniert, wenn er für seine NutzerInnen bezahlbar bleiben soll, nur als Zuschussgeschäft.
Das will von den Freifahrern niemand in Abrede stellen. "Aber der Autoverkehr", sagt Andrea Schmidt, Sprecherin der Initiative, "kostet den Staat ein Vielfaches." Neben den Kosten für Straßenbau, -unterhalt und -sanierungen müssten dabei auch die Ausgaben für Gesundheits- und Umweltschäden berücksichtigt werden, die Verbrennungsmotoren durch Schadstoffausstoß und Lärmbelästigung verursachen. Ebenso in die Rechnung gehörten die jährlich 3200 Unfalltoten und 390 000 Verletzten, die der Individualverkehr allein in der Bundesrepublik fordert.
Autoverkehr ist drei Mal so teuer
Die Verkehrsplaner der Universität Kassel haben sich diese Gesamtkosten genauer angeguckt. Ihre noch unveröffentlichte Studie, deren Teilergebnisse der Redaktion vorliegen, kommt zu einem verblüffenden Befund: "Der PKW-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die öffentliche Hand und die Allgemeinheit etwa das Dreifache wie der ÖPNV." Beide Verkehrsmittel erfordern Investitionen in die Infrastruktur und deren Unterhalt. Doch im Gegensatz zu den Erlösen durch Fahrscheinverkäufe im ÖPNV, heißt es in der Untersuchung, erzielen Gemeinden und Städte bislang keine unmittelbaren Einnahmen durch die PKW-Benutzung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.
Meinhard Zistel, beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zuständig für die Finanzierung des Öffentlichen Nahverkehrs, kommentiert diese Ergebnisse: "Der ÖPNV wird bisher vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen. Jetzt sehen wir, dass andere Verkehrsträger für die Kommunen viel mehr Kosten verursachen." Und Verkehrswissenschaftler Carsten Sommer, federführend für die Durchführung der Untersuchung, winkt in einer Pressemitteilung mit dem Zaunpfahl: "Wir geben den Entscheidern in der Politik das Instrument an die Hand, sich faktenbasiert zu entscheiden." Es muss sich etwas bewegen.
9 Kommentare verfügbar
Kornelia E.
am 13.04.2018Nochmal: ab 74 Ölkrise war klar: es braucht Ressourcen schonende Ideen, um den Urenkeln eine Zukunft zu ermöglichen!
Doch Politik entpolitisierte sich und entschied oft das Gegenteil von dem, was…