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Der schwarze Motor-Block

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Wenn die TV-Satire im Sommer Sendepause hat, gilt das noch lange nicht für die Realität. Die produziert derzeit mit Kartellabsprachen und Abgasskandal die schönsten Anlässe. Damit sich die politischen Verhältnisse nicht so alleingelassen fühlen, hat der Autor der Satiresendung "Die Anstalt" ein Realkabarett für die 378. Montagsdemo verfasst.

Nach den Ausschreitungen von Hamburg waren sich Politiker aller Parteien Grün bis Christlich einig: Die Straße ist kein rechtsfreier Raum. Gegen Autonome muss mit aller Härte vorgegangen werden. Ihre Straftaten dürfen nicht verharmlost werden, sonst messen wir mit zweierlei Ma(as)ß – Heiko und alle anderen: Das sind sehr gute Stichworte, die wir gern aufnehmen.

Wir hätten da lediglich ein paar Fragen: Wenn wir gegen straffällige Autonome konsequent vorgehen können, warum lassen wir dann all die straffälligen Autonamen gewähren?

Wenn wir mit aller Härte einschreiten gegen gewalttätige Ausschreitungen auf der Straße, warum sehen wir dann illegalen Ausscheidungen auf unseren Straßen tatenlos zu?

Sie sagen, man sollte nicht mit dem gefährlichen großen schwarzen Block auf die Straße gehen, man weiß schließlich, wie das ausgeht. Vielleicht sollten wir dann auch aufhören, jeden Tag mit gefährlichen großen schwarzen Motorblöcke auf die Straße zu fahren, wir wissen ja schließlich, was da hinten rauskommt.

Sie erlassen Demonstrationsverbote für ganze Innenstädte, wenn die Sicherheit von Politikern gefährdet ist. Aber obwohl die Gesundheit der Bürger nachweislich gefährdet ist, gibt es bis heute kein Fahrverbot für Diesel. Die Straße darf kein rechtsfreier Raum sein? Tatsächlich ist sie das in Deutschland jeden Tag, denn hier darf jeder nach Belieben gegen Umweltrecht verstoßen.

Sie pochen auf das Vermummungsverbot bei Auto-Anzündern, aber sie lassen es zu, dass Autohersteller massenhaft gegen das Verdummungsverbot verstoßen: Die Rechtfertigungen der Autonomen mit und ohne Räder sind gleichermaßen hanebüchen. Wir halten uns ja an die Regeln – gut, nicht überall, aber im eigenen Viertel, sagt ein Sprecher der Roten Flora.

Steinewerfen nur bei unter 18 Grad Celsius erlaubt

Wir halten uns ja an die Regeln – gut, nicht auf der Straße, aber im Labor, sagen die Sprecher von Daimler und Co. Was können wir dafür, dass die Leute partout an der Straße wohnen wollen und nicht im Labor?

Schuld sind immer die anderen, wenn die Autonomen das Recht brechen. Ich bin nicht verantwortlich – mein Auto ist nicht zu dreckig, der Grenzwert ist zu niedrig. Ich stoße nur bei extremen Temperaturen giftige Abgase aus – also unter 18 Grad. Haben Sie schon mal einen Polizeichef gesehen, der Steinwerfer gewähren lässt, sobald die Temperatur unter 18 Grad sinkt?

Das ist keine Gewalt – das ist Selbstschutz, sagen die Autonomen in Hamburg. Das sind keine Betrügereien, das ist Motorschutz – sagen die Autonomen in Stuttgart. Und die Gesundheit des Motors ist natürlich wichtiger als die Gesundheit der Bürger.

Und jetzt heißt es: Im Kampf gegen die Globalisierung dürfen Linke und Grüne nicht gemeinsame Sache machen mit Straftätern. Warum dürfen aber Regierungsparteien im Kampf für Weltmarktanteile Autofirmen beim Abgasbetrug unterstützen?

Genauso schlimm wie die Chaoten, so haben wir gelernt, sind die, die ihr Tun verharmlosen und sich nicht klar von ihnen distanzieren.

Gut, reden wir von der politischen Sympathisantenszene, die die Auto-Betrügereien stillschweigend akzeptiert: Warum sollte man die Villa Reitzenstein und das Kanzleramt anders behandeln als die Rote Flora? Hier werden die Rechtsverstöße geplant, behauptet die Polizei. Und was macht man im Verkehrsministerium?

Nicht nur sauber sondern rein mit einem Softwareupdate

So sieht die ganze Härte des Gesetzes aus, wenn es um Autos geht: Wer doppelt soviel Stickoxid ausstößt wie erlaubt, ist unauffällig, wer mehr als 300 Prozent darüber liegt – mit dem suchen wir das Gespräch, und die ganz schlimmen Stinker? Die kriegen ein Software-Update, dann sind sie sauber – also juristisch.

Eine Kabarettsendung hat mal gefragt: Wird hier Kriminalität bekämpft oder organisiert? Und: Tritt die Staatsgewalt jetzt überall so sensibel auf?

Durchsage der Polizei: Werfen Sie nur eine Flasche, wird Euch nichts passieren. Bei drei Flaschen müssen wir reden – und ab acht gehen wir gemeinsam zur Verkehrserziehung.

Es heißt: Hunderte verletzte Polizisten und Demonstranten in Hamburg verlangen eine klare politische Reaktion. Und Tausende Tote pro Jahr durch Stickoxid in der EU? Was erfordern die? Kein Eingreifen der Staatsgewalt. Nun: Außer Moos nix los.

Auch nicht bei der grüngeführten Regierung in Baden-Württemberg. Denn schließlich leben hier ja immer noch viel mehr vom Diesel als durch ihn sterben.

Da helfen keine Verbote, sagt Kretschmann. Äh – doch. Nur die Grünen, die helfen nicht mehr. Diesel Ministerpräsident, Verzeihung, dieser Ministerpräsident sagt stattdessen wörtlich: "Ich hab' mir'n Diesel gekauft, weil ich es für richtig halte. Ich wohne auf dem Land, meine Frau muss weit zum Enkel fahren, ich habe auch einen Anhänger. Neulich habe ich für meinen Enkel eine Tonne Sand geholt: Da brauche ich einfach ein gescheit's Auto."

Wer so einen Ministerpräsidenten hat, braucht keine Autolobby mehr. Womöglich braucht er den Sand, um ihn den Bürgern in die Augen zu streuen.

 

Dietrich Krauß, 1965 in Gerabronn geboren, ist Doktor der politischen Philosophie, derzeit freigestellter SWR-Redakteur und arbeitet für "Die Anstalt" sowie die "Heute Show" im ZDF. Das Trio Krauß, Max Uthoff und Claus von Wagner hat unter anderem den Grimme-Preis und zuletzt den Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erhalten.


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15 Kommentare verfügbar

  • Heinz Greiner
    am 31.07.2017
    Antworten
    Aus technischer Sicht ist Herrn Stockers Ausführungen nichts hinzuzufügen .
    Eventuell die von den Medien weitgehend ausgesparte Politik :
    Wäre der Dieselgau , der sich zum Benzindirekteinspritzergau weiterentwicklen wird , vermieden worden , hätte die Politik und vor allem die Justiz Gesetze im…
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