Ganz anders am zentralen Tatort der Affäre in Wolfsburg. Seit September 2015 wühlt die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig im Abgassumpf. Allein zehn Staatsanwälte "kümmern" sich ausschließlich um VW. Und die fuhren ganz andere Geschütze auf. Schon mehrfach statteten die Ermittler der Konzernzentrale Besuche ab. Auch in Privatwohnungen suchten sie nach Beweisen. Unangemeldet versteht sich, bevor die Betroffenen wussten, dass sie als Beschuldigte geführt werden. "Eine Durchsuchung lebt schließlich vom Überraschungsmoment", sagt der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe.
Er hat handfeste Ergebnisse vorzuweisen. "Derzeit führen wir vier Hauptermittlungsverfahren mit insgesamt 31 Beschuldigten", sagt Ziehe. Der größte Verdächtigtenkreis erreicht Abteilungsstärke: 21 VW-Angestellte führt die Staatsanwaltschaft aufgrund der Softwaremanipulationen wegen Betrugs und unlauterem Wettbewerbs als Beschuldigte. Geschädigte sind Autobesitzer und VW-Händler, weil die betroffenen Fahrzeuge an Wert einbüßten. Im zweiten Verfahren mit sechs Beschuldigten geht es um Steuerhinterziehung. Die Software gaukelte auf dem Prüfstand einen niedrigeren Treibstoffverbrauch als tatsächlich vor – und damit auch niedrigere CO2-Emissionen, an denen sich die KfZ-Steuer bemisst. Laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) entgingen dem Staat in 2015 so rund 1,8 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Im dritten Verfahren verdächtigt die Staatsanwaltschaft einen VW-Mitarbeiter, beweiskräftige Daten vernichtet zu haben. Der Tatvorwurf: Urkundenfälschung.
In Braunschweig wird richtig hart ermittelt
Eine Strafanzeige der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) brachte im Juni das vierte Verfahren ins Rollen, in dem prominente Namen auftauchen: Dem zurückgetretenen Vorstandschef Martin Winterkorn, Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie Markenchef Herbert Diess wird Marktmanipulation vorgeworfen. Sie sollen ihrer Mitteilungspflicht nicht so nachgekommen sein, wie es das Wertpapiergesetz verlangt. Nach Bekanntwerden des Skandals hatte die VW-Aktie massiv an Wert verloren. Mittlerweile klagen Aktionäre und Investoren vor den Landgerichten Braunschweig und Stuttgart auf Schadenersatz in Milliardenhöhe.
Sollte es zu Anklagen kommen, drohen den Beschuldigten mehrjährige Haftstrafen. Zudem untersuchen die Braunschweiger Staatsanwälte, ob weitere Pflicht- und Aufsichtsverletzungen begangen wurden. Diese stellen Ordnungswidrigkeiten dar, die Bußgelder in Millionenhöhe nach sich ziehen können.
Glaubt man sowohl VW als auch Bosch, wollen beide Konzerne ihren Teil zur Aufklärung des Abgas-Skandals beitragen. Als vor wenigen Tagen publik wurde, dass auch VW-Aufsichtsratschef Pötsch zum Kreis der Verdächtigen zählt, versicherte der Wolfsburger Konzern via Pressemitteilung, dass "das Unternehmen und Hans Dieter Pötsch die Staatsanwaltschaft bei ihren Untersuchungen nach wie vor in vollem Umfang unterstützen" werden. Auf das Versprechen, eng zu kooperieren, verlassen sich die Braunschweiger Ermittler jedoch nicht. "Natürlich haben wir Kontakte zur VW-Rechtsabteilung", sagt Oberstaatsanwalt Ziehe. Doch daraus erwachse keine Zusammenarbeit Hand in Hand. Weil beide Seiten eben höchst unterschiedliche Interessen hätten. "Wir versuchen, Straftaten aufzuklären, und zwar unabhängig von wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen Dritter", verdeutlicht Ziehe, dass man entsprechenden Abstand zu VW halte.
Kretschmann hat volles Vertrauen in den Konzern
In Stuttgart scheinen sich Ermittler und Bosch viel näher. Auch die Politik ging bislang nicht auf Distanz. Bei der Aufklärung der Vorwürfe und bei künftigen Vorsorgemaßnahmen habe er "volles Vertrauen" in den Konzern, sagte Winfried Kretschmann im September, nachdem er sich mit Konzernchef Denner getroffen hatte. Ob die Vorwürfe berechtigt seien, könne er nicht sagen, erklärte der grüne Ministerpräsident. Und ergänzte, dass die Dieseltechnologie sehr wichtig für Baden-Württemberg sei, weil rund 50 000 Arbeitsplätze im Land daran hingen. "Da geht es schon um sehr viel." Gegenüber Kontext betonte der Stuttgarter Konzern nochmals, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Mehr wolle man dazu nicht sagen.
Info:
Im vergangenen Jahr erreichte der Umsatz der Bosch-Gruppe mit 70,6 Milliarden Euro einen historischen Höchstwert. Der operative Gewinn (Ebit) lag bei 4,5 Milliarden Euro. Mit 41,7 Milliarden Euro oder 60 Prozent steuerte der Bereich Mobility Solutions mit Abstand am meisten zum Umsatz bei. Weltweit beschäftigte die Bosch-Gruppe Ende 2015 rund 375 000 Mitarbeiter. Binnen Jahresfrist wuchs die Belegschaft um 17 600 Mitarbeiter. Für rechtliche Risiken hat das Stiftungsunternehmen in 2015 Rückstellungen über 650 Millionen Euro gebildet. Das Risikopolster betrifft alle derzeitigen Verfahren gegen Bosch, betont Konzernsprecher René Ziegler.
4 Kommentare verfügbar
Horst Ruch
am 20.11.2016Genau das Gegenteil ist der Fall. Schäuble&Co haben durch das fein abgestimmte Wegducken des…