Doch nachdem verschiedene Gerichte bereits bestehende Lufreinhaltungspläne als unzureichend auseinandergenommen haben, ist nicht ersichtlich, woher nun plötzlich die Kehrtwende in Lichtgeschwindigkeit kommen soll. Nennenswert neue Konzepte, die große Wirksamkeit versprächen, wurden jedenfalls keine vorgelegt. Alte Autos will die Industrie auch nicht nachrüsten – zu teuer. Stattdessen bietet sie geringfügig vergünstigte Neuwagen an. Zudem fließt eine halbe Milliarde der Gipfel-Gelder – also doppelt so viel wie die Konzerne beisteuern – in die Branche zurück, um E-Busse und -Taxen anzuschaffen.
Statt einer Strafe bekommt die Branche ein Konjunkturprogramm. Bezeichnend bleibt, dass trotz des beispiellosen Betrugs nicht einmal der anscheinend blasphemische Gedanke geäußert wird, bei der Gesetzeslage nachzubessern, um damit die angeblich nicht vorhandene rechtliche Handhabe zu schaffen. Bei den beiden Dieselgipfeln geben Politik und Autoindustrie "ein jämmerliches Bild ab" (<link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft politik-und-dieselkrise-vom-ernst-der-lage-1.3602489 external-link-new-window>Süddeutsche), es sich handelt sich um "eine peinliche Inszenierung" (<link http: www.zeit.de wirtschaft dieselgipfel-vw-software-bundesregierung-autokonzerne external-link-new-window>Zeit Online), um "Staatsversagen" (<link http: www.spiegel.de wirtschaft soziales dieselgipfel-staatsversagen-kommentar-a-1180751.html external-link-new-window>Spiegel Online). Letztlich kann dieser willfährige Kniefall vor der Branche nur als Ermunterung interpretiert werden, genau so weiterzumachen, wie bisher. Nach einer Befragung der (SPD-nahen) Friedrich-Ebert Stiftung stimmten 2014 fast Dreiviertel der Wahlberechtigten der Aussage zu: "Letztendlich entscheidet die Wirtschaft in unserem Land und nicht die Politik." Eine Demokratie entmündigt sich.
Auch in der baden-württembergischen Landeshauptstadt mit einer bundesweit einmaligen Konstellation – grüner Oberbürgermeister, grüner Regierungspräsident, grüner Ministerpräsident –, gelingt es nicht, die seit Jahren überschrittenen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Den Dieselgipfel in der vergangenen Woche besuchte Winfried Kretschmann gar nicht erst, weil "ohnehin keine weitreichenden Entscheidungen zu erwarten seien", wie sein Regierungssprecher gegenüber "Spiegel Online" erklärte. Und obwohl das Stuttgarter Verwaltungsgericht auf <link http: www.vgstuttgart.de pb site jum2 get documents jum1 jum external-link-new-window>102 Seiten bestechend plausibel begründet, warum die Gesundheit der Gesamtbevölkerung ein höheres Gut darstellt als die freie Fahrt für freie Bürger, und warum deswegen auch Fahrverbote ein legitimes Mittel sind, wenn andere Maßnahmen schlichtweg nicht greifen, gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte einzuhalten, klagt das Land gegen das Urteil – und verzögert damit eine Maßnahme, die sich nicht verhindern lassen wird.
Bayerische Regierung erkennt in Gerichtsurteilen keine Rechtsgrundlage
Vielleicht hat man sich diese Verschleppungstaktik aus München abgeschaut. Dort ordnete das ansässige Verwaltungsgericht bereits 2012 Fahrverbote an, was die bayerische Landesregierung jedoch gepflegt ignorierte. Auch nachdem der Verwaltungsgerichtshof – die höchste juristische Instanz im Freistaat – das Urteil im Februar 2017 bestätige, geschah erst einmal gar nichts. Ein richterlich angeordnetes Gutachten, das vollumfänglich aufzeigen sollte, welche Straßenabschnitte im Stadtgebiet wie stark belastet sind, wurde von der Landesregierung zunächst unter Verschluss gehalten. Überraschung: Nachdem das Gericht ein Zwangsgeld verhängt hatte und das Verzeichnis doch öffentlich geworden war, war klar: Die Luft in München ist noch dreckiger als gedacht.
Für das Umweltministerium ist das jedoch immer noch kein Grund, sich dem höchsten bayerischen Gericht zu beugen, und es weigert sich trotz Anordnung, ein Konzept zu Fahrverboten in der Landeshauptstadt vorzulegen. Denn, wie ein Sprecher <link http: www.sueddeutsche.de muenchen luftqualitaet-diesel-fahrverbote-deutsche-umwelthilfe-will-handeln-erzwingen-1.3768156 external-link-new-window>gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" erklärt, habe man sich "intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt" und sei – kein Witz! – "zu dem Schluss gekommen, dass Fahrverbote für eine Großstadt unverhältnismäßig" seien und es "dafür auch keine Rechtsgrundlage" gebe. Wegen der Missachtung von Gerichtsurteilen hat die Deutsche Umwelthilfe aktuell <link https: www.heise.de tp news diesel-fahrverbote-umweltschuetzer-beantragen-erzwingungshaft-3902835.html external-link-new-window>einen Antrag auf die Verhängung eines Zwangsgelds oder auch Erzwingungshaft für die Verantwortlichen gestellt.
16 Kommentare verfügbar
M. Stocker
am 11.12.2017Das muss man sich mal geben: wie von Minh Schredle schon richtig beschrieben, laufen die Abgas-Betrüger frei…