Dadurch fielen, wie der "Spiegel" aktuell für zahlende Kunden berichtet, "viele Freiberufler und Soloselbstständige durchs Raster", während größere Konzerne durch Geldspritzen vor der Pleite bewahrt würden: "Zwei Millionen Kleinstunternehmer kämpfen um ihre Existenz." Die eingangs erwähnte Betrugsmasche nutzt punktgenau die Verwirrung um die schwierig zu durchschauende Rechtslage aus, um notleidende Menschen in eine Falle tappen zu lassen.
Solche findigen Gauner sind allerdings nur die kleinen Fische beim großen Absahnen im Gefolge der billionenschweren Krisenpakete, die in den Zentren des Weltsystems in Windeseile geschnürt wurden, um den drohenden Wirtschafkollaps buchstäblich um jeden Preis zu verhindern. Wenn man sich in der richtigen gesellschaftlichen Position befindet, scheint es nun so, als ob ein warmer Geldregen vom Himmel niederginge – allerdings nur für alle, die ihn sich auch leisten können.
Noch profitabler: Grauzonen ausnutzen
Eine Nummer größer als bloße Betrüger sind die in der rechtlichen Grauzone operierenden Geschäftemacher, die Lücken in der Gesetzgebung ausnutzen, um deutlich größere Beute zu machen. Kurz nach Verabschiedung der ersten Corona-Maßnahmen wollte beispielsweise alle Welt Unternehmensberater werden. Das Bundeswirtschaftsministerium meldete Ende April, dass binnen kürzester Zeit mehr als 8.500 Anträge auf offizielle Akkreditierung als Wirtschaftsberater vorlagen. Bei einem großen Teil all dieser Antragssteller, die sich nun urplötzlich in die abenteuerliche Welt der Unternehmensberatung stürzten, dürfte es sich schlicht um Trittbrettfahrer handeln, die auf die Schnelle Kasse machen wollen.
Am Anfang dieser Beraterschwemme stand die behördliche Sorge um das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft in der Krise. Wer könnte, so der Gedankengang, Unternehmen besser darüber beraten, wie man schwere Zeiten übersteht, als Unternehmensberater? Folglich legte das Wirtschaftsministerium ein Programm auf, in dessen Rahmen Unternehmen Hilfsgelder von bis zu 4.000 Euro beantragen konnten, um damit die Dienstleistungen von Unternehmensberatungen in Anspruch nehmen zu können. Dies sollte keine große Sache werden; es war nur eine Maßnahme unter vielen Projekten in den gigantischen Krisenpaketen der Bundesregierung. Eigentlich waren für die subventionierte Unternehmensberatung nur rund 15 Millionen Euro vorgesehen. Weil diese Summe binnen weniger Tage überschritten wurde, zog das Ministerium bereits am 16. April die Notbremse und stoppte das Programm intern – kommunizierte das öffentlich aber erst sechs Wochen später, am 26. Mai. Bis dahin sind 33.385 Anträge auf Förderung eingelaufen, die laut Schätzungen Kosten im dreistelligen Millionenbereich verursachen.
Unklar ist nun, wer dafür aufkommt. Das Wirtschaftsministerium will keineswegs selbst für die Mehrkosten des stümperhaft aufgelegten Programms geradestehen. Im Zweifelsfall bleiben nun Unternehmen auf den Kosten sitzen, die davon ausgingen, dass ihnen geholfen wird. Sicher ist nur, dass Berater, die beraten haben, ihr Geld behalten dürfen. So hat das sogenannte "Programm zur Förderung unternehmerischen Know Hows" für die Branche zu einem stürmischen Konjunkturaufschwung in der Beraterbranche geführt. Folglich wetteiferten Wirtschaftsberater darum, möglichst viele Kunden dazu zu bringen, einen Antrag auf Förderung zu stellen.
Dabei seien nun aber, wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet, "viele unseriöse Anbieter" auf dem Markt aktiv. Manchmal würden schlicht "kostenfreie Marketingkonzepte" durch einige "Scharlatane" versprochen. Die SZ meldete dabei einen Fall, in dem ein Verbund von 30 Finanzberatern einen Unternehmensberater sucht, der für jeden der Beteiligten einen Antrag stellt. So wollte man 120.000 Euro kassieren, die dann teilweise in einen "neuen Marketingauftritt" investiert werden sollen. Der Fantasie der Märkte sind beim Thema "Freigeld Abgreifen" offensichtlich kaum Grenzen gesetzt. Mitunter kommen marktschreierische Werbemethoden zum Einsatz: Man kriege "4.000 Euro geschenkt", jubelten etwa Berliner Unternehmensberater in einem Werbevideo. Der Bund, der bei selbstständigen Künstlern und Kulturschaffenden peinlich drauf achtet, keinen Cent zu viel aufzuwenden, ist gerade bei dieser windigen Branche ungewöhnlich locker vorgegangen.
Staatshilfe trotz Steuertricks
Noch lockerer handhabt der Staat aber die Vergabe von Hilfsgeldern und Krediten bei Großunternehmen – also in Größenordnungen, wo 4.000 Euro nicht mal mehr als "Peanuts" wahrgenommen werden. Jeder Lohnabhängige, der mal Hartz IV beantragen musste, denkt mit Grauen an den entsprechenden Formularberg, bei dessen Ausfüllung alle finanziellen Umstände der Betroffenen genaustens durchleuchtet werden. Sobald milliardenschwere Konzerne die Hand aufhalten, nimmt man es in Berlin hingegen nicht mehr so genau.
Davon profitieren gerade international tätige Großunternehmen, die zumeist umfassende Möglichkeiten zur Steuervermeidung nutzen, indem sie Gewinne und Verluste konzernintern so lange hin- und herverschieben, bis die tatsächliche Steuerquote auf ein Minimum gedrückt wird. Diese Methoden, die sich oftmals in einer rechtlichen Grauzone befinden, gelten in anderen Ländern, etwa Polen und Dänemark, als Ausschlussgrund bei der staatlichen Kredit- und Subventionsvergabe in der Corona-Krise. Eine unter den für die Geldvergabe verantwortlichen Verwaltungen durchgeführte Umfrage ergab hingegen, dass bei Antragstellern in der Bundesrepublik kaum überprüft werde, ob sie in der Vergangenheit Steuertricks anwandten. Der deutsche Staat nutzt die gigantischen Hilfspakete nicht, um einer üblichen Praxis mit strengen Vergaberichtlinien ein Ende zu bereiten: der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste.
Der historisch beispiellose Krisenschub des kapitalistischen Weltsystems, der durch die globale Pandemie getriggert wurde, bringt aber tatsächlich auch viele Großunternehmen in Schwierigkeiten. Wenn jedoch bei Hilfsprogrammen aus den Millionen erst einmal Milliarden werden, scheint nahezu alles möglich. So konnte sich eine der reichsten Familien der Bundesrepublik, die BMW-Großaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten, über eine beachtliche Dividendenausschüttung freuen – mitten in einer schweren Systemkrise. Während sich etwa ein Drittel der Belegschaft des Riesenkonzerns in staatlich bezuschusster Kurzarbeit befand, wurde eine Dividende von insgesamt 1,6 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgezahlt. Davon entfielen fast 800 Millionen Euro auf Klatten und Quandt, die ihren Reichtum – wie der Großteil der deutschen Milliardäre – geerbt haben.
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Roger Walter
am 08.10.2020