Nicht weniger als 350 Zeitungen und Zeitschriften von der Ost- bis zur Westküste, von "The Atlantic" bis zu "Vanity Fair", haben eine in der Mediengeschichte einmalige Allianz geschlossen. Der "Boston Globe" startete in Anlehnung an eine Kriegserklärung Trumps an die US-Presse die Kampagne "Wir sind nicht der Feind des Volkes. Wir sind das Volk". Flaggschiffe im Kampf um Demokratie und Transparenz sind die renommiertesten Blätter des Kontinents. "Es klang wie ein verspäteter Aprilscherz oder 'Fake News', bevor der Begriff erfunden wurde, als Jeff Bezos als Privatmann die 'Washington Post' für 250 Millionen Dollar kaufte", so die bloggenden Medien-Analytiker eines Hamburger Thinktanks über das stolze Blatt, das einst die Watergate-Affäre aufdeckte und damit für den Sturz von US-Präsident Richard Nixon sorgte. "Die Werte müssen sich nicht ändern", habe Bezos der besorgten Belegschaft mitgeteilt, die ums Niveau des Blattes fürchtete.
Mussten sie dann aber doch, nur anders, als der neue Besitzer dachte. Seit drei Jahren erscheint die Post gedruckt wie digital mit einem Zitat des Eigentümers auf der Titelseite: "Democracy dies in Darkness." Und auch die "New York Times" positioniert sich eindeutig und tagtäglich gegen Trump, gewann phasenweise mehr als tausend Digital-AbonnentInnen am Tag. Seit 2017 erzielt die Zeitung alljährlich Verkaufsrekorde. In diesen Tagen besonders oft geklickt wird die immer größer werdende bebilderte Aufstellung der mit Covid-19 infizierten Personen in der direkten Umgebung des Präsidenten, nicht ohne Verweis darauf, dass dort fortgesetzt gegen für alle anderen im District of Columbia geltenden Quarantäne- und Isolationsregeln verstoßen wird. In Deutschland wird noch rumgedruckst, ausgerechnet auch, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Regel eindeutige Positionierung in der politischen Berichterstattung oder in Live-Gesprächen scheut.
Dreistigkeiten benennen, nicht relativieren
NBC, ABC, CBS und am vehementesten CNN, alles Sender, die keineswegs ohne Fehl und Tadel sind, legen, um solche Tatsachen zu stützen, eine bemerkenswerte Akribie an den Tag, wollen möglichst viele der haltlosen Behauptungen Trumps und seiner Umgebung widerlegen. Kritik wird mit aller Schärfe formuliert, Empörung über die zahllosen Anstößigkeiten aus dem Weißen Haus wird nicht verhehlt, ist sogar ablesbar an Mimik und Vokabular – für deutsche Verhältnisse unvorstellbar. Wenn Trump im ersten TV-Duell versucht, Joe Biden zu erniedrigen, gibt es nachher kein Sowohl-als-auch oder den relativierenden Hinweis, der Herausforderer habe den Präsidenten ja schließlich sogar einen Clown genannt, sondern ein unmissverständliches "tried to humiliate".
Keine ausgleichende Gerechtigkeit also, die nur ungerecht wäre, keine zwei Waagschalen, die irgendwie mehr oder weniger halbe-halbe mit Lob und Tadel gefüllt werden, stattdessen die gesenkte Hellebarde. In etlichen Nachbetrachtungen hiesiger Medien hingegen war die Tonart eher (zu) vorsichtig in Moll. Selbst die "Süddeutsche" zog sich nach dem unsäglichen Auftritt im ersten TV-Duell vergleichsweise verlegen aus der Affäre mit "Teils Faustkampf, teils Theaterstück" und mit dem pseudo-salomonischen Urteil, hinsichtlich ihrer theatralischen Leistung hätten "beide ihre Sache ordentlich gemacht". Dabei konnte jeder halbwegs Urteilsfähige erkennen, dass der egomanische Wüterich Trump seinen Gegner in puncto Dreistigkeiten und üblen Untergriffen um Längen hinter sich gelassen hatte. Diese Realität zu beschreiben, stellt nicht die Äußerung einer persönlichen Meinung dar, sondern handelt von einer Tatsache.
Wie unüblich das ist in der deutschen Medienwelt, zeigt sich exemplarisch am insgesamt reichlich verklemmten Umgang mit der AfD. Wer wirklich beschreiben will, wie sich deren Abgeordnete in den Parlamenten aufführen, wie Räpple, Baum, Wolle, Rottmann und Merz den Stuttgarter Landtag für unsägliche Auftritte nutzen, muss zu Begriffen greifen, vor allem zu Verben, an die NutzerInnen klassischer Medien nicht gewöhnt sind. AfDler rufen nämlich nicht dazwischen, sie kreischen, sich über ihren Tisch werfend (Claudia Wolle), sie kritisieren nicht, sie diffamieren. Und gar keine Option ist, darüber journalistisch zu schweigen nach der Melodie "Wir springen nicht über jedes Stöckchen". Nur informierte Bürger können die Demokratie verteidigen, in der Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz.
Solche Kollegialität wäre hierzulande undenkbar
Selbst dort, wo der Umgang zwischen den Medienschaffenden hierzulande noch so kollegial ist, bleibt unvorstellbar, dass deutsche Verlage und Sendeanstalten wie in den USA die eigenen kommerziellen Interessen hintanstellen, um Informationen mit jenen zu teilen, die Trumps Stab von Pressekonferenzen, Terminen oder Reisen ausschließt. Aktuell sind mehrere KorrespondentInnen an Covid 19 erkrankt. KollegInnen helfen mit, deren Redaktionen zu versorgen.
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