Von Berufs wegen ist Lorenz katholischer Betriebsseelsorger, beschäftigt von der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die in elf baden-württembergischen Städten solche Stellen hat. Das sei wichtig, glaubt sein Chef, der Bischof, weil die Herausforderungen in der Arbeitswelt noch größer würden, die Schere zwischen "sozial Schwachen" und Menschen, "die immer wohlhabender werden", weiter auseinandergehe. Die Beobachtung ist gewiss richtig. Nur: was tun?
Lorenz, der Herz-Jesu-Sozialist
Lorenz will keine Betriebe umsorgen, sondern die Beschäftigten. Im Duktus der Basis-Theologen heißt das: Arbeiten mit den Arbeitern, der Gegner ist das Kapital. Wir sprechen auch mit den Reichen, kommen aber von den Armen. Da wird nicht gewackelt, da wird klar Position bezogen, für jene gekämpft, die am meisten unter Fremdbestimmung und Machtlosigkeit zu leiden haben.
37 Jahre lang hat Lorenz das gemacht, von unten her mit 20 Arbeitseinsätzen, mal als Putzmann, mal als Pfleger, mal als Zementsackträger, mal als Postbote und Schrottsammler. Dabei wollte er deutlich machen, dass man kleiner ist, wenn man den Kopf senkt, und größer der Mut, wenn man den Blick erhebt. Einprägsames Bild, nicht nur für Zementsackträger. Für ihn war es die "Teilnahme am Leben und Kampf der Arbeiterschaft". Er hat erlebt, was Papst Franziskus gemeint haben könnte, als er sagte, diese Wirtschaft "tötet jeden Tag, ganz alltäglich". Lorenz könnte man einen Herz-Jesu-Sozialisten nennen. Ein Absatz aus seiner Abschiedsrede:
"Im Einklang mit Papst Franziskus möchte ich ganz laut schreien: Stopp, Halt, Aufhören! Mit der Faust Dreinschlagen muss man da. Lasst uns gemeinsam neu nachdenken, wie das menschlich, ja auch ökologisch und wirtschaftlich zu gestalten ist".
Fehlt nur noch der Aufruf zum Klassenkampf. Wenn das der Bischof hört. Man wird Gebhard Fürst nicht zu nahe treten, mit der Annahme, dass er seine Betriebsseelsorge so nicht sieht. Er hat es lieber systemtreu, wie es die Amtskirche immer hatte, nahe an der Seite der Mächtigen. Wie immer sie hießen, Moser, Kasper oder Fürst, sie waren Bürgersöhne, die keinen Kontakt zur Arbeitswelt hatten. In seinem Verabschiedungsbrief an Lorenz lobt der Bischof die "Vermittlung" zwischen Kirche, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, auf dass aus den Arbeitsorten Lebensorte würden, "an denen das Miteinander gelingt".
Am Bahnhof hilft auch Gottes Segen nicht weiter
Da hängt die Latte hoch, wenn allein der Glaube das Sprungbrett ist. Womöglich könnte es nur bei Stuttgart 21 erfolgreich sein, auf dem, wie erinnerlich, Gottes Segen (Claus Schmiedel/SPD) ruht. Aber selbst dort, wo es in Peter Maile einen eigenen Betriebsseelsorger gibt, ist nicht alles eitel Freude und Sonnenschein. Sein Motto "Gottes Antlitz auch in den staubigen Gesichtern entdecken" scheint immer wieder harten Prüfungen ausgesetzt zu sein. Siehe dazu sein Erfahrungsbericht von der Baustelle.
Guido Lorenz hat einen anderen Wahlspruch: "Stets laut sagen, was ist solidarisch, mutig und frei". Das Solidarische ist ihm in den Pulli gewoben, auf seine Fahne gedruckt, die er immer bei sich hat, wenn er zu Streiks, Demos oder nur zu Betriebsratssitzungen ausrückt. Manchmal hilft das mehr als die Kampfrhetorik der Gewerkschaft, die bisweilen in sehr irdischen Zwängen gefangen ist. Wie Anfang der 1990er Jahre, als Lorenz beim Daimler am Band gestanden und "An diesen Motoren klebt Blut" auf die Motoren gepinselt hat, die in Kriegsgebiete geliefert wurden. Das habe der IG Metall gar nicht gefallen, erzählt Gerd Rathgeb am Rande der Veranstaltung. Wegen der Arbeitsplätze. Rathgeb war einst Betriebsrat in Untertürkheim und Mitglied der gewerkschaftskritischen Plakat-Gruppe um Willi Hoss.
Lorenz ist ein eher unerschrockener Mensch. Hierin gleicht er seinem Lehrer Paul Schobel ("Der Kapitalismus ist Sünde"), der die Betriebsseelsorge nicht nur gegründet, sondern auch ideologisch unterfüttert hat.
Für ihn bedeutet sie unablässige Systemkritik, die Einnahme einer klaren "Opfer-Perspektive", näher ran, mehr Biss, gegen Hurra-Kapitalisten, Ressourcenausbeuter, Waffenexporteure und Kriegstreiber. Und Rudi Dutschke darf dann auch noch sein, mit Jesus‘ Auferstehung, die ihm als "entscheidende Revolution der Weltgeschichte" erschien. Eine Revolution durch eine alles überwindende Liebe. Das haben beide verinnerlicht. Der 65-Jährige und der 80-Jährige. Und beide haben dieses Lachen im Gesicht, das vor allem eines ausdrückt: Lebensfreude, allen Widrigkeiten zum Trotz.
Mit dem Christdemokraten Rogg ab nach Nigeria
Da mögen die einen Schobel & Erben als linke Missionstruppe sehen, die anderen als Feigenblatt der Kirche, die dritten als Mitgliedsbeschaffer, die vierten als verrückte Systemstabilisierer – es ist ihnen egal. Solange sie überzeugt sind davon, keine andere Wahl zu haben.
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