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Immer mehr Arme in Haft

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Viele Jahre lang war Susanne Büttner Seelsorgerin im Frauenknast in Schwäbisch Gmünd. Als Dekanin kümmert sie sich nun auch um eine Brücke vom Gefängnis in die Gesellschaft.

Die Atmosphäre muss stimmen. Zufrieden präsentiert die evangelische Pfarrerin ihre festlich geschmückte Kirche. Auch der Vorraum wirkt mit den Kerzen auf den Tischen stimmungsvoll. Susanne Büttner betont, dass sie Frieden und Stille vermitteln will. Die 55-jährige betreut keine gewöhnliche Gemeinde. Ihr Arbeitsplatz befindet sich in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd, wo knapp 400 Frauen in Haft sind.

Seit 17 Jahren ist Büttner hier Gefängnisseelsorgerin. Im Gespräch mit ihr wird deutlich, wie sehr ihr ihre Gemeindemitglieder ans Herz gewachsen sind. Beim Gang über den Gefängnishof winkt aus dem ersten Stock freudestrahlend eine Frau der Pfarrerin zu. "Mit ihr habe ich später ein Gespräch ausgemacht", sagt Büttner und winkt zurück. Sie wirkt entspannt und zufrieden. Denn seit 2. Dezember ist die Theologin Gefängnisdekanin für Baden-Württemberg.

Darauf ist sie auch ein wenig stolz. Denn in dieser Ernennung sieht sie auch die Würdigung für ihre bisherige Arbeit. Und diese war darauf ausgerichtet, für einen humanen Strafvollzug zu sorgen. Aber sonst wirkt die Frau mit den schulterlangen grauen Haaren völlig unprätentiös. Der Gedanken daran, Karriere zu machen, liegt ihr fern. "Ich bin froh, dass ich nicht Dienstvorgesetzter bin, sondern so etwas wie die Erste unter Gleichen."

Das Gefängnis ist für sie zu einem Stück Heimat geworden

Spannend findet sie vielmehr, dass sie sich jetzt um Grundsätzliches kümmern kann. Nämlich darum, wie die Gefängnisseelsorge künftig aussehen kann. Zugleich ist sie froh, dass sie deshalb ihr altes Amt, zumindest teilweise, weiterführen kann. "Auch nach 17 Jahren bin ich noch nicht müde."

Das persönliche Gespräch mit Büttner bestärkt den Eindruck, dass da ein Mensch seine Lebensaufgabe gefunden hat und sich mit vollem Einsatz an die Seite von Armen und Gescheiterten stellt, an die Seite der Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden. Für die Pfarrerin ist das ganz im Sinne der Bibel. Sie weiß von Frauen aus dem Rotlichtmilieu zu berichten, über deren Selbstlosigkeit und großes Herz sie selbst staunt. Es sind Begegnungen und Gespräche, die ihr Kraft und Motivation geben.

Bei der Begegnung mit ihr fällt als erstes der Bund mit den fünf großen Schlüsseln auf, den sie immer bei sich trägt. Dass sie damit ständig schwere Türen auf und zuschließen muss, ist längst Routine geworden. Das Gefängnis ist für sie ein Stück Heimat geworden. Und diese hat in Schwäbisch Gmünd fast schon idyllische Züge, wenn man sich auf dem früheren Klostergelände umschaut. Seit 2001 ist die evangelische Pfarrerin als Gefängnisseelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd tätig.

Bei ihrer Amtseinführung am 1. Advent hat Büttner versprochen, dass sie sich stark machen will dafür, "die guten Standards in der Gefängnisseelsorge auch in Zeiten von Überbelegung und psychisch stärker belasteten Gefangenen zu erhalten". Erfahrung gesammelt hat sie dafür schon im Vorstand der Bundeskonferenz Gefängnisseelsorge.

Eine Brücke in die Gesellschaft

Die Pfarrerin will dafür sorgen, "dass Gefangenen sowie Bediensteten in Kirche und Gesellschaft eine angemessene Würdigung zukommt". Sie versteht sich als Seelsorgerin, für die der geistliche Auftrag im Mittelpunkt steht, "damit es im Gefängnisalltag Zeit für Innehalten, Stille und Reflexion gibt".

Keine Geschenke

Zu den Aufgaben der Dekanin im Justizvollzug gehören unter anderem die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Justizvollzugsbehörden und den beiden evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg sowie die Beratung des Justizministeriums in Angelegenheiten der Seelsorge. Weiter zu nennen sind die Betreuung aller im Strafvollzug tätigen Seelsorgerinnen und Seelsorger und die Fachaufsicht über diese. Die Dekanin klärt die Seelsorger auch bezüglich der Anforderungen im Gefängnis auf. Dazu gehören vor allem die hohen Sicherheitsstandards. Es ist beispielsweise verboten, Gefangenen Geschenke zu machen. (ral)

Die Aufgabe, "aus der Welt des Gefängnisses für Gefangene und Bedienstete eine Brücke zu bauen in die Gesellschaft hinein", wird nach Büttners Beobachtung immer schwieriger. "In den 80er Jahren hatten Gefangene noch eine stärkere Lobby", sagt sie. Heute sei das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung viel höher. Gefängnisse würden deshalb zu Festungen.

Büttner kommt es darauf an, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie der Gefängnisalltag angenehmer gestaltet werden kann. Sie betont, auch die Begleitung der Bediensteten werde wichtiger, weil für diese die Überbelegung und die zunehmende Anspannung äußerst belastend seien. Diese hätten einen anspruchsvollen Job in direktem Kontakt mit den Gefangenen. Einerseits müssten die Beamten deren Belange respektieren, andererseits darauf achten, dass es im Gefängnis keine Übergriffe gebe. Deshalb bietet die Gefängnisseelsorgerin Tagungen für Bedienstete, damit deren Anliegen auch zur Sprache kommen. "Wir sehen uns als solidarisches Gegenüber", betont die Pfarrerin.

Zuständig ist Büttner als Dekanin für die Begleitung von 17 hauptamtlichen und elf nebenamtlichen evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern im baden-württembergischen Strafvollzug. Sie sieht sich als "Schnittstelle zwischen Kollegen, Kirchenleitung und Justizministerium".

Seelsorgerin für Menschen aller Religionen

Angesichts eines wachsenden Anteils von Muslimen in den Gefängnissen spricht Büttner ausdrücklich von einem "Angebot für Menschen aller Religionen". Oft führt sie mehrmals täglich Gespräche, "bei denen sich die Menschen Dinge von der Seele reden können, ohne dabei befürchten zu müssen, dass dies in die Akten kommt", erklärt die Seelsorgerin. Dabei hilft, dass sie der Schweigepflicht unterliegt und das Zeugnisverweigerungsrecht besitzt.

Büttner spricht immer auch die Schuld gegenüber den Opfern an. Sie leidet mit, wenn sie hört, wie tief Frauen in gewalttätige Beziehungen verstrickt sind. Den Inhaftierten will sie eine Zukunftsperspektive geben. Bei der Aufarbeitung von Schuld hilft nach Angaben von Büttner auch das von ihr initiierte Projekt "Kloster im Gefängnis". In einer Schweigewoche würden die Gefangenen plötzlich die Erfahrung machen, dass sie mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen konfrontiert werden. Büttner berichtet vom Fall einer Frau, die jahrelang ihre Tat verdrängt hat, aber am Ende einer Schweigewoche in der Lage war, ihre Schuld einzugestehen.

Sorgen macht Büttner die Beobachtung, dass immer mehr Personen mit kurzen Strafen in den Gefängnissen sitzen. Dabei gehe es oft um Beschaffungskriminalität, aber auch ums <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft schwarzfahren-will-gelernt-sein-5035.html internal-link-new-window>Schwarzfahren. "Es gibt offenbar mehr Menschen, die sich ihre Mobilität nicht mehr leisten können", sagt sie, "wir spüren im Gefängnis deutlich die soziale Frage." Die Theologin beklagt eine Zunahme der Armut. Auch bei psychisch labilen Menschen, die in Haft sind, fragt sie sich manchmal, "ob diese Leute wirklich ins Gefängnis gehören?". Dass immer mehr arme Menschen in Haft sind, zeige sich besonders deutlich an Weihnachten. Die Angehörigen, weiß Büttner, haben oft nicht mehr die Mittel, den Gefangenen Geld für Einkäufe zukommen zu lassen.


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