Es ist erst wenige Monate her. Ich saß in einem Hotel beim Frühstück. Das Radio lief. Plötzlich traute ich meinen Ohren nicht. "Die Hölle ist neuerdings breitbandverkabelt und verfügt über schnelles WLAN, eine Hassmail jagt die andere, Morddrohungen schwirren durch den Äther ", sprach da eine sonore, kräftige Stimme, die mir bekannt vorkam. Und dann ging es weiter: "Christinnen und Christen sind Propagandisten des Guten. Wie wäre es, wenn sie alles Gute, das in der Welt geschieht, auf einer App sammeln würden und dann möglichst oft auf Teilen drücken." Spätestens jetzt war mir klar: Das war niemand anderes als mein "alter" Freund Paul Schobel, der auch in seinem achtzigsten Lebensjahr noch so kräftig das Gute propagiert, wie ich dies schon seit Jahrzehnten von ihm kenne.
Es war Anfang der 1980er Jahre, als mich Paul zum ersten Mal in die Betriebsseelsorge nach Böblingen einlud. Als junger Ökonom sollte ich den Mitstreiterinnen und Mitstreitern seiner Industriegemeinde wirtschaftliche Zusammenhänge so erklären, dass sie für die Diskussionen mit Arbeitgebern und Politikern besser gewappnet waren. Als ich am Samstagmorgen im Böblinger Industriepfarramt ankam, war ich sehr überrascht: Da saßen mir Verkäuferinnen, Mechaniker, Schweißer und Reinigungskräfte gegenüber, um sich über Wirtschaft zu informieren. Und sie opferten ihr Wochenende nicht in erster Linie wegen mir, sondern wegen Paul: Ihm vertrauten sie, er hatte gerufen, sie waren gekommen.
Der Kirchenmann sagt: Marx hat recht
Dann folgte gleich die nächste Überraschung: Nachdem ich – schön didaktisch – die Kreisläufe des Kapitalismus auf einer Tafel nachgezeichnet hatte, erläuterte Paul Schobel seine Sicht der herrschenden Wirtschaft – und zwar so, wie ich sie von einem Kirchenmann noch nie gehört hatte: "Kapitalismus ist Sünde"; "Karl Marx hatte recht mit seiner Analyse, nur seine Instrumente waren falsch". Und: Nicht nur in Südafrika gebe es Apartheid, sondern auch im reichen Deutschland; in vielen Betriebe werde klar getrennt zwischen prekär Beschäftigten, die ohne jede soziale Sicherheit bei Bedarf eingesetzt und später einfach wieder ausgesetzt würden, und einer Stammbelegschaft mit gut abgesicherten Jobs.
Woher der Industriepfarrer Paul Schobel seine Kraft, seinen Mut zu seinem Engagement nimmt, erfuhr ich am kommenden Tag. Ich hatte bei Paul im Gästezimmer übernachtet und lief frühmorgens gedankenverloren durch die Wohnung. Bis ich zu seinem Zimmer kam. Die Tür war offen. Ich rief "Paul" und schämte mich sogleich. Er kniete an einem Altartisch, in ein Gebet versunken. So lernte ich Pfarrer Paul Schobel als tief gläubigen, frommen Christen kennen, für den die Bibel eine klare Botschaft sendet: Nehmt Partei für die Armen und für die Benachteiligten.
Dabei geht sein Engagement weit über die bloße Parteinahme für die Armen hinaus. Er steht an ihrer Seite, er ist einer von Ihnen. Paul Schobel selbst stammt aus armen Verhältnissen, wurde 1939 als Sohn eines Waldarbeiters in Rottweil geboren. Er war immer dankbar, studieren zu dürfen. Und wenn er eines zu seinen Studienzeiten in Tübingen und Innsbruck nicht ertragen konnte, dann war es das "weltfremde Gelaber einiger Studenten". Sein Weg zum Betriebsseelsorger war denn auch nur konsequent: 1963 wurde er zum Priester geweiht und schon drei Jahre später zum Jugendpfarrer der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) ernannt.
3 Kommentare verfügbar
Gaston
am 01.07.20191. Deutschland ist kein reiches Land. Wer die Vermögensaufteilung kennt muss sagen:
Deutschland ist zu einem kleinen Teil ein sehr reiches Land.
2. Herr Schobel sollte nicht über Europa entsetzt sein sondern über den Kapitalismus, weil…