Bei den derzeitigen Erschütterungen im Hause Windsor spielt auch die "ungeheuere Zudringlichkeit der Boulevardpresse" eine Rolle! Zum Glück gibt es Experten, die solch diffizile Zusammenhänge zu erklären wissen. Und auch sonst steht für den Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der das Meghan-Harry-Interview mit der US-amerikanischen Talkshowkönigin Oprah Winfrey am 8. März im "Deutschlandfunk Kultur" so hintergründig kommentierte, anno 2021 viel Erklärungsarbeit an. Im Superwahljahr unter Corona könnten etwa die "Querdenker" nochmals Thema werden, wenn im Sommer die Infektionen sinken. Und als Lieferant griffiger Statements zu beliebigen Themen empfiehlt sich fast immer der Frontmann des "Instituts für Medienwissenschaft und angewandte Selbstvermarktung der Universität Tübingen" ("Süddeutsche Zeitung", Streiflicht vom 22.7.2020). Wie schon 2020 wird er also über "Empörungsdemokratie" und "respektvolle Kommunikation" dozieren, über "populistische Bullshitter", "Märtyrerpositionen" und "Corona-Leugner". Darüber, dass wir in einer "Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten" leben würden – und über das Wesen der "Infodemie".
Die "Infodemie" erklärte Pörksen in der Sendereihe Wort der Woche (SWR2, 30.5.2020): die "Verschmutzung unserer Informationsflüsse" durch Fake News, Verschwörungsmythen und Gerüchte. Ein Mehr an Information, vor allem durch die neuen Medien, mache nicht automatisch "mündiger". Stattdessen erhöhe der Zuwachs an Information die "Chancen von Desinformation". Es gelte, das "Quellenbewusstsein zu trainieren" und sich auf die "Uralttugend des Zögerns, des Abwartens, des skeptischen Reflektierens" zu besinnen. Wir sollten "Abschied" nehmen von der "Sofortreflexion": nicht alles "sofort zu posten, was mich gerade erst erreicht" hat.
Medienmächtige Endlosschleife
Dabei bezieht sich Pörksen auf einen Beitrag von David J. Rothkopf vom 11. Mai 2003 in der "Washington Post", der angesichts der teils hysterischen redaktionellen Berichterstattung über die damalige SARS-Epidemie den Begriff "Infodemic" prägte. Bei Pörksen, der auf das Zeitalter der sozialen Medien blickt, bekommt das Wort erst richtigen Drive: Wir lebten "inmitten einer Infodemie", betonte er auch in einem Interview mit "Die Presse" aus Wien (15.3.2020). Fakten und Gefahren "im Verbund mit Spekulationen und Falschmeldungen" verbreiteten "Angst und Schrecken".
In der Sendung "Die Redezeit" auf "NDR Info" erklärt er am 25. März: "Infodemie, eine Vermischung von Spekulation und Halbwahrheiten", führe zu einer Berichterstattung der "emotionalen Überhitzung", und in der "Stuttgarter Zeitung" warnte er vor der "Gefahr einer Infodemie" (10.4.2020). Am 16. April ist er Keynote-Speaker beim "Radio Advertising Summit: Think Audio!" der Fachzeitschrift "Werben & Verkaufen". Er doziert über "redaktionelle und soziale Medien" und schlägt mit dem Begriff "Infodemie" seinen Standardpflock ein.
Am 7. Mai sitzt er mit Gerd Scobel zum Thema "Corona, Nichtwissen und Handeln" im Studio bei 3sat und formuliert zum gefühlt hundertsten Mal: "Infodemie" sei "ein Zusammenfließen ganz unterschiedlicher Informationen ganz unterschiedlicher Qualität". Am 24. Mai ist Pörksen Gast bei Tilo Jung ("JUNG & Live") und appelliert: "Wir erleben gerade jetzt in Zeiten der Pandemie und Infodemie, wie wichtig Medienmündigkeit ist."
Das Wortpaar "medienmächtig" versus "medienmündig" zieht sich wie ein Mantra durch Pörksens Auftritte im ersten Jahr der Corona-Krise. "Jeder ist auf einmal medienmächtig, aber eben noch nicht medienmündig", sagt der Professor am 14. März in der Sendung Tacheles auf "Deutschlandfunk Kultur".
Schon in seinem Bestseller Die große Gereiztheit – Wege aus der kollektiven Erregung aus dem Jahr 2018 schreibt Pörksen vom "medienmächtig gewordene(n) Publikum" (S. 83, 145, 172, 173, 180, 189) beziehungsweise vom "mächtig gewordene(n) Medienpublikum" (S. 87) sowie "medienmächtige(n) Publikum" (S. 188) und fordert für die "Erziehung zur Medienmündigkeit" ein Schulfach (S. 205).
"Medienmächtig heisst nicht medienmündig" überschreibt der Zürcher "Tages-Anzeiger" am 7.3.2020 ein Interview mit dem Tübinger Wortakrobaten. Zwei Tage später titelt das Schweizer Magazin "Medienwoche": "Medienmächtig ist nicht medienmündig". Dass Pörksen sich an seinen Phrasen verschluckt, ist nicht überliefert. Im Gegenteil. Im Interview mit dem "Standard" aus Wien (3.5.2020) beschwört er einen "medienmündigen User".
Am 5. Mai reagiert Volker Lilienthal auf dieses Interview und twittert: "Was ist das denn? Eine etwas zu groß geratene und dazu noch ungezeichnete Anzeige in einem Interview?" Im Fließtext des Interviews ist eine Anzeige des Hanser-Verlags platziert, die das im Februar erschienene Buch Die Kunst des Miteinander-Redens von Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun bewirbt. Auf Volker Lilienthal antwortet Oliver Mark, Medienredakteur der Zeitung, der das Interview geführt hat: "Das ist nicht geglückt und in der Größe nicht gut, das stimmt, es sollte aber nur ein Hinweis auf das Buch sein – ohne kommerzielle Interessen." Wieso ist das "nicht geglückt"? Das ist Marketing! Die Anzeige des Verlags steht passgenau zwischen der Frage des Redakteurs nach der Intention ebendieses Buches und Pörksens Antwort.
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Wolfgang Jaworek
am 01.04.2021