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Bernhard Pörksen

Der Wortakrobat

Bernhard Pörksen: Der Wortakrobat
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Von manchen Wissenschaftlern hört man unter Corona zu wenig, von anderen zu viel. Eine Fallstudie am Beispiel des Tübinger Medienexperten Bernhard Pörksen. Der alerte Ordinarius glänzt als Prof. Dr. Stichwortgeber auf vielen Kanälen.

Bei den derzeitigen Erschütterungen im Hause Windsor spielt auch die "ungeheuere Zudringlichkeit der Boulevardpresse" eine Rolle! Zum Glück gibt es Experten, die solch diffizile Zusammenhänge zu erklären wissen. Und auch sonst steht für den Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der das Meghan-Harry-Interview mit der US-amerikanischen Talkshowkönigin Oprah Winfrey am 8. März im "Deutschlandfunk Kultur" so hintergründig kommentierte, anno 2021 viel Erklärungsarbeit an. Im Superwahljahr unter Corona könnten etwa die "Querdenker" nochmals Thema werden, wenn im Sommer die Infektionen sinken. Und als Lieferant griffiger Statements zu beliebigen Themen empfiehlt sich fast immer der Frontmann des "Instituts für Medienwissenschaft und angewandte Selbstvermarktung der Universität Tübingen" ("Süddeutsche Zeitung", Streiflicht vom 22.7.2020). Wie schon 2020 wird er also über "Empörungsdemokratie" und "respektvolle Kommunikation" dozieren, über "populistische Bullshitter", "Märtyrerpositionen" und "Corona-Leugner". Darüber, dass wir in einer "Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten" leben würden – und über das Wesen der "Infodemie".

Die "Infodemie" erklärte Pörksen in der Sendereihe Wort der Woche (SWR2, 30.5.2020): die "Verschmutzung unserer Informationsflüsse" durch Fake News, Verschwörungsmythen und Gerüchte. Ein Mehr an Information, vor allem durch die neuen Medien, mache nicht automatisch "mündiger". Stattdessen erhöhe der Zuwachs an Information die "Chancen von Desinformation". Es gelte, das "Quellenbewusstsein zu trainieren" und sich auf die "Uralttugend des Zögerns, des Abwartens, des skeptischen Reflektierens" zu besinnen. Wir sollten "Abschied" nehmen von der "Sofortreflexion": nicht alles "sofort zu posten, was mich gerade erst erreicht" hat.

Medienmächtige Endlosschleife

Dabei bezieht sich Pörksen auf einen Beitrag von David J. Rothkopf vom 11. Mai 2003 in der "Washington Post", der angesichts der teils hysterischen redaktionellen Berichterstattung über die damalige SARS-Epidemie den Begriff "Infodemic" prägte. Bei Pörksen, der auf das Zeitalter der sozialen Medien blickt, bekommt das Wort erst richtigen Drive: Wir lebten "inmitten einer Infodemie", betonte er auch in einem Interview mit "Die Presse" aus Wien (15.3.2020). Fakten und Gefahren "im Verbund mit Spekulationen und Falschmeldungen" verbreiteten "Angst und Schrecken".

In der Sendung "Die Redezeit" auf "NDR Info" erklärt er am 25. März: "Infodemie, eine Vermischung von Spekulation und Halbwahrheiten", führe zu einer Berichterstattung der "emotionalen Überhitzung", und in der "Stuttgarter Zeitung" warnte er vor der "Gefahr einer Infodemie" (10.4.2020). Am 16. April ist er Keynote-Speaker beim "Radio Advertising Summit: Think Audio!" der Fachzeitschrift "Werben & Verkaufen". Er doziert über "redaktionelle und soziale Medien" und schlägt mit dem Begriff "Infodemie" seinen Standardpflock ein.

Am 7. Mai sitzt er mit Gerd Scobel zum Thema "Corona, Nichtwissen und Handeln" im Studio bei 3sat und formuliert zum gefühlt hundertsten Mal: "Infodemie" sei "ein Zusammenfließen ganz unterschiedlicher Informationen ganz unterschiedlicher Qualität". Am 24. Mai ist Pörksen Gast bei Tilo Jung ("JUNG & Live") und appelliert: "Wir erleben gerade jetzt in Zeiten der Pandemie und Infodemie, wie wichtig Medienmündigkeit ist."

Das Wortpaar "medienmächtig" versus "medienmündig" zieht sich wie ein Mantra durch Pörksens Auftritte im ersten Jahr der Corona-Krise. "Jeder ist auf einmal medienmächtig, aber eben noch nicht medienmündig", sagt der Professor am 14. März in der Sendung Tacheles auf "Deutschlandfunk Kultur".

Schon in seinem Bestseller Die große Gereiztheit – Wege aus der kollektiven Erregung aus dem Jahr 2018 schreibt Pörksen vom "medienmächtig gewordene(n) Publikum" (S. 83, 145, 172, 173, 180, 189) beziehungsweise vom "mächtig gewordene(n) Medienpublikum" (S. 87) sowie "medienmächtige(n) Publikum" (S. 188) und fordert für die "Erziehung zur Medienmündigkeit" ein Schulfach (S. 205).

"Medienmächtig heisst nicht medienmündig" überschreibt der Zürcher "Tages-Anzeiger" am 7.3.2020 ein Interview mit dem Tübinger Wortakrobaten. Zwei Tage später titelt das Schweizer Magazin "Medienwoche": "Medienmächtig ist nicht medienmündig". Dass Pörksen sich an seinen Phrasen verschluckt, ist nicht überliefert. Im Gegenteil. Im Interview mit dem "Standard" aus Wien (3.5.2020) beschwört er einen "medienmündigen User".

Am 5. Mai reagiert Volker Lilienthal auf dieses Interview und twittert: "Was ist das denn? Eine etwas zu groß geratene und dazu noch ungezeichnete Anzeige in einem Interview?" Im Fließtext des Interviews ist eine Anzeige des Hanser-Verlags platziert, die das im Februar erschienene Buch Die Kunst des Miteinander-Redens von Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun bewirbt. Auf Volker Lilienthal antwortet Oliver Mark, Medienredakteur der Zeitung, der das Interview geführt hat: "Das ist nicht geglückt und in der Größe nicht gut, das stimmt, es sollte aber nur ein Hinweis auf das Buch sein – ohne kommerzielle Interessen." Wieso ist das "nicht geglückt"? Das ist Marketing! Die Anzeige des Verlags steht passgenau zwischen der Frage des Redakteurs nach der Intention ebendieses Buches und Pörksens Antwort.

Medley der Metaphern

Pörksens mediale Geschmeidigkeit und Omnipräsenz entziffert Meredith Haaf als "intellektuelles Selbst-Recycling" ("Süddeutsche Zeitung", 10.3.2020). Stetig und ständig ist der Medienzampano damit beschäftigt, sein eigenes Markenbild zu modellieren.

Wozu auch die Phrasen "Sofortreflexion", "Sofortismus", "kommentierender Sofortismus" oder "Sofort-Bescheidwissen" zählen. Auch dieses Wortgeklimper ist hinlänglich bekannt aus Die große Gereiztheit. Von der "emotionalen Sofort-Deutung im Moment allgemeiner Erregung" (S. 52) ist dort zu lesen, von einer "Disharmonie durch die Sofort-Konfrontation" (S. 124), vom "real existierende(n) Journalismus mit seinem Sofort-Sendezwang" (S. 188) und ein ums andere Mal vom "kommentierenden Sofortismus" (etwa S. 52 und 193). Phrasen ziehen sich wie ein roter Faden durch Pörksens Medienrauschen. Er lebt in und durch Schlagworte: "Erregungsmuster", "Empörungsinflation", "Empörungsdemokratie", "Erregungsschübe", "fehlgeleitete Empörungsenergie".

Geradezu besessen scheint er von der "Gleichzeitigkeit des Verschiedenen".  "Unter dem Druck der aktuellen Krise und im globalen Pulsieren der Informationsströme", schreibt er in einem Beitrag für "Die Zeit" (13.3.2020), gebe es "im Sinne der totalen Gleichzeitigkeit des Verschiedenen" neben jeder Menge "Horror, Hetze, Falschinformation" auch eine "atemberaubende Beweglichkeit und Lernfähigkeit von Individuen und ganzen Gesellschaften, (...) die solidarisch kooperieren".

In Interviews, Diskussionsrunden, Statements und Essays, in Hörfunk, Fernsehen, Print und Podcasts und ohne Luft zu holen: das immergleiche Salbadern dieses public intellectual. Von der "Atmosphäre der Gleichzeitigkeit" ("taz", 7.3.2020) ist da die Rede, von einer "Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten" ("Deutschlandradio Kultur", 14.3.2020) oder von der "Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren" ("Zeit Online", 9.4.2020). Davon sprach schon Iris Radisch in einer Rezension zu Walter Kempowskis Das Echolot ("Die Zeit", 24.2.2005). Pörksen ist sehr flink darin, fremde Metaphern aufzuspießen und in das Medley der Weisheiten in seinem Zettelkasten einzuordnen. "Überhaupt sind Fehler nicht schlimm. Phrasen sind schlimm", schreibt Michael Maar in Die Schlange im Wolfspelz.

Präsenz als Relevanz-Beweis

Bei so viel Wortgeklimper bleibt es nicht aus, dass auch die auflagenstarke "Apotheken Umschau" den Professor ausführlich zitiert. In dem Beitrag: "Warum Corona die Gesellschaft polarisiert" (12.5.2020). Allein für die Monate März, April und Mai 2020 hat meine Spurensuche 51 Belege nachgewiesen: Durchschnittlich alle zwei Tage salbaderte sich Professor Pörksen durch die deutschsprachigen Medien. Dabei dürfte die Liste der Interviews, Statements, Essays, Vorträge, Diskussionsrunden, Zitate, Talkshows und Podcasts nicht vollständig sein. Aber wer sucht, der findet. Am 20. Mai 2020 ist er bei "SKP. Live" zu sehen und zu hören, dem Podcast der "S-Kreditpartner GmbH", nach eigener Darstellung der "Spezialist für Auto- und Konsumentenkredite in der Sparkassen-Finanzgruppe". "Ping!" ist der Newsletter der "Looping Group", spezialisiert auf "Content Produktion" und "Content Management"; hier stellt er seine "Utopie der redaktionellen Gesellschaft zur Diskussion" (28.2.2020). In der Akademie Heiligenfeld, Bad Kissingen, spricht er über "Wie werden wir medienmündig? Orientierung im Informationsdschungel" (16.5.2020). Über die "Agentur für Helden – Redner für Fortgeschrittene" ist er zu buchen.

Das Geschäft der Medien ist ein Geben und Nehmen. Die zuweilen überlebensgroß wirkende Eitelkeit des Professors ist das eine. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Redaktionen sich zunehmend wissenschaftliche Stichwortgeber suchen, um ihre Formate aufzuhübschen: Es möge ein wenig Glanz des prominenten Experten auf sie zurückfallen.

"Was sagt die Wissenschaft?", fragt die Zeitschrift "journalist" im September 2020. Was die Wissenschaft sagt, lässt sich nur vermuten. Aber was Bernhard Pörksen im Interview mit Thilo Komma-Pöllath sagt, ist nur allzu bekannt: "Desinformationsmüll", "Quellenbewusstsein", "gigantische Medienbildungslücke", "redaktionelle Gesellschaft" und auch das: "kommunikationsanalytisch betrachtet" leben wir "in einer Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten". Pörksen ist Profi genug, all die Bühnen und Plattformen, die ihm geboten werden, für die Inszenierung seines eigenen Markenbildes zu nutzen.

Stellt sich die Frage oder müsste sich Professor Pörksen nicht die Frage stellen, ob er womöglich selbst zur "Überhitzung des Kommunikationsklimas" beiträgt? Zum von ihm selbst empfohlenen "Prinzip des Zögerns" könnte ja auch gehören, nicht jeder Anfrage einer Redaktion nachzukommen, Fernsehstudios für eine gewisse Zeit zu meiden, sich dem schnellen Statement zu verweigern und mal keinen Exklusivbeitrag zu schreiben: einfach mal die Klappe halten.

"Auf Jagd nach dem richtigen Experten: So gehen Journalisten vor" heißt ein Beitrag in "KURT" (3.12.2019), einem "Ausbildungsprojekt" des Instituts für Journalistik der TU Dortmund. Zu dieser Frage äußert sich auch Jonathan Focke vom Team "Quarks Science Cops" auf WDR 5, das vorgibt, "wissenschaftlichen Unfug aufzudecken und richtigzustellen". Den angehenden Journalistinnen und Journalisten gibt der Science Cop mit auf den Weg: "Wenn Experten über Google nicht einigermaßen auffindbar sind, dann sind sie auch nicht relevant". Die Präsenz beweist also die Relevanz – wenn das so ist, braucht sich zumindest Bernhard Pörksen keine Sorgen zu machen. Ob nun Corona oder Royals: Bei Google sitzt er in der allerersten Reihe. Und das wird wohl so bleiben. Auch im Superwahljahr 2021.


Herbert Hoven lebt als freier Autor in Köln und unterrichtet unter anderem in Mainz Journalismus. Sein Artikel erschien zuerst im "Freitag".


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4 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Jaworek
    am 01.04.2021
    Antworten
    Man mag ja Pörksens Theorien für falsch halten: Dann sollte man sich kritisch damit auseindersetzen. Ihm aber lediglich Medienpräsenz vorzuwerfen, trägt nichts zur Erhellung der Diskussion bei. Besonders wenn man, wie Thomas Rothschild, sich nur selbst zitieren kann.
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