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Edle Federn für die Hochkultur

Edle Federn für die Hochkultur
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Zuletzt war der unterirdische Bahnhof alternativlos, jetzt ist es die Opern-Milliarde. Und wieder präsentieren sich die Stuttgarter Blätter als Sprachrohr der bürgerlichen Elite. Besonders der Feuilleton-Chef der StZN legt sich mächtig ins Zeug.

"Die beste Zeit für guten Journalismus ist jetzt", so titeln am 6. November 2019 die StZN (und mit ihr mehr als vierzig baden-württembergische Tageszeitungen) auf einer blau eingefärbten Sonderbeilage. Zitiert wird in dieser Orgie der Selbstgefälligkeit der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der den Journalismus als "Lebensversicherung der Demokratie" bezeichnet, weil dieser "wahrhaftige Informationen transportiert, viele verschiedene Meinungen zulässt." Da wollen die Zeitungschefs dann nicht mit Eigenlob geizen, bestätigen sich großzügig "Veröffentlichungen nach bestem Wissen und Gewissen, nach professionellen Standards und ohne verborgene Absichten." Und reden natürlich nicht übers Zeitungssterben, über Fusionen, über ein verengtes Meinungsspektrum oder über den immensen Arbeits- und Zeitdruck ihrer Angestellten, der sorgfältige Recherche erschwert oder unmöglich macht. Auf der zweiten Seite dieser Beilage darf übrigens Wolfgang Schäuble eine Eloge auf die Presse halten, ein Mann, der froh sein kann, dass sich damals seine Waffenschieber-Parteispenden-Affäre journalistisch nicht ganz aufklären ließ.

Aber nun ein kleiner Test für den Qualitätsjournalismus. Nehmen wir mal die Pläne zur Stuttgarter Opernsanierung und schauen, was und wie die "Stuttgarter Zeitung" und die "Stuttgarter Nachrichten", also jene Blätter, die sich sehr einseitig für das Bahnhofsprojekt S 21 stark gemacht haben, als nun weitgehend fusionierte StZN darüber berichten. Das Projekt Opernsanierung, das mal mit 18 Millionen Euro veranschlagt war, dann nur noch für 300 Millionen Euro zu haben schien, soll plötzlich eine Milliarde kosten.

Der Redakteur und StZ-Exklusivautor Mirko Weber ist skeptisch, in seinem Aufmacher vom 12. November 2019 steht: "Es wird aber nicht nur viel zu groß gedacht, sondern auch, so hat es der OB Fritz Kuhn gesagt, im Prinzip alternativlos. Ein Plan B ist ausdrücklich nicht vorgesehen." Weber ist für eine maßvolle Sanierung des Littmann-Baus und für eine neue Oper, die auch Konzertsaal wäre. Er fragt zudem, ob sich das Musiktheaterpublikum nicht verändern würde und spricht von gesellschaftlicher Verantwortung: "Nur ein Bürger, der das Gefühl hat, in seinen elementaren sozialen Zusammenhängen gut versorgt zu sein, wird einen fälschlicherweise Hochkultur genannten Überbau akzeptieren." Sein Fazit: "Eine Sanierung der Stuttgarter Staatstheater, die nicht von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, droht in ein neues Stuttgart 21 zu münden".

Aber nein, die StZN haben nichts gelernt

Jawohl, die StZN haben aus den damals meist kritiklos übernommenen Ankündigungen der S-21-Verantwortlichen gelernt, aus der angeblichen Alternativlosigkeit der Pläne, aus den immensen Kostensteigerungen, aus dem immer wieder um Jahre verschobenen Eröffnungstermin, also aus dem ganzen S-21-Debakel, das ... Aber nein, die StZN haben nichts gelernt, der Mirko-Weber-Text war ein Ausrutscher und wohl der letzte seiner Art. Danach zieht sich in der Einheitszeitung, so als wären die von Pörksen gelobten "verschiedenen Meinungen" nicht mehr gewollt (und vielleicht auch nicht mehr erlaubt), eine Pro-Milliarden-Sanierung-Kampagne durch die Blätter, so als verstünden sich diese nun als Sprachrohr des geschäftsführenden Intendanten der Staatstheater Marc Oliver Hendriks und der ihm treu folgenden Kulturpolitik der Grünen.

Dieses Zusammenspiel von Politik und Presse nennt man heutzutage "Framing" und meint das Zimmern eines Deutungsrahmens, der verhindert, dass die Menschen durch zu viele unterschiedliche Gedanken verwirrt werden. Ein beliebter Begriff ist dabei die auch von Kuhn betonte Alternativlosigkeit, die zuletzt von Guntrun Müller-Enßlin und Hannes Rockenbauch (SÖS) an dieser Stelle kritisiert worden ist.

Den publizistischen Ton gibt der StZN-Feuilletonchef Tim Schleider an und vor, er hat sich nun ganz der Sache Milliardensanierung verschrieben. Mit starken Worten kramt er schwache Argumente raus ("Ach, ist diese Debatte alt!") und wirft den Gegnern einer letztlich den Status Quo zementierenden Sanierung sogar vor, sie würden der "bildungsfernen" Jugend eine Wir-gehen-später-auch-mal-in-ein-klassisches-Opernhaus-Emanzipation nicht zutrauen.

Aber es wird ja alles gut gehen, wie der assistierende StZN-Lokalchef Jan Sellner am 14. Dezember in einer Art Glosse schreibt. "Ein Traum von Oper", so heißt das ins Jahr 2032 und zur Wiedereröffnung vorausblickende Stücklein. (An anderer und weniger hellseherischer Stelle sehen StZN die Wiedereröffnung seltsamerweise erst fürs Jahr 2034/35 vor.) Und jetzt kriegt der Leser leuchtende Augen: "Die neue alte Oper bietet perfekte Arbeitsbedingungen für die Künstler und Mitarbeiter der Staatstheater. Äußerlich hat der historische Littmann-Bau seinen Charakter behalten. Die Verlängerung der Front in Richtung Landtag ist zu allgemeiner Zufriedenheit gelungen ..."

Jawohl, so wird’s kommen! Weil nämlich Herr Sellner das so träumt. Und im Traum blickt er von seinem privilegierten Standpunkt 2032 auf die Kleingeister des Jahres 2020: "In der Rückschau (!) erscheint der Streit darüber überflüssig ..." Und Sellner weiter: "Hier schlägt das Herz des Kulturquartiers, titeln die Zeitungen (die es noch gibt). Für eine ungetrübte Festwoche sorgt besonders die Einhaltung der Baukosten, um die es anfangs heftige Diskussionen gegeben hatte ..." Fürwahr, mit solchen Träumen ist gut Oper machen.

Nein, über 1.000 Millionen darf man nicht nachdenken

In der StZN erscheinen nun Artikel über Artikel, etwa zu unzumutbaren Arbeitsplätzen, so als wären selbige nicht auch durch einen Neubau zu verbessern, sondern nur durch eine gigantische Sanierung des Littmann-Baus. Und Tim Schleider gibt sich da auch mal ganz naiv und wundert sich in der "Kulturbilanz 2019", dass andere sich wundern: "Wie viele in der Stadt plötzlich so staunen, wie teuer die Opernhaussanierung werden kann." Nein, über tausend Millionen Euro darf man einfach nicht nachdenken. Es kämen da ja auch, so Schleider, wieder "alte Vorurteile auf den Tisch". Meint er damit, dass die Oper eben kein vorwiegend von der gebildeten Mittelschicht angenommenes Kulturangebot macht? Und was, wenn man nach maroden Schulen fragt, wie gerade ein Besucher des VHS-Pressecafés der "Stuttgarter Zeitung", eine Veranstaltung, über die das Blatt am 24.1.2020 unter der Überschrift "Die Milliardenfrage" berichtet? "Die Bereiche dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden", sagt Schleider lapidar.

Bei diesem Pressecafé nennt der Feuilletonchef auch so nebenbei eine Zahl, die fürs Opern-Interims-Gebäude bei den Wagenhallen veranschlagt sei: 170 Millionen Euro. Oder hat er diese Zahl einfach mal in seine Kampagne hineingeschmuggelt, damit niemand gleich merkt, wie weit sie über den 104,1 Millionen Euro liegt, die das Ministerium für Kunst und Kultur noch am 6. November 2019 für das Interimsgebäude veröffentlich hat? (Nun, über dieses Interim wird wohl noch zu reden sein!) Schleider aber erklärt bei dieser Veranstaltung zur Milliardenfrage verständnisvoll, dass Verwaltung und Politik mit einer "ehrlichen Zahl in die Debatte gehen." In welche Debatte denn? In der StZN jedenfalls wird so eine Debatte, obwohl es doch die beste Zeit für guten Journalismus ist, schon lange nicht mehr geführt.


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5 Kommentare verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 21.02.2020
    Antworten
    Die Baukonzerne, die z.Zt. noch eine gute Auftragslage bei S21 haben, rechnen wohl damit, dass das Monsterprojekt irgendwann doch fertig sein wird, vielleicht 2026. Da wird es höchste Zeit, jetzt ein weiteres Milliardenprojekt auf den Weg zu bringen, denn "the Bau must go on". Als nahtlos…
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