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"Die Oper gehört allen"

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Hannes Rockenbauch sorgt gerne für Aufregung. Wenn er nachfragt, sich nicht abspeisen lässt, die Gegenargumente seziert. So hat ihn das Fernsehpublikum bei der S-21-Schlichtung kennengelernt, so kennt ihn der Gemeinderat. Jetzt will er keine Ruhe geben beim aktuellen Mega-Thema Opernsanierung.

Herr Rockenbauch, was bringt Sie so auf die Palme?

Es ist das Verfahren, das bei einem so wichtigen Thema angewandt wird. Die Politik hat im Umgang mit der Oper in den vergangenen Jahren versagt. Es gibt Versäumnisse beim Brand- und Arbeitsschutz, der Raumbedarf ist gigantisch gewachsen, so dass sich Musiker quasi im Kleiderschrank einspielen müssen. Das ist unzumutbar. Es gibt gigantisch viel zu tun, um das Staatstheater zukunftsfähig zu machen. Grundsätzlich kann man große Projekte als Chance sehen, über Kultur, Stadtgesellschaft, Stadträume neu nachzudenken. Man kann so etwas aber auch als ein isoliertes Infrastrukturprojekt durchdrücken, das hinter den Kulissen ausgehandelt wird. Das ärgert mich, weil wir viele Anträge im Vorfeld gestellt haben, in denen wir Transparenz und öffentlichen Diskurs eingefordert haben. Nichts dergleichen ist passiert. Ständig werden wir alternativlos vor Entscheidungen gestellt, die nicht faktenbasiert sind. Wie oft hat es geheißen: Wir haben aus Stuttgart 21 die richtigen Lehren für Großprojekte gezogen. Das kann ich nicht erkennen, weil auch hier wieder keine Alternativen erarbeitet und geprüft wurden.

Der Erhalt des Littmann-Baus ist aber unumstritten.

Das ist er. Was aber gar nicht geht, ist eine derart gigantische Ausgabe, ohne eine wirklich öffentliche Debatte über die Notwendigkeiten, die verschiedenen Varianten und die Alternativen zu führen. Da stellen sich sehr viele Fragen. Was bringen solche Ausgaben kulturell, gesamtgesellschaftlich und stadträumlich? Was bringt uns alle vorwärts und die Oper näher an die Bürger? Schlussendlich dürfen wir den Gesamtzusammenhang eines solchen Projekts nicht unbeachtet lassen.

Der da wäre?

Es geht auch um den konkreten Alltag der Menschen in Stuttgart. Die müssen wir ernst nehmen. Menschen machen die Erfahrung, dass Schultoiletten nicht saniert werden oder es kein Geld für Radwege gibt. Das ist nicht irgendein Gefühl, sondern auch in Stuttgart eine Realität. Und dann versteht niemand, warum es für die Oper plötzlich eine Milliarde von Stadt und Land geben soll. Deshalb verlange ich vom Oberbürgermeister, dass er, wenn er hier eine Milliarde vorschlägt, uns auch einen konkreten Finanzierungsvorschlag unterbreitet. Einen, den wir einsehen und nachrechnen können. Jedes Bürgerbegehren braucht einen Deckungsvorschlag, aber nur die Oper darf eine Milliarde ohne Deckungsvorschlag kosten? Die Politik muss sagen, woher dieses Geld zusätzlich herkommt oder worauf an anderer Stelle verzichtet werden muss. Hinzu kommt, dass wir bisher nur PowerPoint-Präsentationen gesehen haben anstatt nachprüfbarer Kostenberechnungen. Wer weiß schon, wie valide die veranschlagten Kosten tatsächlich sind.

Genau das nimmt die grüne Staatssekretärin im Finanzministerium, Gisela Splett, für die Experten in ihrem Haus in Anspruch. Alle wollten immer ehrliche Zahlen, sagt sie, und jetzt lägen ehrliche Zahlen auf dem Tisch – und das passe auch wieder nicht.

Da muss ich widersprechen. Was heißt ehrliche Zahlen? Richtig ist, dass jetzt ein Jahr lang gerechnet wurde. Gleichzeitig stellt man aber nach all den Berechnungen fest, dass die Planungsgrundlage so gar nicht machbar ist, weil die gigantischen Raumanforderungen der Staatstheater nicht unter den gegebenen städtebaulichen Vorgaben der Stadt zu erfüllen sind. Gerade weil es ein Denkverbot für eine städtebauliche Betrachtung und die Einbeziehung der B14 gab. Es war doch ganz klar war, wie eng der Platz an der B14, an der Oper, am Schauspiel und am Katharinen-Stift ist. Ich flippe als Planer aus, wenn nach einem Jahr Arbeit mir eine Lösung präsentiert wird, in der LKWs zum dann neuen Kulissengebäude über den Schulhof einfahren. Nach all dem Lärm der Umbauzeit ist das für die Schule die nächste Zumutung. Zu all dem kommt, dass der Schulhof so klein ist, dass eine Drehbühne gebaut werden muss, damit die Lastwagen auch wieder herauskommen. Was für ein Aufwand.

Wie könnte die Alternative aussehen?

Die Enge ist jedenfalls völlig absurd. Wir machen gerade einen B14-Wettbewerb, um völlig neu über die Kulturmeile nachzudenken. Wenn man also von Anfang an ohne Denkverbote darangegangen wäre, bin ich mir sicher, hätten Flächen zur öffentlichen Nutzung eingeplant werden können, zum Beispiel für ein Café, für eine Verbindung zur Staatsgalerie und dem Haus der Geschichte. Man muss den "Aufbruch" von Wieland Backes und die anderen da wirklich mal loben. In deren Auftrag haben sich gerade fünf Planungsteams einen Kopf gemacht über die Kulturmeile. Da gibt es viele interessante Ideen. Und eine Lösung liegt ohnehin auf der Hand: Wir reduzieren die B14 auf jeweils zwei Spuren pro Fahrtrichtung, und schon gibt es mehr Platz!

Auch diese Idee braucht aber eine Mehrheit im Gemeinderat.

Wenn wir 50 Prozent weniger Verkehr wollen in der Stadt, und das hat der Gemeinderat bereits für die B14 beschlossen, dann können wir auf die unnötigen Spuren verzichten.

Nochmals zum von Ihnen kritisierten Vorgehen. Was stört Sie besonders?

Die stadträumliche Positionierung des neuen Kulissengebäudes ist ohne jeden Spielraum und Mehrwert für die Allgemeinheit. Wir sagen seit Langem, dass das so nicht geht. Jetzt stellt das Land selbst die Frage, was eigentlich passiert, wenn die notwendige Technik für die Oper weiterwächst und irgendwann noch mehr Platz braucht. Am jetzigen Standort gibt es unter den jetzigen Vorgaben keine Möglichkeiten. Und auf einmal zieht der Oberbürgermeister die Variante Zuckerfabrik, in welche ganze Werkstätten ausgegliedert werden sollen. Diese Info erhalten wir eine Stunde vor der Präsentation des Gesamtprojekts im Verwaltungsrat. Da ist nichts gerechnet und nichts geplant, es bleibt vieles im Vagen und im Unklaren. Was mich am meisten stört, ist, dass wir von Anfang an ganz anders hätten nachdenken können, wenn die Möglichkeit einer solchen Außenstelle als Option schon früher diskutiert worden wäre.

Treten Sie zur OB-Wahl an?

Das ist aber mal ein thematischer Sprung. Ich bin gerade noch am Überlegen.

Was würden Sie tun, wären Sie OB?

Erst einmal das Erbe betrachten. Ich anerkenne, dass Fritz Kuhn beim Thema Staatstheater Fehler und Versäumnisse geerbt hat. Aber das ist jetzt auch schon sieben Jahre her. Ich würde den Verwaltungsrat aber auf keinen Fall unter Zugzwang setzen. Da ist jetzt eine Drohkulisse aufgebaut: Im Frühjahr muss entschieden werden, sonst wird alles noch viel teurer …

… 30 Millionen Euro pro Jahr, rechnet das Finanzministerium.

Ja genau, mit diesen Kostensteigerungen setzen sie uns unter Druck. Auch stellt sich mir die Frage der Seriosität, wenn in der Präsentation am Vormittag noch von einem Baubeginn im Jahr 2023 und von zehn Jahren Bauzeit ausgegangen wird, und nachmittags beginnt man dann erst im Jahr 2026. Daran sieht man, dass alles mit sehr heißer Nadel gestrickt ist.

Was würden Sie also tun?

Ich würde alles noch einmal durchdenken, mit allen Beteiligten, mit den Teilen der Stadtgesellschaft, die sich für das Thema interessieren, mit allen, die mitmachen wollen. Die Oper gehört nicht den Opernbesuchern oder den Künstlern allein, sondern sie gehört vor allem uns, der Stadtgesellschaft. Der Littmann-Bau ist eine tolle, großartige Spielstätte, aber: Muss die Oper wirklich dort bleiben? Ich würde noch einmal grundsätzlich über die Interimsspielstätte diskutieren. Könnte man nicht für einen Mehraufwand von 100 Millionen Euro eine vollwertige dritte Spielstätte an den Wagenhallen bekommen, die nicht teilweise wieder abgerissen wird, eine Oper an einem ganz neuen Standort, raus aus dem festlichen Barock-Feeling des Littmann-Baus, in eine andere spannende Umgebung? Was sind da für Synergieeffekte möglich zwischen dem Kulturschutzgebiet im Stadtacker, dort, wo Künstler und Künstlerinnen mit ganz anderen Zugängen unterwegs sind? Und das Tolle wäre: An der B14 würde sich alles städtebaulich entspannen, und für das Ballett könnte man den Littmann-Bau deutlich kostengünstiger sanieren. Das wäre doch eine Form von Mehrwert, die die Kosten in einem anderen Licht erscheinen ließe.


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4 Kommentare verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 21.11.2019
    Antworten
    Wenn in unserem reichen Land der ländliche Raum mehr und mehr ausblutet, wenn Läden Gaststätten und Schwimmbäder dichtmachen und Brücken und andere öffentliche Bauwerke aus Geldmangel nicht saniert werden können, wäre es dann so absolut unvorstellbar, dass es in Stuttgart keine Oper mehr gibt? Wenn…
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