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Warum soll der Killesberg nicht links wählen?

Warum soll der Killesberg nicht links wählen?
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Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, tritt gemeinsam mit der Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut als Spitzenkandidat zur Landtagswahl an. Stadtrat Hannes Rockenbauch möchte im Stuttgarter Wahlkreis I antreten. Wir haben mit Riexinger und Rockenbauch gesprochen.

Ganz schön mutig, Herr Riexinger, im Homeland der CDU und eines konservativen grünen Ministerpräsidenten als Linker anzutreten.

Riexinger: So wagemutig ist das gar nicht. Umfragen sehen uns inzwischen bei fünf Prozent. Viele Wähler, insbesondere der Grünen und der SPD, sind enttäuscht. Viele haben bei der letzten Wahl taktisch gestimmt, sie wollten Mappus verhindern. Diesmal können die Leute völlig unbeschwert entscheiden, und deshalb rechne ich mir gute Chancen aus. Nachdem der Politikwechsel durch Grün-Rot ausgeblieben ist, braucht dieser Landtag dringend einen roten Farbtupfer, sprich eine Opposition, die ihren Namen verdient. Honorige Menschen wie Egon Hopfenzitz, der einst Stuttgarter Bahnhofsvorstand und für die CDU war, sind inzwischen Freunde der Linken.

Und die Perlenketten-Witwe vom Killesberg steht auch schon ante portas.

Riexinger: Wir sehen unser Potenzial schon eher in Stuttgart-Rot oder Neugereut. Aber warum sollen Killesberg-Bewohner nicht links wählen? Dazu muss es mir nicht schlecht gehen, dazu muss ich nur ein Bewusstsein für den Zustand der Welt haben. Der macht auch vor dem Killesberg nicht halt.

Rockenbauch: Die Leute haben doch die Schnauze voll davon, sich immer anhören zu müssen, sie sollten das kleinere Übel wählen, um Schlimmeres zu verhindern. Das kenne ich aus dem OB-Wahlkampf zwischen Fritz Kuhn und Sebastian Turner, und trotzdem habe ich damals als Kandidat in Stuttgart-Mitte 15 Prozent erreicht. Bei der Landtagswahl hat das bei Stefan Mappus noch geklappt – aber wer ist heute schlimmer: Kretschmann, Schmid oder Wolf?

Riexinger: Der Erste könnte bei der CDU sein, der Zweite ist die schwarze Null, und der Dritte schreibt schlechte Gedichte. Die politischen Unterschiede sind so gering, da braucht es eine Partei, die einen gänzlich anderen Politikentwurf hat.

Aber warum denn? Dem Land geht's gut, 72 Prozent finden Kretschmann prima, warum sollen die Leute ausgerechnet die Linke wählen?

Riexinger: Die Popularität der grünen Inkarnation von Erwin Teufel ist unbestritten. Das heißt aber nicht, dass 72 Prozent der Baden-Württemberger mit seiner Politik einverstanden sind. Hören die Hartz-IV-Empfänger, die Niedriglöhner, die Erwerbslosen ein Wort von ihrem Ministerpräsidenten? Lieber spricht er mit den Bossen über Hightech in Silicon Valley.

Rockenbauch: Ich habe mit Kretschmann nach seinem Amtsantritt in der Villa Reitzenstein gesprochen. Damals ging es um die Volksabstimmung zu Stuttgart 21, die er mir als Erfolg der Demokratie verkauft hat. Meine Gegenargumente hat er mit der Bemerkung vom Tisch gewischt, dass er jetzt Regierungschef sei. Weißt du, Hannes, hat er gesagt, jetzt geht es nicht mehr um Inhalte, jetzt muss ich mich an den Rechtsstaat halten. Auf meine Frage, warum er, wenn es ihm nicht um Inhalte ginge, dann unbedingt Ministerpräsident werden wollte, habe ich bis heute keine Antwort erhalten.

Herr Riexinger, wenn man Sie beide so reden hört, könnte man glauben, der grüne Kretschmann sei Ihr Hauptfeind.

Riexinger: Mir geht es nicht um ihn als Person. Das Landesväterliche, verbunden mit intellektuellen Hannah-Arendt-Einsprengseln, verkörpert er gekonnt. Ich kritisiere seine Politik, die als grüne FDP daherkommt und mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr gemein hat. Die Grünen haben einmal den sozialökologischen Umbau gewollt, hier waren sie Vordenker und Motor. Und heute? Bei den Windrädern stehen sie in Baden-Württemberg an letzter Stelle. Das muss ein grüner MP erst mal hinbekommen.

Rockenbauch: Die Grünen haben den Blick fürs Grundsätzliche verloren. Woher kommt denn die Ausbeutung von Mensch und Natur? Natürlich von der Art, wie wir leben, produzieren und wie die Herrschaftsverhältnisse auf der Welt sind. Ohne soziale Gerechtigkeit und Gleichheit sind sie nicht zu ändern. Da hilft auch der Spruch von OB Kuhn nicht weiter, man könne mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Das ist Kosmetik. Wer die Welt besser machen will, muss ans Eingemachte und die Ausbeutung von Mensch und Natur überwinden. Das macht die Linke als einzige Partei, und es wird höchste Zeit, dass sie das auch im Landtag tun kann.

Da werden sich die Herren von Daimler, Porsche und Bosch aber warm anziehen müssen.

Riexinger: Ich kenne den Spruch: Gegen die Wirtschaft ist nicht zu regieren. Das ist ein Offenbarungseid, den auch die Grünen geleistet haben. Sie sind im Klub angekommen, der sagt: Die Wirtschaft bestimmt die Rahmenbedingungen und nicht die Politik. Wir halten dagegen: Wir müssen das Primat der Politik wieder einführen. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

Rockenbauch: Keiner kann etwas gegen Wirtschaft haben, nur gegen die wenigen in der Wirtschaft, die sich auf Kosten vieler bereichern. Winne Hermann sagt einmal "weniger Autos", und schon steht der Porsche-Chef auf der Matte. Wenn man sich von solchen Leuten domestizieren lässt, gibt man sich selber auf. Wir haben doch alle einen Politikwechsel erwartet. Ein grüner MP, ein grüner Verkehrsminister, ein grüner OB, und was wurde daraus? Stuttgart 21 wird gebaut, der soziale Wohnungsbau kommt nicht voran, der versprochene Demokratieaufbruch hat nicht stattgefunden.

Wenn wir uns richtig erinnern, sitzt aber auch die SPD in der Regierung.

Riexinger: Die SPD kann doch das Wort "sozial" erst wieder buchstabieren, seit sie von der Linken dorthin getrieben wurde. Die Agenda 2010 hatte sie schon abgehakt. Und in Stuttgart schafft sie es nicht einmal, das soziale Gewissen der Landesregierung zu sein. Nils Schmid beschränkt sich darauf, Buchhalter zu sein und die Interessen gut situierter Erben zu vertreten. Was einmal eine Arbeiterpartei war, repräsentiert Schmid zu null Prozent.

Rockenbauch: Die SPD ist nicht nur Nils Schmid und Claus Schmiedel. Es gibt bei den Sozialdemokraten wie bei den Grünen Leute, die gegen die mutlose Parteilinie sind. Nicht nur bei S 21. Eine Linke im Landtag würde ihnen das Leben erleichtern, würde ihnen helfen, ihre Positionen zu stärken. Als Kommunalpolitiker weiß ich, wie wichtig parteiübergreifende Bündnisse sind.

Aber beide, weder SPD noch Grüne, wollen sie im Boot haben.

Riexinger: Das verstehe, wer will. Die SPD hätte längst begreifen können, dass die Ausgrenzung der Linken nicht funktioniert. SED-Vergangenheit und Ähnliches – das zieht nicht mehr. Wir sind inzwischen ein stabiler Faktor in der Politik. Aber für uns hat das den Vorteil, eine klare linke Oppositionspolitik machen zu können, ohne auf irgendwelche Koalitionen schielen zu müssen.

Wer die Linke wählt, wählt CDU – schon vergessen?

Riexinger: Was das für ein Schwindel ist! Wer will denn mit der CDU ins Bett? Je nachdem, wie viel Stimmen die Schwarzen kriegen werden, stehen Grüne und SPD als Juniorpartner bereit. Was für eine beliebige, dröge Geschichte. Bei der CDU finde ich nur ihr Dilemma interessant: Sie fällt als Oppositionspartei aus, weil Grün-Rot ihre Politik macht und Kretschmann in der falschen Partei ist.

Rockenbauch: Und genau deshalb bleiben viele zu Hause. Warum sollen sie auch wählen gehen, wenn sich für sie nichts ändert. Es ist doch eine Katastrophe, wenn man den BürgerInnen das Gehörtwerden verspricht und dann die Quoren für Volksabstimmungen zusammen mit der CDU und SPD im Hinterzimmer auskungelt, um dafür die Mitbestimmung bei Satzungsbeschlüssen von Bebauungsplänen zu opfern.

Geh nicht mit den Schmuddelkindern ...

Rockenbauch: Hey, ich weiß ich jetzt schon, was da noch kommt. Der Junge will Karriere machen, er spaltet, er will einen grünen MP verhindern. Das kenne ich alles von der OB-Wahl. Wenn man eine Politik betreibt, die auf eine gesellschaftliche Transformation abzielt, gibt es viele, die alles tun werden, um dich kleinzuhalten. Die einen finden es gut, wenn man die LBBW-Vorstände als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet, die anderen sagen, das sei eines Stadtrats unwürdig. Ich habe gelernt, mich auf meine Inhalte zu konzentrieren.

Riexinger: Ich bin gern ein Schmuddelkind, wenn das bedeutet, dass ich die Menschen vertrete, die für die anderen Parteien bedeutungslos sind. Ich kämpfe für die Hartz-IV-Empfänger, für die Erwerbslosen, für die Verkäuferinnen aus dem Niedriglohnbereich, für die Erzieherinnen. Da sind die Menschen, die jeden Monat schauen müssen, wie sie ihre Miete bezahlen können. Und wenn es schmuddelig ist, gegen die Überwachung durch die NSA, gegen Waffenexporte, gegen Kriegseinsätze zu kämpfen, dann bitte.

Die Frage bleibt trotzdem, ob das in Baden-Württemberg für fünf Prozent reicht?

Riexinger: Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, würde ich nicht als Spitzenkandidat antreten. Inzwischen hat Die Linke drei Wählergruppen. Die Menschen in den sozialen Brennpunkten, die wir aus dem Nichtwählen herausholen wollen, die "normalen" Beschäftigten und einen wachsenden Akademikeranteil. Ein Drittel unserer Wähler in Hamburg und Bremen hatte einen Hochschulabschluss. Ein Ingenieur von Daimler sieht die soziale Spaltung doch auch, den Verkehrsinfarkt, den Feinstaub, und dass er für eine Wohnung einen Quadratmeterpreis von 5000 Euro zahlen muss. Und wir haben einen überdurchschnittlich hohen Zulauf von jungen Leuten, die sagen, dass Die Linke eine Partei ist, die noch Grundsätze vertritt. Diese Jungen haben noch moralische Werte, was wir in der Flüchtlingsfrage erkennen. Kretschmann hat das Recht auf Asyl verraten.

Rockenbauch: Hinter dem bewusst geschaffenen Schmuddelimage steckt die Botschaft: Du musst für dein Wohlergehen nach unten treten. Wir dürfen uns aber nicht immer nach unten abgrenzen, wir müssen uns gemeinsam gegen die da oben wehren, die dich abkassieren, ausbeuten. Das müssen wir frech immer wieder klarstellen.

Kluger Schachzug: hier der bodenständige Gewerkschafter, dort der Jungrevoluzzer.

Riexinger: Stopp. Der bodenständige Gewerkschafter hat einige Unruhe in die Stadt gebracht. Kein Bezirk hat so viel gestreikt wie meiner, keiner hat so viele Bündnisse geschlossen, mit Attac oder S-21-Gegnern. Da war ich bei Verdi noch ein Paradiesvogel. Aber selbstverständlich haben die Baden-Württemberger ein Recht auf Seriosität. Ich pflege zu halten, was ich verspreche.

Rockenbauch: Ich war schon immer ein Linker mit dem Herzen. Nur mit den Parteien habe ich Probleme. Aber die Linke habe ich als Partei erlebt, die für soziale Bewegungen offen ist, und wenn sie jetzt noch für mich als parteilosen Kandidaten offen ist, macht sie das glaubwürdig. Und was spricht dann dagegen, gemeinsam in die Fleischtöpfe der richtig Reichen und Mächtigen zu greifen und sich das richtig gute Leben für alle rauszuholen? 

Das dürfte eine richtig harte Geschichte werden.

Riexinger: Unter der Oberfläche brodelt's schon. Erzieherinnen stehen drei Wochen auf der Straße, weil sie mies bezahlt werden, weil sie weniger für ihre Arbeit kriegen als Arbeiter am Band. Den einen vertraut man Kinder an, den anderen Autos, wobei Letzteren der bessere Lohn gegönnt sei. Es gibt immer mehr Menschen, die dieses Strampeln im Hamsterrad satt haben. Auch in den akademischen Berufen regiert der Dauerstress, dominiert die Arbeit das ganze Leben. Wir haben den perversen Zustand, dass die einen keine Beschäftigung haben und die anderen zu viel.

Rockenbauch: Das mag hart werden, aber ist es nicht härter, wenn sich die Menschen jeden Tag fragen müssen, wie sie es mit einer Familie mit diesen Arbeitszeiten hinkriegen sollen, mit ungewissem Einkommen, von der Rente ganz zu schweigen? Wie das in diesem Raubtierkapitalismus zu schaffen ist? Da ist dieser Kapitalismus gescheitert. Aber von vornherein gescheitert ist auch der, der glaubt, er könne gegen dieses System keine Politik machen. Wer die Unterstützung nicht von der Wirtschaft bekommt, muss sie sich eben von den Menschen holen. Das ist doch das Tolle an der Demokratie. Gewinne ich die Menschen, selbst aktiv zu werden, dann brauche ich keine PR und keine Medienberater mehr.

Riexinger: Ich bin da ganz zuversichtlich. Ein Beispiel: In den 1990er-Jahren konnte Roland Koch noch die Flüchtlingsfrage für eine ausländerfeindliche Stimmung instrumentalisieren. Heute empfangen die Menschen auf der Schwäbischen Alb Flüchtlinge mit offenen Armen. Undenkbar vor 20 Jahren. Hier haben Menschen erkannt, dass sie nicht Spielball der Politik sind, sondern Akteure in der Arena. Das sollte uns allen Mut machen.


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15 Kommentare verfügbar

  • Volker Maisch
    am 26.06.2015
    Antworten
    Schwabe/Straßenbürger

    Sie haben Recht !!!

    Demokratie-Kapitalismus = Religion...

    Die da " oben " merken es erst, wenn die Welt vor dem Abgrund steht. Die so genannte Neoliberalistische Politik seit der " Wende " 1989/90 fährt den Karren an die Wand !!!
    Mit ihrer opportunistischen Politik "…
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