Herr Riexinger, Glückwunsch zur Wiederwahl mit Traumergebnis: Die Linke bestätigte kürzlich ihr Führungsduo Katja Kipping mit 77,3 Prozent – und Bernd Riexinger mit 89,7 Prozent.
Ich werte dies als Bestätigung, dass Katja Kipping und ich die Partei in den vergangenen zwei Jahren wieder zusammengeführt und ein Stück weit auch auf die Erfolgsspur zurückgebracht haben. Die Linke kann heute ganz optimistisch in die Zukunft schauen.
Ihr Optimismus in Ehren, aber bei der Europawahl gehört die Linke mit geringen prozentualen Verlusten auch zu den Verlierern.
Wir haben absolut Stimmen gewonnen. Das Ergebnis zeigt, dass wir ein stabiler politischer Faktor sind, an dem niemand vorbeikommt.
Wie erklären Sie sich den Erfolg der AfD in Deutschland? Oder in Frankreich den Durchmarsch des rechtsextremen Front National zur stärksten Partei?
Der Rechtspopulismus ist ein europäisches Problem. Die zunehmende Gesellschaftsspaltung in ganz Europa bereitet den Boden für rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien und Gruppen. Diese spielen die nationale Karte und versuchen die Interessen der Völker gegeneinander auszuspielen. Sie malen Bilder wie "Wir zahlen für alle" und Ähnliches und sprechen damit das Bürgertum und den Mittelstand an, der unter Absturzängsten leidet. Die AfD grätscht in diese Gefühlsebene rein.
Welche Strategien wirken dagegen?
Das ist nicht einfach für uns, da wir kaum Schnittmengen etwa mit der AfD-Wählerschaft haben. Im Westen gar keine und im Osten wenig. Die Populisten profitieren vom Niedergang der FDP und teilweise auch von der CDU und von Nichtwählern. Auch scheint derzeit eine Radikalisierung selbst in den bürgerlichen Parteien stattzufinden. Es ist Aufgabe der Links-Partei, vor allem der mittelständischen Bevölkerung deutlich zu machen, dass Rechtspopulismus keine Lösung, sondern eine Katastrophe ist.
Zurück zum Tagesgeschäft. Was haben Sie sich vorgenommen für die nächsten zwei Jahre als Parteivorsitzender?
Seit der Bundestagswahl ist die Linke stärkste Oppositionspartei in Berlin. Dadurch können wir Politik mehr mitgestalten als zuvor. Wir planen einen Zukunftskongress, auf dem wir die wichtigen Fragen unserer Zeit und der nächsten Jahre herausarbeiten wollen. Neben den klassischen Themen wie Mindestlöhne, Renten und Hartz IV rücken die öffentliche Daseinsvorsorge und insbesondere der ökosoziale Umbau unseres Wirtschaftssystems in den Fokus. Es kann nicht so weitergehen, dass wir Deutschen immer mehr Exportüberschüsse erwirtschaften und damit die anderen Länder in der Defizitfalle und Schuldenspirale gefangen bleiben.
Wir wollen eine mehrjährig angelegte Kampagne gegen prekäre Arbeitsverhältnisse führen, die sich hierzulande weiter verfestigen. Dass ein Viertel bis ein Drittel der Beschäftigten inzwischen in befristeten Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit und Werkverträgen, in Mini- oder Midijobs oder auch strukturell unterbeschäftigt tätig sind, scheint ein Strukturelement von Produktion und Verteilung geworden zu sein. Die Koalition geht dieses Problem nicht an. Ein Mindestlohn, der ohnehin zu gering und löchrig ist, löst es nicht. Wir können nicht akzeptieren, dass viele Menschen in Deutschland von der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen und an den Rand gedrängt sind.
Überschätzt die Linke da nicht ihren Einfluss? Die Opposition im Bundestag ist doch nur ein Zwerg gegenüber der Großen Koalition.
Wir treten sehr agil im Parlament auf, machen viele Anfragen und Gesetzesentwürfe. Wir definieren uns aber nicht nur parlamentarisch, sondern wollen in der Gesellschaft etwas verändern. Wir arbeiten eng mit den Gewerkschaften zusammen, um das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zu beeinflussen. Wir wollen außerparlamentarische Bewegungen stärken, etwa die Bankenkritiker von Blockupy oder die Initiativen gegen die Privatisierung der Daseinsvorsorge, wie aktuell in Hamburg und Stuttgart die Bürgerinitiativen zur Rekommunalisierung der Energieversorgung. All diese Dinge finden vor Ort in der Gesellschaft statt. Dort wollen wir uns stärker verankern, noch stärker Motor dieser Entwicklungen sein und auch unsere Kampagnenfähigkeiten ausbauen.
Wie lassen sich die Menschen für gesellschaftskritische Politik und Einmischung interessieren? Umfragen zeigen, dass viele zufrieden sind, so wie es ist. Auch weil es uns in Deutschland im europäischen Vergleich ausgezeichnet geht.
Dafür hat niemand ein Patentrezept. Wobei die These, dass hierzulande alles bestens ist, nicht für ganz Deutschland zutrifft. Der jüngste OECD-Bericht sagt, dass die Ärmsten und die sozial Schwächeren vom wirtschaftlichen Aufschwung ausgeschlossen sind. Der Bericht belegt auch, dass hier überdurchschnittlich viele Menschen in prekären Verhältnissen arbeiten. Statistisch verringern diese zwar die Massenarbeitslosigkeit. Tatsächlich können aber Millionen von Menschen von ihrer Arbeit nicht leben. Auch ist die Vermögensverteilung in Deutschland extrem ungerecht. Inzwischen verfügen nur noch 37 Prozent der Haushalte über Vermögen, was im internationalen Vergleich außerordentlich wenig ist. Die These von Frau Merkel, dass wir gut durch die Eurokrise gekommen sind, stimmt so einfach für viele Leute nicht. Das merken inzwischen auch viele aus dem Mittelstand, die in vermeintlich sicheren Verhältnissen leben. Auch sie sagen, dass es so nicht weitergehen kann.
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Rolf Steiner
am 01.06.2014