Herr Koch, der AfD-Chefideologe Marc Jongen will die Kultur "entsiffen". Wie positionieren Sie sich dazu?
Die AfD-Anfrage im Juni zur Staatsangehörigkeit der Künstler war für uns ein Weckruf. Wir wollten uns aber nicht nur empören, das hätte sich schnell erschöpft, sondern mit einer entsprechenden Hintergrundrecherche arbeiten: zunächst für uns selbst, dann aber auch für die Öffentlichkeit, um damit die vermeintliche Harmlosigkeit der Anfrage zu enttarnen und Bezüge herzustellen: zum Grundsatzprogramm der Partei, aber auch historisch. Schon 1930 stellte der damals einzige württembergische NSDAP-Abgeordnete Christian Mergenthaler eine Kleine Anfrage zur Uraufführung von Ossip Dymows "Schatten über Harlem": wie es sein könne, dass in deutschen Theatern "Negermusik" gespielt werde.
Das haben Sie recherchiert aufgrund der AfD-Anfrage?
Man braucht ja Anhaltspunkte. Unser Anhaltspunkt war eine von dem Historiker Hannes Heer erstellte Ausstellung 2008 im Staatstheater unter dem Titel "Verstummte Stimmen". Da ging es um die von den Nationalsozialisten vertriebenen, verfemten, ermordeten oder zur Emigration gezwungenen Künstlerinnen und Künstler, aber auch Mitarbeiter. In der Dokumentation, eine Broschüre unter dem Titel "Sie brauchen nicht mehr zu kommen", ist dieser Fall sehr gut dokumentiert, also auch die Entwicklung vor 1933. Das ist entscheidend: Wir wissen, was ab 1933 passiert ist. Aber wie hat sich das aufgebaut?
Und dann haben Sie das Kultusministerium darauf aufmerksam gemacht?
Genau. Und wir haben gemeinsam gesagt: Wenn wir jetzt nicht stark reagieren, dann ermutigt das nur zu Weiterem. Unsere andere Recherche ging ja in die Tiefen der AfD-Strategie von Jongen und Hans-Thomas Tillschneider, dem Landtagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt. Auf Tillschneiders Website steht: Ein starkes Theater braucht eine identitäre Bewegung. Wenn man das liest, wird sofort klar, dass die Anfrage nicht so unschuldig war, wie der Abgeordnete Rainer Balzer in Stuttgart behauptet hat. Diese Unschuld ist nur Schein. Einerseits zu hinterlegen, dass die Anfrage der AfD Teil eines größeren strategischen Puzzles ist, und gleichzeitig zu zeigen, dass diese Strategie zwar nicht identisch ist, sich aber auf jeden Fall herleitet von der Strategie, die damals von den Nationalsozialisten erfolgreich angewandt wurde, war schon ein wichtiger Punkt.
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Manfred Fröhlich
am 25.09.2019