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AfD und Europawahl

Je extremer, desto erfolgreicher

AfD und Europawahl: Je extremer, desto erfolgreicher
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Jetzt haben Rechtsextreme die AfD endgültig übernommen. Bei der Delegiertenversammlung in Magdeburg zur Europawahl 2024 waren Hetztiraden und krude Theorien Voraussetzung, um einen der vorderen Plätze zu ergattern. Damit rückt auch das in Baden-Württemberg eingeführte Listenwahlrecht in neues Licht.

So also geht brandgefährliches politisches Theater. Jeder – und ab Listenplatz vier jede – muss die sieben Minuten Redezeit nutzen für anti-europäische Tiraden. Über viele Stunden zieht sich auf dem Europaparteitag der AfD am vergangenen Wochenende der absurde Überbietungswettbewerb an Falschdarstellungen hin, an persönlichen Diffamierungen und haltlosen Behauptungen. Und er ist noch nicht zu Ende, denn am kommenden Wochenende wird die unterbrochene Versammlung fortgesetzt, zwecks Vergabe von 15 weiteren Listenplätze und der Beratung eines neuen Europaprogramms.

Für Baden-Württemberg war bisher Emil Sänze die Benchmark beim EU-Bashing. Der AfD-Landesvorsitzende und Rottweiler Landtagsabgeordnete zählt seit jeher zum extremen Flügel der Partei und arbeitet sich nicht nur an Brüssel ab, sondern bevorzugt auch an den Grünen. Kürzlich "musste" er "konstatieren", dass es angesichts von "Cem (Özdemir), Danyal (Bayaz), Mehmet (Kilic) oder Muhterem (Aras) ein 'Döner-Abo' für Kandidaturen und hohe Staatsämter" gebe. Bei der Delegiertenversammlung in Magdeburg wandte sich der frühere Prokurist der Deutschen Bank gegen den umstrittenen, am Ende aber doch beschlossenen Beitritt zur äußerst rechts positionierten europäischen Sammlungspartei "Identität und Demokratie" (ID), weil sich die AfD nicht dem "schnöden Mammon" unterwerfen und damit Glaubwürdigkeit verspielen dürfe. Sänze kandidierte allerdings nicht für die AfD-Europa-Liste, aus Baden-Württemberg ergatterte der Bundestagsabgeordnete Marc Jongen Platz sechs.

Mit EU-Geld die EU bekämpfen

Zitate von der Konferenz

Zwei Tage lang in bisher 15 Vorstellungsrunden haben sich AfD-Kandidat:innen mit ihren Bewerbungsreden für die Liste zur Europawahl 2024 präsentiert. Niemand kam ohne Verbalinjurien aus, Viele griffen zu radikalen Bildern und Behauptungen. Eine Auswahl:

"Es gibt nur zwei Geschlechter, die Mutter ist eine Frau, der Vater ist ein Mann, den Irren muss das Handwerk gelegt werden, wer Kinderseelen zerstört, zerstört unser heiliges Land."

"Wir müssen die AfD als trojanisches Pferd den Brüsseler Spitze unterschieben.“

"Wir kämpfen gegen die Kriegstreiber und Globalisten, die uns versklaven wollen."

"Wenn wir an der Regierung sind, werden wir den Kommunisten das Allerallerschlimmste antun, was man tun kann, wir drehen ihnen den Geldhahn zu, ich hoffe die Presse schreibt mit."

"Wir müssen das Parlament für zwei Dinge nutzen, wir müssen uns vernetzen zu einem deutsch-französischen Tandem der Patrioten, und zum anderen müssen wir die erheblichen finanziellen Mittel nutzen zum Aufbau unserer Strukturen. Wir müssen möglichst viel Geld aus den Brüsseler Schatztruhen in die eigenen Kanäle lenken.“

"Solange die EU noch besteht und wir Mitglied sein müssen, werden wir dafür sorgen, dass im Parlament deutsch gesprochen wird, deutsch gedacht und politisch deutsch gehandelt."

"Der Klimanotstand ist eine wissenschaftliche Fiktion, und wir müssen so lange aufklären bis es der Letzte weiß."

"Wir sind das Bollwerk gegen das grüne Narrenschiff, das dieses Land in Grund und Boden regiert."

Für die sich massiv verschärfende Tonlage in der AfD ("Wir sind das Bollwerk gegen das grüne Narrenschiff") kennzeichnend ist, dass Stimmen wie die Sänzes oder von seinem Parteivize Jongen noch zu den verhältnismäßig leiseren gehören. Während der vielen zähen Stunden der Versammlung kristallisiert sich eine klare Wahlkampfbotschaft heraus: "Dexit", also die von vielen AfDler:innen herbeigesehnte deutsche Parallele zum Brexit der Briten, war gestern. Heute geht es der Partei nicht mehr bloß um das Verlassen der EU, sondern um deren Zerschlagung. Weil entschieden wurde, das Europawahlprogramm erst nach der Wahl von insgesamt 30 Kandidat:innen möglicherweise sogar auf einem neuen Parteitag zu verabschieden, ist allerdings unklar, wie diese und andere extreme Positionen inhaltlich umgesetzt werden.

Ein Top-Ergebnis bei den europaweiten Wahlen im nächsten Juni soll jedenfalls im Zusammenspiel mit den nationalistischen Kräften in Österreich und Frankreich, den Niederlanden oder Schweden und erst recht mit Victor Orbáns Fidesz für neue Mehrheiten im EU-Parlament sorgen. Vor allem will die Partei danach möglichst viel Geld abgreifen, Mammon, wie Sänze sagte, für eigene Vorfeld-Organisationen, für die Partei-Stiftung, für Publikationen und dafür, "den politischen Wahnsinn" der anderen Parteien zu enttarnen, so Anja Arndt (Listenplatz 13) aus Ostfriesland.

Die 56-Jährige ("Ich liebe unser Volk") ist daheim die neue Kreisvorsitzende und hat die Mitgliederzahl binnen Jahresfrist von 86 auf 147 hochgeschraubt. Hinzu kommt ein auffallend gutes Abschneiden bei der niedersächsischen Landtagswahl. Sie hat sehr klare Vorstellungen davon, wie sie Fuß fassen will in der europäischen Politik. Die frühere Gymnasiallehrerin für Politik, Wirtschaft und Sport kündigt an, sich den "Beutelsbacher Konsens" zu Nutze zu machen. Die in der Remstal-Gemeinde getroffene Vereinbarung der Kultusministerkonferenz von 1976 garantiert Schülern und Schülerinnen eine freie Meinungsbildung. Für Arndt heißt das, dass sie ihr EU-Mandat nutzen wird, so lange darüber zu informieren "bis es der Letzte weiß", dass der Klimanotstand "eine wissenschaftliche Fiktion" ist, der Menschen im blinden Gehorsam und "mit Verachtung für Tatsachen" folgten. Sie hingegen werde sich die gezielte Aufklärung junger Menschen auf die Fahnen schreiben.

Und die EVP wanzt sich an die Rechtsextremen ran

Vielleicht richtet sich dieser und sonstiger Wahnsinn selbst, vielleicht kann der gespenstische Hochlauf nicht nur gestoppt, sondern noch umgekehrt werden. Vielleicht sind viel weniger Menschen, als es die AfD erwartet, empfänglich für Botschaften à la "Ursula von der Leyen ist eine grundschlechte und grundböse Frau". Oder: "Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann." Oder: "Wir wollen die letzte Generation von Politikern im europäischen Parlament sein." Aber vielleicht eben auch nicht. Dann ist Standfestigkeit gefragt, vor allem in der Europäischen Volkspartei (EVP).

Stattdessen sucht Manfred Weber (CSU), der Niederbayer an der Spitze der konservativen EVP im Europaparlament, schon seit Monaten die Nähe zu ganz rechts, so als gäbe es gar keine Brandmauer. Er liebäugelt offen mit dem, was er "italienisches Modell" nennt, also die Zusammenarbeit von Bürgerlichen mit äußerst Radikalen. Viele der neuen Verbündeten der AfD in extrem rechten ID sind schon einen großen Schritt weiter.

In Österreich haben die Nationalpopulist:innen von der FPÖ zweimal mit der bürgerlichen ÖVP regiert. Die ehedem ehrenwerte spanische Partito Popular hätte nach den Wahlen vor eineinhalb Wochen ohne Zögern eine Regierung mit der rechtsextremen VOX gebildet, wenn beide eine Mehrheit erreicht hätten im Madrider Parlament. In Schweden landeten die ebenfalls zu Europas bürgerlicher Parteienfamilie gehörenden Moderaterna mit mageren 19 Prozent nur auf Platz drei bei den Reichstagswahlen im Vorjahr, während die Sozialdemokraten um zwei auf 33 Prozent zulegten. Trotzdem wurde Ulf Kristersson von den Moderaten Ministerpräsident, weil er sich von den rechten Schwedendemokraten tolerieren lässt.

Auf solche Entwicklungen und möglichst viele Nachahmer:innen setzt die AfD. "Wir sind nicht klein", brüllt einer der Kandidaten in Magdeburg, "wir wollen keine randständige Partei mehr sein, sondern wir wollen Mehrheit haben gegen die etablierten Parteien, die sich Europa zur Beute gemacht haben." Töne wie diese werden AfD-Listenparteitage künftig insgesamt bestimmen. So werden die besonders Radikalen geradezu in die Parlamente geschwemmt, weil Maß und Zwischenton nicht mehr gefragt sind. "Solange die EU noch besteht und wir Mitglied sein müssen, werden wir dafür sorgen, dass im Parlament deutsch gesprochen wird, deutsch gedacht und politisch deutsch gehandelt", verlangt ein weiterer Kandidat. Und Petr Bystron (Listenplatz zwei), bis zu seinem Einzug in den Bundestag vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet, benutzt ungeniert den Begriff "Globalist" aus dem antisemitischen Zettelkasten.

Listenwahlrecht hilft da auch nicht

Immerhin hat der Verfassungsschutz auch in Magdeburg aufgepasst und wird – nicht nur am kommenden Wochenende – weiter aufpassen. Für dessen Präsidenten Thomas Haldenwang zeigte sich schon nach der Besetzung der ersten 15 Listenplätze, "dass Personen, die in der Vergangenheit mit Positionen aufgefallen sind, die nicht mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind, der AfD-Delegation im kommenden Europäischen Parlament angehören werden". Vertreter des gemäßigteren Lagers hätten so gut wie keine Rolle mehr gespielt, einige gewählte Kandidaten hätten vielmehr "rechtsextremistische Verschwörungstheorien" geäußert.

Und da kommt das Listenwahlrecht ins Spiel. Jörg Meuthen, der frühere Landtagsfraktionschef im Südwesten und inzwischen aus der Partei ausgetretene Europaabgeordnete, meinte vor Jahren, mit dem baden-württembergischen Wahlrecht ganz ohne Liste den Einzug höchst mediokrer Parlamentskollegen erklären zu können, von Wolfgang Gedeon bis Heinrich Fiechtner. In einem Hinterzimmer versammele sich ein Kreisverband, so erläuterte er seine Theorie einmal vor Medienvertreter:innen in Brüssel – "und der eine, der lesen und schreiben kann, wird nominiert". Damals erhoffte sich der Kehler Professor "eine gewisse Normalisierung" durch das angekündigte Listenwahlrecht. Eingetreten ist das Gegenteil. In ihrer Blase legen AfD-Mitglieder, die ein Mandat erlangen wollen, immer noch weiter nach, um sich extremer zu positionieren und zu profilieren. So gesehen wird die Einsicht in die Notwendigkeit, die Brandmauer stehen zu lassen, in den beiden Unionsparteien noch viel wichtiger als sie ohnehin schon ist. Im Interesse Europas, der Republik und in ihrem eigenen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Hartmann
    am 04.08.2023
    Antworten
    Das neue Listenwahlrecht ist ein demokratischer Rückschritt. Wobei das bisherige Landtagswahlrecht auch nicht der Weisheit letzter Schluß war. Man hätte sich am bayerischen Wahlrecht orientieren sollen, wo die Wähler die personelle Zusammensetzung des Landtags bestimmen. Bei Kommunalwahlen geht so…
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