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EU-Klimaschutzpaket und Emissionshandel

"So eine Welt will ich nicht"

EU-Klimaschutzpaket und Emissionshandel: "So eine Welt will ich nicht"
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Der grüne Stuttgarter Europaabgeordnete Michael Bloss hat den Emissionshandel, der im neuen EU-Klimaschutzpaket geregelt ist, nicht nur mit ausverhandelt. Er kann ihn auch erklären. Mit dem Gesetzespaket ist er insgesamt zufrieden – beklagt aber eine Leerstelle bei der sozialen Gerechtigkeit.

Herr Bloss, wie heizen Sie?

Am liebsten würde ich gar nicht oder fast nicht heizen, weil das Beste wäre, wenn das Haus oder die Wohnung ordentlich gedämmt ist und einen Nah- oder Fernwärmeanschluss hat. Die Realität ist eine andere: Wir leben in einer Mietwohnung, und da gibt es eine Gasheizung. Leider.

Je nachdem, wie lange die noch tut, sind Sie also direkt betroffen von der Neuregelung des Emissionshandels, den Sie im Europarlament mit ausverhandelt und durchgesetzt haben.

Michael Bloss ist bestens vernetzt, seit er 2008 in die Grüne Jugend eintrat. Er wurde 2019 als Stuttgarter Abgeordneter ins EU-Parlament gewählt, im baden-württembergischen Landesvorstand seiner Partei macht er Druck von links. Energiethemen verschrieb sich Bloss schon in der Schulzeit, erreichte damals in der achten Klasse, dass eine Solaranlage installiert wurde. Heute ist der inzwischen 36-Jährige klimapolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament und hat als Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen den Emissionshandel mit ausverhandelt, einen wesentlichen Teil des neuen EU-Klimaschutzpakets "Fit for 55". Dessen bereits im Dezember 2022 beschlossene Verschärfung wurde vergangene Woche offiziell vom EU-Parlament bestätigt.  (jhw)

Stimmt.

Und Sie können sicher gut erklären, was auf Betroffene zukommt.

Nach unseren Vorstellungen und nach den Beschlüssen auf europäischer Ebene ist der Emissionshandel ziemlich groß und ziemlich mächtig. Er folgt dem Prinzip, wer verschmutzt, also mit Gas oder Öl heizt oder mit fossilen Kraftstoffen Auto fährt, muss zahlen. Wir legen ein festes Budget an Verschmutzungsrechten für den CO2-Ausstoß fest. Je mehr CO2 verbraucht wird, desto weniger ist im Budget drinnen. Und je weniger dieser Verschmutzungsrechte zur Verfügung stehen, desto höher wird der Preis. Mit dieser vorhandenen Menge an Zertifikaten, die gekauft werden müssen, um CO2 emittieren zu dürfen, ist es wie mit einer Schale, in der eine bestimmte Anzahl von Smarties ist. Jeder, der emittieren will, braucht ein Smartie. Jedes Jahr gibt es weniger Smarties. 2040 gibt es gar keine mehr. Werden die pro Jahr verfügbaren zu schnell aufgegessen, sind sie für immer weg, denn es gibt keinen Nachschub. Und um die letzten zehn Stück wird gefeilscht werden. Die letzten werden die bekommen, die die höchsten Preise zuerst bezahlen können, das sind die Industrien, die zahlungskräftig sind, während der Verkehrs- oder der Wärmebereich, der die Menschen sehr konkret jeden Tag betrifft, nicht mehr so viele CO2-Zertifikate bekommen wird.

Was bedeutet das konkret?

Wir steuern jetzt in Europa auf einen CO2-Preis von 45 Euro pro Tonne zu, das heißt neun Cent mehr für den Liter Diesel und Benzin.

Die Klimaforscherin Claudia Kemfert spricht aber von 200 Euro pro Tonne.

Recht hat sie. Das wird kommen, und das wird richtig teuer auf dem Weg zur Klimaneutralität. Und das müssen alle öffentlich sagen, vor allem die, die jetzt bremsen. Deshalb ist es so wichtig, jetzt im Wärmebereich zu informieren, vorausschauend zu handeln und nicht in alte Systeme zu investieren, anstatt gegen die Grünen in der Ampel und gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck zu polemisieren. Die, die jetzt nach den letzten Gasheizungen greifen, nach dem vermeintlichen Schnäppchen, die stellen sich selbst ein Bein. Es sind doch die Schwaben, die wissen, wie Geld zusammenzuhalten ist. Diese Schnäppchenjagd wird auf die nächsten 20 Jahre betrachtet sehr, sehr teuer.

Von welchen Ländern kann die Bundesrepublik etwas übernehmen?

Zum Beispiel, das wird manche überraschen, von Osteuropa, wo es sehr viele Fernwärmenetze gibt. Wärmenetze sind die effizienteste und günstigste Möglichkeit, viele Menschen zu versorgen. Wir müssen darin besser werden, dass nicht jeder für sich vorsorgt, sondern dass wir als Gemeinschaft Angebote machen, zum Beispiel zur Nutzung der Abwärme aus der Industrie oder von Datenzentren. Oder in Frankreich ist Heizen mit Strom statt mit Gas viel verbreiteter …

allerdings mit Atomstrom.

Bei uns werden es natürlich die Erneuerbaren Energien sein, denn aus Kohle oder aus Gas Wärme zu machen, kann die Alternative nicht mehr sein. Baden-Württemberg will 2040 klimaneutral sein, zehn Jahre früher als die EU, und das bedeutet den Abschied von fossiler Energie. Gerade Baden-Württemberg muss jetzt zeigen, dass das funktioniert. Wir setzen in Europa den Rahmen, aber natürlich gibt es Erwartungen an die Grünen, die eine Landesregierung führen und in der Bundesregierung sitzen.

Aber im Sandwich. Auf der einen Seite gibt es die FDP als Koalitionspartner, die bremst und so tut, als würde es Smarties für alle regnen, auf der anderen die Klimaaktivist:innen, die drängen. Was tun?

Da muss ich nochmals auf das Prinzip des Zertifikatehandels kommen. Es gibt nicht mehr Smarties als die, die in der Schüssel sind. Das ist beschlossen und verkündet, und davon werden wir nicht abweichen. Wenn in der Lausitz Kohlekraftwerke weiterlaufen, vielleicht gerade sogar in Volllast, und besonders viel CO2 ausstoßen, dann bleiben wir dennoch insgesamt auf Kurs, weil die vorhandene Menge bis zum Erreichen der Klimaneutralität gedeckelt ist. Der Emissionshandel ist EU-Gesetz, das die Staaten umsetzen müssen, und deshalb ist es sehr schwer, sich davon zu verabschieden. Und wir haben auch noch mehr Möglichkeiten, Druck auszuüben, weil schon mit dem Corona-Aufbaufonds das Instrument der Meilensteine eingeführt wurde, die Staaten erreichen müssen. Polen zum Beispiel muss Solaranlagen fördern und den Ausbau der Windenergie auf offener See. Die Planungen laufen wirklich gut.

Und wenn Europa dann klimaneutral ist – dieser Hinweis wird ja gern bemüht von Bremsern und Skeptikern in der Debatte –, dann nutzt das noch immer wenig, weil ja der Rest der Welt nicht mitzieht.

Diese Einschätzung stimmt nicht. Uns in Europa beschäftigt der Inflation Reduction Act (IRA) von Präsident Joe Biden. Der IRA ist ein riesiges Innovationsprogramm, allein in den Klimaschutz fließen 370 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren. China steckt ebenfalls Milliardensummen in die Transformation, weil es gerade den europäischen Automobilherstellern den Schneid abkaufen will mit einer riesigen E-Mobilitäts-Offensive. Es stimmt einfach nicht, dass der Wandel in Europa nichts bringt. Das Gegenteil ist richtig: Aus dem Kampf gegen die Erderwärmung müssen wir ein wohlstandsförderndes Projekt machen und die Wertschöpfung bei uns behalten oder zurückgewinnen. Weg von Kohle und Öl zu kommen, ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine ökonomische Frage. Heute importieren wir 90 Prozent der Solarpaneele aus China, obwohl die weltweit führende Entwicklung im Fraunhofer-Institut in Freiburg sitzt. Wer die zentralen Zukunftstechnologien beherrscht, ist konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt. Wir dürfen uns nicht an die Peripherie drängen lassen durch falsche Zurückhaltung in der Transformation.

Dafür haben Europaabgeordnete sehr viel Verantwortung. Sie haben erst kürzlich sehr drastisch den Einfluss der Lobbyisten beschrieben. Wie ist der gebändigt worden? Oder ist das gar nicht gelungen?

Ich hätte mir mehr vorstellen können, zum Beispiel, dass der CO2-Ausstoß schneller beschränkt wird. Gerade wir Grüne haben im Team drei Jahre richtig harte Arbeit hinter uns, insbesondere damit, uns gegen die Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Deshalb bin ich zufrieden. Wenn auch mit einer großen Ausnahme: Wir haben eine große Leerstelle, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, um den Ausgleich. Also darum, wie Menschen, die sich die Transformation nicht leisten können, verlässlich unterstützt werden. Wir schwemmen mit dem Emissionshandel Milliarden Euro direkt in die Etats der Mitgliedsstaaten. Bundesfinanzminister Christian Lindner freut sich. Aber es ist völlig ungeklärt, wie die Bürger und Bürgerinnen davon wieder etwas zurückbekommen.

Da rächt sich, dass die EU keine sozialpolitischen Zuständigkeiten hat.

Das ist nicht ungefährlich, speziell vor der Europawahl im kommenden Jahr. Denn unstrittig hat die EU ein Instrument geschaffen, das den Leuten Geld wegnimmt, wenn sie fossile Energieträger nutzen. Wir haben in das beschlossene Paket hinein verhandelt, dass alle Einnahmen entweder ins Klima oder in den sozialen Ausgleich fließen. Wenn von diesem Geld, das die Mitgliedsstaaten bereitwillig einnehmen, nichts oder zu wenig an die Menschen zurückfließt, wird es Ärger geben. Und dann ist Europa wieder einmal die Böse. Deshalb ist meine dringende Forderung, zumindest einen Teil der Einnahmen auch wieder auszuschütten als Klimageld. Das Verschmutzen wird teuer, die Reduktion der CO2-Emissionen wird vergütet. Es geht um sozial gerechte Klimapolitik und nur darum, das muss einer breiten Öffentlichkeit erst noch klar werden. Wir machen keine Steuerpolitik, damit Herr Lindner seinen Haushalt füttern kann.

Die Grünen regieren mit in Berlin. Trauen Sie der Ampel zu, diesen notwendigen sozialen Ausgleich vielleicht sogar vorbildlich auch für andere EU-Staaten anzupacken?

Mir kommt in der öffentlichen Debatte viel zu kurz, was die Ampel schon alles angepackt hat. Der Ausbau der Erneuerbaren ist beispiellos weltweit. Und das Klimageld ist im Koalitionsvertrag vereinbart, wobei wir gelernt haben, dass allein eine Verankerung im Koalitionsvertrag nicht ausreicht. Papier ist geduldig, das Klima ist es nicht. In Baden-Württemberg sind die Durchschnittstemperaturen überdurchschnittlich angestiegen. Auch deshalb braucht es jetzt gesellschaftliche Akteure, die sich für die Akzeptanz der Maßnahmen und für einen gerechten finanziellen Ausgleich stark machen, und es braucht auch die Medien, die informieren.

Sie sind seit bald 15 Jahren bei den Grünen aktiv und Vater einer kleinen Tochter. Wie schauen Sie auf das Erreichte und in die Zukunft?

Wenn ich die Zahlen des Weltklimaberichts lese, dann ist das viel emotionaler als früher. Ich kann mir ausrechnen, dass die Welt, wenn meine Tochter 40 oder 45 ist, womöglich um drei Grad wärmer ist. Milliarden Menschen wären von Hungersnöten bedroht, von Dürren, von Überschwemmungen, von Verzweiflung. So eine Welt will ich nicht. Aber wahr ist eben auch, dass sich in den vergangenen fünf Jahren mehr verändert hat im Kampf gegen die Erderwärmung als die zwanzig Jahre zuvor. Gerade Fridays for Future hat eine unglaubliche Dynamik ausgelöst. Eine Generation ist aufgestanden und hat gesagt, dass sich etwas ändern muss. Es hat sich etwas geändert auf europäischer Ebene, wir hätten das allein nie hinbekommen. Die jungen Leute haben dieses so wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten. Und diese Dynamik müssen wir nutzen, um endlich endgültig von der Fehleinschätzung anderer Parteien wegzukommen, Klimapolitik sei ein grünes Thema. Nicht nur Grüne sind bedroht, sondern alle Menschen.

Das klarzumachen, ist eine große Aufgabe für grüne Politiker:innen Ihrer Generation. Zumal es, siehe Heizen oder Autofahren, auf dem Weg zur Klimaneutralität die besonders vor Wahlen so gefährlichen Eingriffe in den persönlichen Lebensstil wird geben müssen.

Lebensstile ändern sich laufend. Deshalb kann man auch offensiver damit umgehen. Wir leben heute anders als vor 20, 30 Jahren, und wir werden in 20 oder 30 Jahren wieder anders leben. Da muss ich zurück zum Heizen: Wenn ich in einem Haus leben könnte, in dem ich gar nicht heizen muss, ändere ich auch meinen Lebensstil. Zuerst vielleicht, weil eine größere Investition nötig ist, und dann, weil ich weniger zahlen muss und sich das auf das Budget der Familie auswirkt. Wir müssen es akzeptieren, wenn Menschen Entwicklungen als persönlich bedrohlich ansehen, aber wir dürfen nicht akzeptieren, dass ihnen das eingeredet wird. Wir machen doch Politik, damit dem Menschen der Boden nicht unter den Füßen weggezogen wird. Wir appellieren an die Vernunft, aber auch daran, an den Geldbeutel zu denken. Wer sich ernsthaft mit der Materie befasst, wird sehen, dass sehr häufig die beste Lösung fürs Klima auch die effizienteste und diejenige ist – da denke ich nochmals an uns Schwaben –, die am Ende am meisten Geld spart.


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2 Kommentare verfügbar

  • Grischa
    am 27.04.2023
    Antworten
    370 Milliarden in 10 Jahren.... wow

    Mal ganz abgesehen davon, dass nicht ausgemacht ist das nciht wieder Donald oder Desantiss gewinnen bei der nächsten Wahl.

    Aber nehmen wir mal an die Dems regieren die nächsten 10 Jahre.

    37 Milliarden pro Jahr sollen jetz der große Wurf sein?

    Bei…
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