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AKW Neckarwestheim

Kein Feierabend für den Widerstand

AKW Neckarwestheim: Kein Feierabend für den Widerstand
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 Fotos: Jens Volle 

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Die Sektkorken knallten am Samstag vor dem AKW Neckarwestheim. Atomkraftgegner:innen feierten mit dem Abschalten des letzten AKW einen großen Erfolg in ihrer Protestgeschichte. Die gelben Fahnen mit der roten Sonne werden aber die wenigsten so schnell niederlegen.

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"Gemeinsam gewonnen – 50 Jahre Anti-Atom-Bewegung" steht auf einem der vielen Banner, die am 15. April auf dem EnBW-Parkplatz im kühlen Wind wehen. Nach einigen Diskussionen mit dem Energiekonzern durfte der Trägerkreis "endlich-abschalten" das Abschaltfest wie geplant auf dem Firmengelände organisieren. Während des Festes steigt noch der weiße Dampf aus dem Kühlturm hinter dem Parkplatz in den grauen Himmel, um 23:59 Uhr wurde laut EnBW abgeschaltet. Die Stimmung ist gelöst und friedlich, nur zwei Polizist:innen schlendern über den Parkplatz. Laut Veranstalter:innen sind 500 Menschen mit Shuttlebussen, Autos und Fahrrädern angereist, um an diesem kalten Frühlingstag zu feiern. An den Infoständen gibt es heute nicht nur Flyer, sondern auch Kuchen und Sekt, von der Bühne her wehen Musik und Seifenblasen über das Gedränge. Viele der Feiernden sind alte Hasen der Anti-Atom-Bewegung. Fast niemand will nach dem 15. April in Aktivist:innen-Rente gehen.

"Ich wollte eigentlich schon vor Jahren aufhören", sagt Gertrud Patan, die seit vielen Jahren in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv ist "Aber leider ist das Thema hier noch nicht vorbei." Die Aktivistin aus der Umgebung von Obrigheim erzählt, dass sie schon in den 1970er-Jahren auf die Risiken der Kernenergie aufmerksam wurde und mit der Bürgeraktion Umweltschutz Rhein-Neckar e.V. auf die Straße ging. Später setzte sich die heute 74-jährige für die Schließung des AKW Obrigheim, 45 Kilometer nördlich von Neckarwestheim, ein. "Mit zwei anderen Frauen habe ich gegen das provisorische Zwischenlager in Obrigheim geklagt." Denn dort wurden Brennelemente in einem sogenannten Nasslager zwischengelagert. "Man kann sich das vorstellen wie ein großer Swimmingpool, und das ist viel weniger sicher als sonstige Zwischenlager", erklärt Patan. 2005 wurde das AKW schließlich stillgelegt. Die hochradioaktiven Brennelemente sind mittlerweile in Neckarwestheim zwischengelagert. "Aber jetzt geht es weiter", sagt die Aktivistin. "Anderer Müll ist ja noch da. In Obrigheim liegen weiterhin die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Außerdem fällt noch eine große Menge an Abfällen an, die nach einer Strahlenmessung wiederverwertet werden darf, obwohl noch schädliche Bestandteile wie Plutonium und Strontium enthalten sind." Deshalb setzt sich die Aktivistin mit der Initiative AtomErbe Obrigheim auch weiterhin für die sichere Lagerung der Abfälle aus dem Kernkraftwerk ein.

Das Ende einer Ära – oder auch nicht

"Die zivile Nutzung der Atomkraft ist mit dem Ende der Atomstromproduktion noch nicht zu Ende", bestätigt auch Markus Steuerwald. Er hatte schon in den 90er Jahren gegen die Castor-Transporte nach Gorleben protestiert, später gemeinsam mit französischen Aktivist:innen gegen die Transporte von La Hague in der Normandie nach Gorleben. "Das war schon toll, die französischen Gewerkschaften haben damals einfach die Fahrpläne für die Transporte veröffentlicht." Heute steht er für das Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim am Infostand. "In Deutschland gibt es immer noch die Brennelementefabrik in Lingen." Advanced Nuclear Fuels stellt dort als Tochtergesellschaft der französischen Firma Framatome "Brennelemente für alle Reaktordesigns für Kunden weltweit" her, so das Unternehmen auf seiner Webseite. "Und in Gronau wird immer noch Uran angereichert", betont Markus Steuerwald. Dort, im Münsterland, reichert die englische Firma Urenco Uran für die Nuklearindustrie an. Außerdem blickt der Aktivist besorgt ins Nachbarland Frankreich. Präsident Emmanuel Macron setzte sich im letzten Jahr dafür ein, dass Atomenergie in der EU Taxonomie – einem System, das Investitionen in erneuerbare Energien lenken soll – als grüne Energiequelle klassifiziert wird. "Damit können jetzt die Schrott-Reaktoren in Frankreich gefördert werden."

In Neckarwestheim wird nun erst einmal zurückgebaut. Das dauert zehn bis 15 Jahre, schätzt die EnBW. Ist der radioaktive Müll dann fachgerecht verpackt, ist für den Energiekonzern erst einmal Schluss. Der Bund finanziert und organisiert über die Gesellschaft für Zwischenlagerung die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle. In Neckarwestheim betreibt die Gesellschaft laut eigenen Angaben seit Ende 2006 bereits ein Zwischenlager für hochradioaktive Brennelemente, ausgelegt auf 40 Jahre Laufzeit. Schwache und mittelstark strahlende Abfälle sollen ab 2027 im niedersächsischen Salzgitter eingelagert werden können. Wohin die Brennelemente aus Neckarwestheim kommen, ist dagegen noch unklar. Bis ein geeigneter Standort für das Endlager gefunden ist, kann es noch 35 bis 65 Jahre dauern, schätzt die Bundesgesellschaft für Endlagerung.

Der Ausstieg ist unumkehrbar

Gegen den Atomausstieg ist niemand auf dem Abschaltfest. Anders sieht es im gesamtdeutschen Meinungsbild aus. Laut ARD Deutschlandtrend halten ihn sechs von zehn Deutschen zum aktuellen Zeitpunkt für falsch. Der Energiekonzern EnBW hält den Atomausstieg allerdings für unumkehrbar. Das Unternehmen habe sich schon vor Jahren auf den Ausstiegsplan von CDU und FDP von 2011 eingestellt. Bereits die kurzfristige Laufzeitverlängerung der Ampelregierung habe die Planung des Unternehmens stark beeinträchtigt. Für den sogenannten "Streckbetrieb" bis zum 15. April seien die Brennstäbe lediglich neu angeordnet worden, um sie vollständig abzubrennen. "Neue Brennelemente sind nicht mehr vorhanden und können deshalb auch nicht zum Einsatz kommen", schrieb die EnBW im Dezember 2022.

Trotzdem gibt es Diskussionen zu möglichen Laufzeitverlängerungen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sich 2011 noch stark für den Atomausstieg einsetzte, schreibt einen Tag nach dem Abschaltfest auf Twitter: "Ganz Europa setzt auf klimaschutzfreundliche Kernkraft. Nur die deutschen Grünen leisten sich den Luxus eines energiepolitischen Blindflugs."

Michael Bloss, grüner Europaabgeordneter aus Stuttgart und zum Abschaltfest angereist, hält den deutschen Weg hingegen für vorbildlich. "Ich glaube nicht, dass wir für den Ausstieg belächelt werden." Er geht davon aus, dass die Kernenergie in Europa keine Zukunft hat. Bis 2030 will die EU ihren Energieverbrauch zu mindestens 42,5 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken. Zum Vergleich: 2021 betrug der Anteil laut Eurostat knapp 22 Prozent. Auch wenn in anderen EU-Ländern die Stimmen zu neuen AKW-Projekten wieder laut werden, hält Bloss dies für unrealistisch. "Polen redet schon seit 20 Jahren von neuen Kraftwerken und es passiert nichts. Der Bau von neuen AKW ist viel zu teuer, das kann sich heute niemand mehr leisten. Die erneuerbaren Energien sind sehr viel günstiger." Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) befinden sich aktuell in der EU nur noch zwei AKW in Bau: eines in der Slowakei und eines in Frankreich. Deutschlands Nachbarland über dem Rhein sei eines der wenigen Länder, das noch stur an dem nuklearen Weg festhielte, bedauert Bloss. Und das, obwohl ihre teils maroden Kraftwerke im letzten Jahr nicht einmal den eigenen Verbrauch decken konnten und sie verstärkt auf Importe angewiesen waren. Allein Deutschland hatte 2022 laut Bundesnetzagentur doppelt so viel Strom nach Frankreich exportiert wie im Jahr zuvor.

Junge Generation für mehr Klimagerechtigkeit

Markus Steuerwald vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim hofft, dass die Generation, die heute für Klimagerechtigkeit auf die Straße geht, das Thema Kernenergie nicht aus den Augen verliert. "Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist älter geworden. Ich hoffe, die junge Generation lässt sich nicht davon überzeugen, AKW seien verglichen mit der Kohle die bessere Wahl. Denn Atomstrom ist nicht sauber, und Atomstrom ist auch nicht billig."

In der Klimabewegung werden allerdings auch andere Stimmen laut. So erklärte die schwedische Aktivistin Greta Thunberg in einem Interview mit Sandra Maischberger, dass lieber die bereits aktiven AKW weiterbetrieben werden sollen als die deutschen Kohlekraftwerke.

Dieser Ansicht ist auf dem Abschaltfest wohl kaum jemand. Auch Klimaaktivist Daniel Eckert nicht, der am Montag nach dem Abschaltfest wegen Protesten mit der Letzten Generation vor Gericht stand, und die beiden Schüler aus Talheim, knapp sechs Kilometer nördlich von Neckarwestheim. Philipp und Nils, beide 16 Jahre alt, sind bei der SPD und den Grünen aktiv und finden es wichtig, sich gegen das Kraftwerk so nah vor ihrer Haustür einzusetzen. "Wir sind schließlich die Generation, die es ausbaden muss," gibt Nils zu bedenken. "Drei Generationen haben von Strom aus Kernenergie profitiert", fügt Philipp hinzu. "Aber der ist nun verbraucht. Jetzt bleiben 30.000 Generationen, die mit dem Müll umgehen müssen."


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