Was geht eigentlich gerade ab im baden-württembergischen Unterland? Auf der einen Seite kann sich die Umweltbewegung über einen Erfolg freuen. Doch zwei Tage, nachdem mit Block 2 des Kraftwerks Neckarwestheim der letzte Atommeiler der Republik abgeschaltet worden ist, werden vier Aktivist:innen der Letzten Generation im zehn Kilometer entfernten Heilbronn zu insgesamt 15 Monaten Haft verurteilt.
Am 15. April 2023 hatten sie noch auf dem Parkplatz des Atomkraftwerks das Ende der Kernkraft in Deutschland gefeiert: ein wahrhaft historisches Datum. 500 Atomkraftgegner:innen waren mit dabei – allerdings nur wenige Grüne. Die sind von den Bürgerinitiativen nicht als Redner:innen auf der Veranstaltungsbühne erwünscht gewesen: wegen Zustimmung zur Laufzeitverlängerung der AKWs im vergangenen Dezember. Also wurde das Abschaltfest mit Abwesenheit bestraft: kein grüner Ministerpräsident, keine grüne Ministerin am Tag des Erfolges vor Ort. Obwohl der Protest gegen Atomstrom zur Gründungsgeschichte der Partei gehört und das Aus der Kernenergie erst nach einem 50-jährigen, zähen Kampf mit unzähligen Demonstrationen, Polizeieinsätzen und Gefängnisstrafen für Aktivist:innen durchgesetzt wurde.
Ein gewaltiger Riss scheint inzwischen durch die Umweltbewegung zu gehen – und der zeigt sich an diesem Wochenende besonders deutlich. Denn auf dem Parkplatz von Neckarwestheim ist noch so ein Satz der BUND-Landesvorsitzenden Sylvia Pilarsky-Grosch zu hören. Sie äußert klipp und klar, dass die Aktionen der Letzten Generation bei ihr auf keinerlei Verständnis stoßen. Sie seien der völlig falsche Ansatz. Auch Fridays for Future distanzierte sich jüngst von den Straßenblockaden, da sie "die Gesellschaft spalten" würden.
Und dann dieser nebelverhangene kalte Antifrühlingstag in Heilbronn. 33 Stunden und eine Minute, nachdem Block 2 in Neckarwestheim endgültig abgeschaltet worden ist, beginnt der Prozess gegen vier Klimaaktivist:innen der Letzten Generation vor dem Amtsgericht in Heilbronn. Vorgeworfen wird den vier Klimaaktivist:innen, Anfang März für 20 Minuten Stau im Heilbronner Feierabendverkehr gesorgt haben. Das Strafmaß, das die Aktivist:innen dafür erwartet, beträgt insgesamt 15 Monate Gefängnis. Ausgehandelt wurde dieses Urteil im Rahmen eines sogenannten "beschleunigten Verfahrens", einem Modellprojekt der grün-schwarzen Landesregierung von Baden-Württemberg, damit laut Aussage der Justizministerin "die Strafe auf dem Fuß" folgen kann und künftige Täter abgeschreckt werden.
Kontrollen, als ginge es um Bandenkriminalität
Vor Verhandlungsbeginn gibt es von der Richterin angeordnete strenge Personenkontrollen (noch nicht einmal auf dem Flughafen wird man derart gründlich abgetastet). Das erinnert an die Aussagen mancher Politiker:innen, die sich zu Bezeichnungen wie "Klimaterroristen" haben hinreißen lassen. Wenn es um Bandenkriminalität gehen würde, könnten die Zugangskontrollen kaum schärfer sein.
4 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 25.04.2023Wo die etablierten NGOs stehen, zeigt die Reaktion der BUND-Landesvorsitzenden Sylvia Pilarsky-Grosch. Statt Solidarität mit den von Repression Betroffenen auch wenn es Konflikte in einzelnen Fragen gibt,…