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AfD-Parteitag in Stuttgart

Rücksichtslose Radikale

AfD-Parteitag in Stuttgart: Rücksichtslose Radikale
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So also sieht das echte westdeutsche Bollwerk aus, zu dem die gescheiterte Vorsitzende Alice Weidel ihren Landesverband erstarkt sehen will: heillos zerstritten, politikunfähig und immer weiter auf dem Weg in den Extremismus. Der harte Kern der AfD-Wählerschaft lässt sich davon nicht abschrecken.

Emil Sänze und Markus Frohnmaier, die neuen Landesvorsitzenden der AfD Baden-Württemberg, kommen im vergangene Wochen präsentierten Verfassungsschutzbericht namentlich nicht vor. Ihre Geschwister im Geiste schon, darunter die frühere Landtags- und heutige Bundestagsabgeordnete Christina Baum oder der inzwischen ausgetretene Dubravko Mandic als Flügel-Anhänger:innen. "Das Politikkonzept des formal aufgelösten 'Flügels' ist primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten – insbesondere muslimischen Glaubens – und politisch Andersdenkenden gerichtet", heißt es im Kapitel Rechtsextremismus. Damit würden "die prägenden Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz), das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 3 Grundgesetz) verletzt".

Ein Ex-AfDler, der die beiden gut kennt, nennt sie die "rücksichtslosen Radikalen" und findet, dass sie sich jenseits des für den Verfassungsschutz Relevanten noch so manches hochgradig Fragwürdige zuschreiben lassen müssen. Frohnmaier will aufräumen, ausmisten und jagen, und er zählt zu einer Truppe, die der "Spiegel" 2019 als "Moskaus Marionetten" outete. Er selber ließ damals über seinen Anwalt mitteilen, er habe nie "Unterstützung finanzieller oder medialer Art in Kreisen der russischen Politik, Wirtschaft oder Zivil erbeten", und es sei ihm Unterstützung dieser Art auch nie gewährt worden. Ein internationales Rechercheteam, darunter die BBC, hatte aus Papieren zitiert, aus denen das Gegenteil hervorgeht.

Nach seiner Wahl am Wochenende überbieten sich Glückwünschende auf seiner Facebook-Seite gegenseitig. Manche jedoch mit unerfüllbaren Vorstellungen. "Nur wer 2 Flügel hat kann richtig fliegen", schreibt einer, "die AfD braucht eine gute, wertkonservative Breite, um möglichst viele Wähler anzusprechen." Hat sie aber nicht, ganz im Gegenteil: Emil Sänze, der 71-jährige frühere Manager mit BMW-Erfahrung, setzt erst recht auf Holzhammer und Verbalinjurie und hetzt vor allem gegen die grüne Landtagspräsidentin Muhterem Aras.

Sänze klagt über "Kriegshysterie"

Bisher waren ihm Spitzenämter in Fraktion und Partei verwehrt geblieben. Diesmal, in der großen Not und dank eines Verfahrenstricks beim Landesparteitag in der Fildermesse, gelang der Aufstieg. Zuerst hatte Frohnmaier 47,23 Prozent der 599 angegebenen Stimmen auf sich vereint und Sänze 46,21 Prozent – ein weiteres Indiz für die Spaltung, die den Landesverband schon so lange prägt. Erst als die Möglichkeit eröffnet wurde, im Widerspruch zu einem vorher gefassten Beschluss mit Ja für eine Doppelspitze und gemeinsam für beide zu votieren, reichte es der neuen Führung. Natürlich wäre die AfD über jede andere Partei hergefallen, würde die solche Winkelzüge anwenden.

Die neue Spitze und ein insgesamt mit einigermaßen mediokren Alternativler:innen bestückter Vorstand könnte Garant dafür werden, dass es wieder nichts wird mit dem Zuschütten von Gräben, wie es die frühere Landessprecherin Alice Weidel verlangte. Auch sie war an dieser Übung komplett gescheitert. Allerdings grassiert in der Republik die wachsende latente Angst vor dem sozialen Abstieg, vor einem kalten Winter und davor, dass das eigene Einkommen nicht mehr ausreicht. Die AfD versucht, aus der Stimmung Stimmen für sich zu machen, indem sie sie befeuert.

Angelehnt ist die Strategie an den Wahlkampf in Frankreich, der Marine Le Pen zwar nicht ins Präsidentenamt geführt, aber ihrer Partei erhebliche Zuwächse beschert hat. "Die Gelbwesten", schreibt einer unter dem Hashtag AfD, "sind unser Vorbild, wenn die Bundesregierung so weiter macht, sind wir bald bei 20 Prozent." Die Tonlage hat Sänze im Landtag schon vorgegeben: Der Bürger werde "brutal über Inflation und höhere Ölpreise zur Ader gelassen, die Wirtschaft geschädigt, Feindschaft geschürt und Kriegshysterie aufrechterhalten".

Eine Wahlniederlage reiht sich an die nächste

Gestartet hat die Partei eine "Preistreiber-Tour". Frohnmaier kritisierte gerade erst, vor ausgesprochen wenigen Zuhörer:innen, wie es sich "die etablierte Politik zu einfach macht" und dass doch jeder an der Kasse sehe, was los sei. Zugleich gingen zehn Milliarden Euro an Steuergeld an Indien für den Ausbau erneuerbarer Energien. Kein Wort verliert Frohnmaier darüber, dass es sich bislang nur um eine Absichtserklärung handelt und das Geld verteilt auf die kommenden acht Jahre bis 2030 fließen soll. Die Verfassungsschützer:innen beschreiben nicht von ungefähr, wie enthemmt die AfD Sachverhalte verkürzt oder verdreht, wie in Redebeiträgen und sozialen Medien sowohl fremden- als auch demokratiefeindliche und verschwörungsideologische Positionen propagiert werden.

Weil abseits der eigenen Blase jedes weitere Abdriften des Landesverbands in die Politikunfähigkeit als das beschrieben wird, was es ist, reift rechtsaußen noch eine ganz andere Idee: sich einzukaufen bei regionalen und lokalen Medien oder eigene Kanäle zu gründen. "Wir kommen nirgends vor", jammerte Weidel einen Tag vor dem Sommer-Interview der ARD mit ihrem Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Dessen Äußerungen bestätigen den Verfassungsschutz in dieser Einschätzung: "Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist geprägt von einem Wechselspiel aus provokativen, rechtspopulistischen bis hin zu rechtsextremistischen Thesen und einer anschließenden Relativierung oder einem Dementi." Weidels Pressesprecher heißt übrigens Frohnmaier – und der gebürtige Rumäne ist aus dem Landes- in den Bundesvorsitz rotierter Chef der "Jungen Alternative" (JA).

Den Parteinachwuchs haben die Verfassungsschützer ohnehin schon länger im Blick, weil es "sein könnte, dass die rechtsextremistischen Teilströmungen Einfluss auf politisch-programmatische Entscheidungen der Gesamtpartei sowie auf die Zusammensetzung von Vorständen und anderen Parteigremien nehmen". Spätestens seit dem turbulenten Parteitag vom Wochenende müsste es "genommen haben" heißen. In Baden- Württemberg jedenfalls werden der JA etwa 130 Mitglieder zugerechnet und dem formal aufgelösten sogenannten Flügel 80. Bundesweit hat die AfD zehn Niederlagen am Stück hinter sich, eine elfte könnte mit den Urnengang in Niedersachsen Anfang Oktober folgen, vielleicht sogar eine mit westdeutschen Symbolcharakter. Denn Demoskop:innen halten es für gut möglich, dass auch in Hannover die Fünf-Prozent-Hürde zu hoch ist. In Baden-Württemberg hingegen kommt die Partei in Umfragen noch immer auf zehn Prozent.


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5 Kommentare verfügbar

  • B. Eaths
    am 03.12.2022
    Antworten
    Irgendwie habe ich das Gefühl das die meisten Kommentierenden bei Artikeln zum Thema "AFD & ähnlicher Sch..."den doch recht irren Wirrungen der genannten, nun.... 'Partei', nahestehen und jedem Autoren der Kontext Reflexartig mangelnde Neutralität und/oder schlechte Recherche vorhalten. Lustig!…
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