Wäre der Parteitag nicht vorzeitig im Chaos untergangen, hätten diese Putin-Freunde frei Haus einen weiteren Beleg für ihre Extrempositionen geliefert. Denn auf der Tagesordnung stand noch die Resolution "Waffenlieferungen stoppen, Dialog starten, gesamteuropäisch Friedensordnung sichern", in der ein Ende der Wirtschaftssanktionen verlangt und Moskaus Agitation übernommen wird. Für diese Haltung steht in der hiesigen Landtagsfraktion Emil Sänze, der wiedergewählte Rottweiler Abgeordnete. Der hätte vermutlich dafür gestimmt, verlangte er doch per Pressemittelung Anfang März "für keine Seite in diesem Konflikt Partei zu ergreifen". Und er betete die russische Propaganda nach, der zufolge "schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Zivilisten durch die diversen Kampf- und Unterdrückungsmaßnahmen auch des ukrainischen Staates zu Tode gekommen sind". Auf dem Landesparteitag soll ebenfalls über den Krieg, den nicht wenige Putin zuliebe lediglich als "Ereignis" bezeichnen, diskutiert werden.
Ursprünglich war die Carl-Benz-Arena in Cannstatt als Austragungsort vorgesehen. Weil aber zeitgleich am ersten Juli-Wochenende die Fantastischen Vier auftreten mit bis zu hunderttausend Fans sowie Gegendemonstranten gegen die AfD zu erwarten sind, haben die Hallenbetreiber abgewinkt. "Die Kündigung ist völlig ungerechtfertigt", zitiert die dpa Frohnmaier. Eine Gefahr für die Sicherheit sieht er nicht von der AfD aus gehen, "sondern höchstens von gewaltbereiten Linksextremisten". Und: "Wenn eine legale und demokratische Partei wie die AfD aufgrund einer solchen Drohkulisse keine Parteitage mehr abhalten kann, haben wir einen vordemokratischen Zustand erreicht."
Flügelkämpfe sind extremer denn je
An der Gegenstrategie jedoch wird noch gebastelt. Juristische Schritte sollen angekündigt folgen. In einer anderen zentralen Frage sind jedoch seit Riesa Nägel mit Köpfen gemacht. Christina Baum, die trotz ihrer inhaltlich katastrophalen Arbeit im Landtag in den Bundestag gewählt wurde, verlangt – fast wortgleich wie ihr großes Vorbild Höcke –, dass die AfD aufhört, sich von der Presse und vom Verfassungsschutz treiben zu lassen: "Es kann nicht sein, dass die bestimmen, wer für uns als rechtsextrem gilt." In diesem Geiste wurde mit einem der zahlreichen 60:40-Ergebnisse, die in Riesa drei Tage lang die Mehrheitsverhältnisse widerspiegelten, das "Zentrum Automobil" von der Unvereinbarkeitsliste gestrichen. "Nur zur Erinnerung", posteten daraufhin die Aktivist:innen von "Gegen die AfD", wie es 2021 zum Unvereinbarkeitsbeschluss kam: "Weil AfD-Abgeordnete an Veranstaltungen zusammen mit dem neonazistischen III-Weg, der NPD, der Identitären Bewegung, teilnahmen."
Die neue Bundesvorsitzende Weidel brüstet sich sogar noch nach der verlorenen Abstimmung zur Unvereinbarkeit damit, wie sie in der Vergangenheit dafür kämpfte, weil es sich "tatsächlich um einen hochtoxischen Verein" handelt, den viele Delegierte offenbar für eine "Autogewerkschaft" gehalten hätten. Den Mumm, das in der Debatte des einschlägigen Antrags klarzumachen, hatte Weidel aber nicht. "Wohl schon abgereist", mutmaßte einer im Chat. War sie aber nicht, sondern sie leistete sich auch noch ein paar ebenso kurze wie hilflose Abschiedsfloskeln, als der Parteitag vorzeitig abgebrochen wurde. Die ganz Rechten im Netz sind da schon vereint in Jubelchören. Höcke wiederum postete, der neue Bundesvorstand gebe viel Hoffnung, dass die Zeit der Flügelkämpfe jetzt vorüber sei. Am meisten Zustimmung bekam dieser Satz: "Ich bin schon voller Tatendrang." Genau das treibt der schwindenden Schar der Gegner:innen, vor allem im Westen und in Niedersachsen, angesichts der Landtagswahlen im Herbst, den Schweiß auf die Stirne. Oder, für alle Freund:innen der Demokratie, genau anders herum: Es besteht ein gerüttelt Maß an Hoffnung, dass die AfD in Hannover genauso wie in Kiel aus dem Landparlament fliegt.
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