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AfD-Parteitage

Höckes Marionetten im Südwesten

AfD-Parteitage: Höckes Marionetten im Südwesten
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Nach dem Parteitag ist vor dem Parteitag: Der baden-württembergischen AfD droht ein ähnliches Chaos wie dem Bundesverband am vergangenen Wochenende in Riesa. Ein weiterer Rechtsruck ist programmiert. Und für das Delegiertentreffen Anfang Juli ist noch nicht einmal eine Halle gebucht.

Wäre Björn Höcke nicht so gefährlich, könnte er als Märchenerzähler über die Jahrmärkte ziehen. Irgendwann am Samstagvormittag, als an diesem besonders denkwürdigen unter den vielen denkwürdigen Bundesparteitagen die Debatte um die neue Einer- oder doch noch einmal Zweierspitze so richtig hochkocht, will der Thüringer Fraktionsvorsitzende das Wort ergreifen. Das Fußvolk reiht sich am Saalmikrophon in die Schlange ein und wartet bis zum Aufruf, der heimliche Herrscher dieser AfD steigt auf die Bühne und sagt, was Sache ist: "Erstens will ich einen Bundesvorstand erleben, zum ersten Mal im meinem Partei-Leben seit 2013 mit der AfD, der den Selbstbeschäftigungsmodus hinter sich lässt und zu hundert Prozent die Energie dem politischen Gegner zuwendet." Und zweitens: Wenn sich in den kommenden zwei Jahren "Charaktere herausformen und bewähren", könne einem die Einzelverantwortung übertragen werden – "jetzt ist es noch zu früh".

Kaum Zweifel kann darüber aufkommen, dass der 50-Jährige damit aber gar kein Bundesvorstandsmitglied meint, sondern sich selber. Zumal der einstige Studienrat frank und frei die Strategie erkennen lässt. Seine Anhänger:innen hat er ohnehin in der Tasche, alle anderen sind zu wenige, um dagegen zu halten. Das neue Führungsduo, Alice Weidel und Tino Chrupalla, wird sogleich und hemmungslos beschädigt. Wer in zwei Jahren oder schon früher die Scherben aufkehren und endgültig für alle erkennbar deutschnational und rechtsradikal zusammensetzen soll, liegt auf der Hand. Zusätzliche Machtoptionen in Thüringen, wo 2024 gewählt wird, hat er als Fraktionsvorsitzender keine, weil CDU-Chef Friedrich Merz niemals zulassen kann und will, dass der Landesverband einem AfD-Ministerpräsidenten den Steigbügel hält. Aber er brauche dieses Amt auch gar nicht, sagt ein früherer Parteifreund, es reiche ihm völlig aus, Unfrieden in Deutschland zu stiften und dafür Applaus zu bekommen.

Im Westen bekommt der 50-Jährige den vor allem aus Baden-Württemberg, die immer extremeren Strömungen fließen hier mächtig. Hingegen spielt das frühere Meuthen-Lager kaum noch eine Rolle, aus ihm rekrutiert sich insbesondere die Gruppe derer, die als "Mandatsräuber" bei jeder Gelegenheit und gerade in Riesa scharf kritisiert werden, weil sie sich nach dem Parteiaustritt aus den Parlamenten und Räten nicht zurückziehen, sondern bis zum Ende der jeweiligen Legislaturperioden als Einzelgänger weiterarbeiten und die Diäten einstecken.

Weidel wiederum ist gescheitert im (angeblichen) Bemühen, den zerrissenen Landesverband zu einen, hat bereits vor Riesa bekannt gemacht, nicht mehr für den Vorsitz im Südwesten kandidieren. Also kann sie sich auf die Führung der Bundestagsfraktion und der Partei konzentrieren und darauf, nicht immer weiter auf die Rolle des Feigenblatts reduziert zu werden.

AfD-Putin-Freunde im Südwesten auf dem Vormarsch

Im Vorfeld des Parteitags in Baden-Württemberg läuft sich abermals der Stuttgarter MdB Dirk Spaniel warm, stellt eine Bekämpfung des Mitgliederschwunds in Aussicht, will die "seriöse konservative Wählerschaft" erreichen. Einen wirklich guten Leumund hat er nicht, nachdem seine gemeinsame Doppelspitze mit Fraktionschef Bernd Gögel am Dauerstreit zerschellt war. Und dann sind da noch die bisherigen Stellvertreter. Der eine, Martin Hess ("Holen wir uns unser Land zurück"), steht genauso für den Radikalisierungskurs wie der andere, Markus Frohnmaier. Letzterer, der rumänischstämmige frühere Vorsitzende der "Jungen Alternative für Deutschland", sitzt mittlerweile selber im Bundestag, ist Weidels Sprecher und oft in ihrer Nähe. Nach ihrer Wahl mit immerhin gut 67 Prozent war er in Riesa der erste Gratulant. Der 31-Jährige, der seit Jahren aus gutem Grund fest im Blick des Verfassungsschutzes ist, wird zu "Putins blauen Freunden" gezählt, der Unterstützertruppe des russischen Präsidenten.

Wäre der Parteitag nicht vorzeitig im Chaos untergangen, hätten diese Putin-Freunde frei Haus einen weiteren Beleg für ihre Extrempositionen geliefert. Denn auf der Tagesordnung stand noch die Resolution "Waffenlieferungen stoppen, Dialog starten, gesamteuropäisch Friedensordnung sichern", in der ein Ende der Wirtschaftssanktionen verlangt und Moskaus Agitation übernommen wird. Für diese Haltung steht in der hiesigen Landtagsfraktion Emil Sänze, der wiedergewählte Rottweiler Abgeordnete. Der hätte vermutlich dafür gestimmt, verlangte er doch per Pressemittelung Anfang März "für keine Seite in diesem Konflikt Partei zu ergreifen". Und er betete die russische Propaganda nach, der zufolge "schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Zivilisten durch die diversen Kampf- und Unterdrückungsmaßnahmen auch des ukrainischen Staates zu Tode gekommen sind". Auf dem Landesparteitag soll ebenfalls über den Krieg, den nicht wenige Putin zuliebe lediglich als "Ereignis" bezeichnen, diskutiert werden.

Ursprünglich war die Carl-Benz-Arena in Cannstatt als Austragungsort vorgesehen. Weil aber zeitgleich am ersten Juli-Wochenende die Fantastischen Vier auftreten mit bis zu hunderttausend Fans sowie Gegendemonstranten gegen die AfD zu erwarten sind, haben die Hallenbetreiber abgewinkt. "Die Kündigung ist völlig ungerechtfertigt", zitiert die dpa Frohnmaier. Eine Gefahr für die Sicherheit sieht er nicht von der AfD aus gehen, "sondern höchstens von gewaltbereiten Linksextremisten". Und: "Wenn eine legale und demokratische Partei wie die AfD aufgrund einer solchen Drohkulisse keine Parteitage mehr abhalten kann, haben wir einen vordemokratischen Zustand erreicht."

Flügelkämpfe sind extremer denn je

An der Gegenstrategie jedoch wird noch gebastelt. Juristische Schritte sollen angekündigt folgen. In einer anderen zentralen Frage sind jedoch seit Riesa Nägel mit Köpfen gemacht. Christina Baum, die trotz ihrer inhaltlich katastrophalen Arbeit im Landtag in den Bundestag gewählt wurde, verlangt – fast wortgleich wie ihr großes Vorbild Höcke –, dass die AfD aufhört, sich von der Presse und vom Verfassungsschutz treiben zu lassen: "Es kann nicht sein, dass die bestimmen, wer für uns als rechtsextrem gilt." In diesem Geiste wurde mit einem der zahlreichen 60:40-Ergebnisse, die in Riesa drei Tage lang die Mehrheitsverhältnisse widerspiegelten, das "Zentrum Automobil" von der Unvereinbarkeitsliste gestrichen. "Nur zur Erinnerung", posteten daraufhin die Aktivist:innen von "Gegen die AfD", wie es 2021 zum Unvereinbarkeitsbeschluss kam: "Weil AfD-Abgeordnete an Veranstaltungen zusammen mit dem neonazistischen III-Weg, der NPD, der Identitären Bewegung, teilnahmen."

Die neue Bundesvorsitzende Weidel brüstet sich sogar noch nach der verlorenen Abstimmung zur Unvereinbarkeit damit, wie sie in der Vergangenheit dafür kämpfte, weil es sich "tatsächlich um einen hochtoxischen Verein" handelt, den viele Delegierte offenbar für eine "Autogewerkschaft" gehalten hätten. Den Mumm, das in der Debatte des einschlägigen Antrags klarzumachen, hatte Weidel aber nicht. "Wohl schon abgereist", mutmaßte einer im Chat. War sie aber nicht, sondern sie leistete sich auch noch ein paar ebenso kurze wie hilflose Abschiedsfloskeln, als der Parteitag vorzeitig abgebrochen wurde. Die ganz Rechten im Netz sind da schon vereint in Jubelchören. Höcke wiederum postete, der neue Bundesvorstand gebe viel Hoffnung, dass die Zeit der Flügelkämpfe jetzt vorüber sei. Am meisten Zustimmung bekam dieser Satz: "Ich bin schon voller Tatendrang." Genau das treibt der schwindenden Schar der Gegner:innen, vor allem im Westen und in Niedersachsen, angesichts der Landtagswahlen im Herbst, den Schweiß auf die Stirne. Oder, für alle Freund:innen der Demokratie, genau anders herum: Es besteht ein gerüttelt Maß an Hoffnung, dass die AfD in Hannover genauso wie in Kiel aus dem Landparlament fliegt.


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