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"Anwälte für Aufklärung"

Hippiebusse mit Deutschlandfahnen

"Anwälte für Aufklärung": Hippiebusse mit Deutschlandfahnen
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Überall werden Corona-Beschränkungen gelockert und Pandemie-Maßnahmen aufgehoben. Statt sich zu freuen, beginnen die querdenkernahen "Anwälte für Aufklärung" Feindeslisten zu führen.

Freiburg, die Perle Badens. Wetter wie in der Toskana, hübsch wie Heidelberg, schon immer progressiv in Sachen Umweltschutz und bisher gut eingerichtet in einer grün-alternativen Blase. Tja. 2022 bedeutet das auch: montags Spaziergänger gegen Corona-Maßnahmen, bis die Stadt sie verboten hat, an Dienstagen Autokorso, samstags regelmäßig Großdemos mit tausenden DemonstrantInnen in der Innenstadt, organisiert von der Gruppe Freisein Freiburg. Die Stadt hat's gerade nicht leicht. Und weil das so ist, haben die Mitarbeitenden des Buchladens Jos Fritz Ende 2021 ein Schild ins Schaufenster gestellt: "Maske auf, Nazis raus." So fing es an.

Die Buchhandlung war in den Siebzigern und Achtzigern Dreh- und Angelpunkt der links-alternativen Szene der Stadt, das Sortiment umfasst Frauenliteratur, kritische linke Theorie, Historisches zum Nationalsozialismus, Schwulen- und Lesbenliteratur. Ein Laden also, der sich positioniert und das nicht erst seit gestern. Buchhändlerin Jana Kling sagt: "Wir wären eigentlich gerne zur Gegendemo gegangen, aber samstags müssen wir arbeiten." Also das Plakat, schaufensterbreit.

"Buchladen erfährt Shitstorm wegen Schaufensters" wird die "Badische Zeitung" (BZ) kurz vor Weihnachten titeln. Jos Fritz hatte ein Foto der neuen Deko, wie alle anderen Ladenfenster-Dekos, auf Facebook geteilt, wo es sich verbreitete. Offenbar bis zum "Aktivist Mann". Der rechte Schwurbler, bürgerlich Matthäus Westfal, und Mitglied der Sekte "Organische Christus Generation", befand: "Menschenverachtender Laden könnte konstruktive Google Rezensionen gebrauchen." Aus der zweistelligen Zahl an positiven Bewertungen für das Buchgeschäft wurden plötzlich Hunderte miese.

"Wir wurden wahnsinnig oft als Faschisten bezeichnet", erzählt Jana Kling. In den sozialen Medien, per Mail, am für Lockdown-Zeiten eingerichteten Verkaufsfenster. Die Opfermythen seien das schlimmste. "Diese Leute betrachten sich als die neuen Juden, die ausgesperrt werden." Dabei, sagt sie, sei "Maske auf, Nazis raus" eigentlich missverstanden worden. Natürlich seien nicht alle auf den Demos Nazis. "Wir wollten sagen: Leute, schützt euch und andere und distanziert euch von Nazis auf diesen Demos."

Im Hintergrund kommt ein Mann in den Laden. "Super Aktion!", sagt er und hebt den Daumen. Google hat die Fake-Bewertungen gelöscht, nachdem die BZ dort nachgefragt hatte, wie der Konzern mit sowas umgehe. Und bei all der Aufregung erzählt Kling, hätten sie auch viel Solidarität erfahren. "Plötzlich gingen sogar Bestellungen aus Berlin ein."

Solidarität vom Fahrradladen, Drohbrief von Anwälten

Gleich um die Ecke von Jos Fritz sind die Radgeber. 1980 als Werkstatt zur Selbstreparatur von Fahrrädern gegründet, "gegen die Wegwerfgesellschaft und den ökologischen Raubbau im Wirtschaftswunderland Deutschland". Heute haben sie noch dazu einen Laden in der Nähe des Bahnhofs, verwaltet im Kollektiv.

Ende 2021 diskutierte die Gruppe über Corona-Demos, die Erfahrungen der Buchhandlung und darüber, dass man "eigentlich auch was machen" müsste. Am Freitag sitzt Philipp, Ende dreißig, auf einem blauen Gartenstuhl im Hof. Politische Positionierung, sagt er, sei bei einem heterogenen Haufen wie den Radgebern eher schwierig. Sie hatten mal eine FFF-Deko gegen Plastikmüll im Fenster, das wars. Diesmal aber war es anders.

Aus Solidarität bastelten sie ein eigenes Plakat fürs Schaufenster: "Auch wir sagen: Maske auf, Nazis raus." Darunter haben sie den Artikel aus der "Badischen Zeitung" geklebt und "Danke Jos Fritz Buchladen für die Stellungnahme" geschrieben.

Am 8. Januar wird die drittgrößte Corona-Demo dieses bundesdeutschen Wochenendes daran vorbeiziehen, beinahe 6000 Menschen. Am Abend treffen erste Google-Bewertungen für den Radladen ein: "Nur ekelhaft soll sie die Insolvenz Welle treffen", der Nutzer hatte nur einen Stern vergeben. "Einfach unglaublich ekelhaft und abstoßend! Eigenes Volk, eigene Landmenschen werden disriminiert!", ein Stern. "Die Bewertungen waren uns egal", sagt Philipp. "Wir hatten eh keine fünf Sterne. Das ist ein Ventil, um auch mal Frust abzulassen." Passte schon.

Neben Philipp sitzt Franzi und erzählt, was alle seit Monaten herunterbeten: Dass natürlich nicht alle auf den Demos Nazis seien, schon klar. Aber beim Autokorso Hippiebusse mit Deutschlandfahnen zu sehen, finde sie verstörend. "Und wie viele auf den Demos mit Judensternen rumlaufen, das ist gruselig." Irgendwann ist in der Stadt eine breite Gegenbewegung entstanden: nicht mehr nur Antifa auf der Straße, sondern auch Bürgerliche. Die Stadt rief zur digitalen Unterschriftenaktion auf, Freivac (Freiburger Bündnis gegen Verschwörungsideologie, Antisemitismus und Coronaverharmlosung) demonstriert regelmäßig, es gibt Fahrradblockaden.

Aus etwa 60 Google-Bewertungen werden über Nacht 150, der Schnitt sinkt auf drei Sterne. Bis der Twitter-Nutzer Prof. Dr. Alfred von und zu Biontech seinen FollowerInnen mitteilt: "Der Fahrradladen 'Die Radgeber' in Freiburg hat sich die letzten Tage stabil gegen Nazis positioniert. .... Macht doch mal viele 5* Bewertungen." Über den Tag steigt der Sterne-Schnitt wieder, derweil gehen Beschimpfungs-Mails im Radladen ein, einer schickt ein "Kauf nicht bei Juden"-Foto in schwarzweiß.

Samstag, 15. Januar, wieder Tausende Menschen bei der Corona-Demo. Kurz darauf beschließen die Radschrauber, ihr Plakat abzuhängen.

Ein paar Tage später kommt der Brief. "Strafanzeige 134/2022", Betreff: "Ihr Schaufensterschild 'Maske auf – Nazis raus'", Briefkopf: "Anwälte für Aufklärung".

Die Anwälte für Aufklärung sind ein Verein aus etwa 90 Querdenker-AnwältInnen, darunter prominente Köpfe der Bewegung wie der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, die Heidelbergerin Beate Bahner, der Ulmer Markus Haintz. Gegründet hat sich der Verein "zum Zwecke der Förderung des demokratischen Staatswesens".

Die Anwälte für Aufklärung, steht in der "Strafanzeige", hätten "beschlossen, das Verhalten all derjenigen Personen zu dokumentieren, die in auffälliger Weise die Maßnahmen in einer für uns gesetzeswidrigen Weise strikt umsetzen und die Individualrechte der Bürger missachten, indem sie allein die Machtposition ihrer Stellung ausnutzen, um willkürlich handeln zu können. Diese Dokumentation soll dazu dienen, das Verhalten des unmittelbar Handelnden (also Ihnen) bei einer späteren juristischen Aufarbeitung unserer Zeit durch gerichtsfeste Beweise nachzuverfolgen, um all jene zur Rechenschaft ziehen zu können, die unserer Meinung nach entgegen dem Grundgesetz handeln und sich später darauf berufen, 'sie hätten ja nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt'". Das Schild im Schaufenster sei Volksverhetzung, weil es "Nichtmaskenträger pauschal als Nazis stigmatisiert". Man werde das "zukünftige Verhalten" des Radladens beobachten und der werde "sicher damit einverstanden sein, dass Sie sich später Ihrer Verantwortung stellen müssen". Im Moment werde eine Klage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag vorbereitet.

Das Schreiben ist Teil der Aktion "Zeig die gelbe Karte" des Anwälte-Vereins. Über deren Homepage kann jeder, der will, irgendwen anschwärzen. "Dabei geht es nicht um die Personen, die in der Öffentlichkeit stehen ... sondern um Personen, die sich als Mitläufer in der Masse unangreifbar glauben und als Möchtegerndiktatoren ihre Stellung, sei es als Arbeitgeber, Schulleiter, Geschäftsinhaber, Fahrkartenkontrolleur oder auch Kassierer an der Tankstelle ausnutzen."

"Am Anfang habe ich den Brief weggelegt und gelacht", sagt Philipp. Dann aber kamen doch plötzlich die Gedanken. Franzi sagt: "Da schwingt mit: Irgendwann stellen wir euch alle an die Wand."

Basis-Mann gefällt sich als Opfer

Freitag, Nachmittag. Der Rechtsstaat, den diese Anwälte wohl ausgehebelt sehen, ist am Landgericht schwer beschäftigt. Die Kontrahenten: Sebastian Müller, Rettungsassistent bei den Maltesern, ehemaliger Stadtrat für "Junges Freiburg" und als hobbymäßiger Impf-Aktivist eine der Hassfiguren der lokalen Querdenkerszene. Dort wähnt man, er sei der "Chef der Antifa".

Sein Gegenspieler: Malte Wendt, Bundestagskandidat 2021 der "Basis" und Demo-Anmelder. Wendt hatte bei Telegram geschrieben, Müller sei "ein widerlicher kleiner Kerl', ein 'notorischer Lügner', ein 'leidenschaftlicher Denunziant', eine 'zentrale Figur der linksextremen Szene', habe einen Journalisten als 'Lügenpresse' bezeichnet und werde für das 'Verbrechen', Kinderimpfungen organisiert zu haben, 'für die nächsten Jahrzehnte Polizeischutz benötigen'", fasst die BZ zusammen. Müller ist dagegen gerichtlich vorgegangen. Fazit: Der Richter befand, der "widerliche kleine Kerl" und der "Lügenpresse"-Vorwurf schießen über das zulässige Maß an Meinungsäußerung hinaus. Den Rest müsse man aushalten.

Wendt lässt sich von Anwalt Dubravko Mandic vertreten, einem rechtsextremen Ex-AfDler, was selbst bei den "Querdenkenden" für Diskussion sorgte und Wendt zu einer Stellungnahme auf der Freisein-Homepage veranlasste. Die hauseigene Anwältin sei "nicht bereit, eine Maske anzuziehen und sich testen zu lassen. Beides sind Voraussetzungen dafür, das Gerichtsgebäude überhaupt betreten zu dürfen". Also halt Mandic, weil der sich ja auch gut mit Antifa auskenne. Als Rechtsextremisten sieht Wendt ihn nicht. "Ich vermute, dass diesem Mann Unrecht getan wird." Wie auch der AfD, denn: "So, wie wir angeblichen Corona-Leugner geframed und verleumdet wurden, ist es der AfD in den letzten Jahren ergangen. Ich bin dem auch auf den Leim gegangen und habe dies erst in den letzten 2 Jahren gemerkt. Heute schäme ich mich dafür sehr."

Prof. Dr. Alfred von und zu Biontech twitterte jüngst: "Seid nicht wie Malte!"

Tafel-Leute sollen am Tag X vor Gericht

Einige Minuten mit dem Rad vom Radladen entfernt ist der Tafelladen. Eine Schlange steht davor, Menschen mit Taschen kommen heraus. Auch die Tafel hat einen Brief der Anwälte bekommen, per Einschreiben. "Strafanzeige 162/2022" unter anderem wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", "Beschuldigte: Annette Theobald (1. Vorsitzender), Hatto Müller (2. Vorsitzender)". Der Brief liest sich weitgehend wie der an die Radgeber, es geht vermutlich – klar wird es nicht – um die Vorschrift, in den Tafel-Räumen Maske zu tragen. Die Tafel habe einem Mann den Zutritt verweigert, das sei Nötigung und verstoße gegen das Antidiskriminierungsgesetz. "Ähnlich wie damals die Mauerschützen werden Sie sich zukünftig nicht darauf berufen können, Sie hätten ja nur Rechtsvorschriften umgesetzt." Und: "Wir werden ab sofort ihr zukünftiges Verhalten dokumentieren."

"Unsere Arbeit ist ehrenamtlich", sagt Annette Theobald später am Telefon. "Wir sind ein kleiner Kreis von Menschen, die diese Arbeit mit Spaß und Freude machen." Seit Beginn der Pandemie habe man den Laden und dessen Strukturen umgebaut, um niemanden zu gefährden. Nur ein Kunde habe Probleme mit der Maske gehabt, und um den habe man sich sehr bemüht. "Wir sind ziemlich stolz darauf, dass wir bisher ohne einen einzigen Corona-Fall durchgekommen sind." Der Brief, juristisch nichtig, landet demnächst im Müll, so hat es Theobalds Anwältin geraten: "Ab in den Papierkorb."

Vergangenen Samstag war wieder Demo. Im Vorfeld gab es Streit, denn die Geschäftsleute der Innenstadt sind es leid, samstags Einbußen zu verzeichnen. Die Stadt wies den Demonstrierenden eine Route außerhalb der Innenstadt zu, die gingen per Eilantrag dagegen vor. Und so war am vergangenen Freitag in Freiburg gleich nochmal der vermeintlich darniederliegende Rechtsstaat gefragt. Der entschied: Die Querdenker dürfen durch die Innenstadt. "Man wollte uns in die Wüste schicken, aber das Gericht hat dabei nicht mitgespielt", schreibt Freisein Freiburg auf Telegram. "Eine tolle Route und ein wundervoller Demotag warten auf uns."

Das Café Légère hatte zu der Gelegenheit einen Aufsteller auf die Straße gestellt. Ein gemaltes Männchen, auf dem Kopf ein Hut aus Alufolie, in der Hand ein Schild: "Impfen mimimi" steht drauf. Und drunter: "Wir müssen draußen bleiben." "Volksanwalt Mandic" hat ein Foto davon auf Telegram geteilt.

Die Google-Bewertungen des Cafés Stand Montag: "Wie schäbig kann man sich 2022 als Faschist outen?!? Karma wirds richten...", ein Stern. "Menschenverachtend ist das und dann bestimmt was von Regenbogen und Antidiskriminierung erzählen", ein Stern. "Wer ein Gefühl von 1935 haben will ist hier gut aufgehoben!" Und auch "Aktivist Mann" ist nicht untätig. Auf seinem Telegram-Kanal teilt er aktuell einen Aufruf, einen Blumenladen in Cuxhaven zu belästigen. Smiley.


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7 Kommentare verfügbar

  • Philipp Horn
    am 21.02.2022
    Antworten
    Die sogenannten Querdenker , besser Leerdenker, sind eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und den Frieden in der Gesellschaft. Man hat sie viel zu lange einfach machen lassen. Und sie bekommen immer noch zu viel Aufmerksamkeit.
    Meine volle Solidarität allen , die von den Schwubel Anwälten mit…
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