"Wir sind keine Nazis!", sagen viele "QuerdenkerInnen" und mögen damit recht haben. Und dennoch sind sie, etwa im Falle der Schneewanderung an der Hornisgrinde, einem Mann hinterhergelaufen, der sich selbst zwar nicht als rechts verortet, aber maßgeblich an der Organisation des Frauenbündnisses Kandel beteiligt war. Das wiederum war mehrfach mit Christina Baum von der AfD an der Spitze gegen Geflüchtete aufmarschiert, die die Migrationspolitik der Grünen als "schleichenden Genozid am deutschen Volk" bezeichnet. Also: Wie kommt es denn, dass sich bekannte Faschisten von den "Querdenken"-Versammlungen angezogen fühlen? Ist das Bauchgefühl, gar keine gesehen zu haben, wertvoller als eine Netzwerkrecherche, die deren Anwesenheit mit Bildmaterial belegt?
In der Masse sollen sie keine große Rolle spielen, heißt es weiter. Aber welcher Anteil lässt sich vertreten? Und wie lässt sich die Problematik bemessen, wenn das rechtsextreme "Compact"-Magazins auf den Demos verteilt wird? Steht da nur einer, der es unter die Leute bringt? Oder gibt es nicht doch welche, die diesen Schrott auch lesen? Wie kommt es, dass in Telegram-Gruppen, die zur Teilnahme aufrufen, Dinge stehen wie "Geht nicht ohne Kampf in den Impftod" oder "Es ist für uns ersichtlich, dass sich vor unseren Augen ein schrecklicher globaler Holocaust abspielt"?
Vielleicht ist es aber auch ein falscher Ansatz, irrlichternde Unsinnspositionen überhaupt als Debattenbeiträge zu behandeln. Es soll nichts verharmlosen, erst recht nicht, wo vom radikalisierten Protest Gewalt ausgeht. Aber dennoch könnte es sich bei manch einer Wortmeldung um einen verkappten Hilfeschrei handeln, hinter dem die eigentliche Botschaft steckt: "Ich leide." Denn tatsächlich ist der Druck für viele immens. Ist es zielführend, die Betroffenen in tausenden Kommentaren und Glossen als Dummköpfe vorzuführen, weil sie die Situation nicht mehr aushalten und sich deswegen schlimm verhalten?
Ist Polizeigewalt gut, wenn sie die Richtigen trifft?
Ansonsten für analytischen Scharfsinn bekannte AutorInnen haben in den vergangenen Monaten vor allem gegen Ungeimpfte das Florett gegen das Schwert getauscht, sei es, um sich selbst Luft zu verschaffen, sei es aus Überzeugung. Der Hass, der aus vielen Texten spricht, ist teilweise erschreckend. Ebenso ist bemerkenswert, mit welcher Vehemenz so mancher aus der linken Ecke lautstark Demo-Verbote einfordert oder den Einsatz von Wasserwerfern, weil sie selbst schon so oft weggespritzt worden sind. Sind Autorität und Polizeigewalt plötzlich zu befürworten, wenn es nur die Richtigen trifft?
Für eine allgemeine Impfpflicht zu sein, lässt sich herausragend gut begründen. Aber dabei sollte man nicht vergessen, wie es Leuten geht, die tatsächlich Angst vor einer Impfung haben, aus welchen Gründen auch immer. Man stelle sich vor, wie es sich für einen selbst anfühlen würde, zu etwas gezwungen zu werden, das man aus tiefster Seele heraus ablehnt. Darf man Menschen aufgrund eines Impfstatus von Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausschließen? Ihnen kündigen? Sie mit Bußgeldern bis an den Rand des finanziellen Ruins gefügig machen?
Das sind keine rhetorischen Fragen. Es kann in der Abwägung durchaus herauskommen, dass individuelle Freiheiten zurückstehen müssen, wo die Interessen der Allgemeinheit zu stark beeinträchtigt werden. Ein Konflikt, dem gerade mit Blick auf die Klimakrise auch in Zukunft eine zentrale Bedeutung zukommen wird und der in jedem Einzelfall eine gesellschaftliche Debatte braucht. Zu der gehört im Hinblick auf Corona aber auch, dass Umfragen zufolge bislang deutliche Bevölkerungsmehrheiten die politischen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung mitgetragen haben.
Also alles paletti in der Republik? Mitnichten! Es ist schockierend, wenn sich führende Politiker der bis vor kurzem größten Volkspartei in der gravierendsten Krise der jüngeren Gegenwart durch korrupte Maskendeals selbst bereichern. Zersetzend für die Gesellschaft ist nicht nur verschwörungsgläubiger Protest auf den Straßen – zersetzend ist es auch, wenn Repräsentanten des Staates eine Notlage ausnutzen und damit handfeste Gründe für einen Glaubwürdigkeitsverlust liefern.
Warum hat der absurde Protest so viele Fans?
Die große Frage, die über allem schwebt, ist doch die, warum es der linke oder auch bürgerliche Protest, den es ja auch gibt, nicht schafft, ganz vorne mit dabei zu sein, sondern die mit weitem Abstand größten Menschenmengen ausgerechnet von der "Querdenken"-Bewegung versammelt werden? Die sich Liebe und Frieden auf die Fahnen schreibt, aber Galionsfiguren wie den maximal bizarren Attila Hildmann abfeiert. Auch das ist ein Problem: Wenn der Begriff der Kritik zunehmend mit Aluhut tragenden Karikaturen assoziiert wird, ist das, um es pathetisch zu sagen, schädlich für die Demokratie.
38 Kommentare verfügbar
Maria Anna Dewes
am 12.02.2024Meine Anmerkung: Es existiert keine Corona- Impfpflicht in der BRD, der Bundestag hat sich demokratisch dagegen entscheiden. Also sollte die Antwort auf folgende Fragen einfach sein:
"Darf man Menschen aufgrund eines Impfstatus von Teilen des…