Ganz wichtig ist mir an dieser Stelle, dass ich kein Journalismus-Bashing betreiben will. Es gibt durchaus auch Beispiele für umfangreiche und differenzierte Auslandsberichterstattung, etwa beim "Weltspiegel", "Monitor" oder "Arte Journal". Bei ganz vielen Leuten aus der Branche gibt es authentisches Interesse für den Globalen Süden. Ich bin also sicher niemand, der hier eine große Verschwörung wittert oder irgendwelche Vorwürfe von wegen "Lügenpresse" befeuern will. Ich glaube auch nicht, dass jemand diese Themen intentional in den Hintergrund rückt, eher, dass es eingefahrene Automatismen sind, die hier reproduziert werden. Eine Art Teufelskreis: Bestimmte Themen, Regionen und Personen sind so etabliert, dass darüber immer berichtet wird, wenn es größere Neuigkeiten gibt. Aber es kann sehr schwierig sein, daneben noch andere und neue Themen in den Diskurs einzuspeisen.
Im öffentlichen Diskurs sieht man auch häufig die gleichen Gesichter.
Ja, das spielt da mit rein. Alle kennen Karl Lauterbach. Der Wiedererkennungsfaktor ist ein ganz wichtiger Punkt dabei, wer in politische Talkshows eingeladen wird. Nehmen wir an, in Frank Plasbergs "Hart aber Fair" sollten ein paar Spitzenpolitiker aus Burkina Faso über die dortige Lage diskutieren – dann würden die allermeisten Zuschauer mit ihren Gesichtern gar nichts anfangen können. Man müsste schon sehr viel Vorarbeit leisten, um in diese Diskurse einzuführen. Das ist sicherlich auch eine Schwelle. Was bei der Auslandsberichterstattung dann noch erschwerend hinzukommt, ist, dass sich viele Medien keine oder nur wenige Auslandskorrespondenten leisten können und häufig auf das Material von Agenturen zurückgreifen müssen.
Bei Kontext haben wir als Regionalzeitung mitunter Schwierigkeiten, das Geschehen in Baden-Württemberg zu überblicken, geschweige denn abzubilden.
Genau dazu ein pointiertes Beispiel, in meiner Studie habe ich auch Korrespondenten-Netzwerke ausgewertet. Für das ARD-Studio in Nairobi gibt es zwei Korrespondenten und die sind für 38 afrikanische Staaten verantwortlich mit 870 Millionen Einwohnern. Im Fernsehstudio in Prag sitzen auch zwei ARD-Korrespondenten, und die haben als Gebiet Tschechien und die Slowakei mit 16 Millionen Einwohnern. Das zeigt die Relationen – und gibt natürlich auch ein Stück weit vor, welche Regionen wie stark abgebildet werden.
Der Kollege Emran Feroz, der regelmäßig über Afghanistan berichtet und regionale Dialekte beherrscht, beklagt, dass die hiesige Auslandsberichterstattung oft vorurteilsbehaftet sei. Sehen Sie das auch so?
Meine Forschung arbeitet quantitativ, und wie gesagt: Ich sehe durchaus auch Positiv-Beispiele. Aber vom subjektiven Eindruck her muss ich sagen, dass zum Beispiel über Afrika manchmal berichtet wird, als ob es sich um ein einheitliches Land handeln würde und nicht um einen Kontinent, der aus über 50 Staaten besteht. Da erscheint mir das Bild doch etwas einseitig und von Stereotypen geprägt.
Haben Sie gerade noch andere Projekte?
Ich habe auch mal untersucht, wie der Zyklon Nargis wahrgenommen wurde. Ich vermute, dass Sie wahrscheinlich noch nicht von ihm gehört haben.
Nein, sagt mir tatsächlich nichts.
Daran arbeite ich momentan im Hintergrund: Welche Katastrophen bleiben im kollektiven Gedächtnis präsent? Und was sich schon jetzt feststellen lässt: Es hängt nicht nur von den Opferzahlen ab. Sondern erst einmal damit zusammen, wo etwas passiert ist, mit welchen Bildern davon berichtet wurde und wer betroffen ist. Der Zyklon Nargis hat sich 2008 im Golf von Bengalen gebildet und vor allem Myanmar verwüstet. Es gab 140.000 Tote. Aber das ist komplett aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Es hat überhaupt keine Präsenz mehr bei uns. Anders sieht das aus, wenn beliebte Reiseziele der Deutschen betroffen sind, etwa Bali.
Haben Sie Erkenntnisse, wie es die Wahrscheinlichkeit einer Berichterstattung beeinflusst, wenn unter den Opfern auch Deutsche waren?
Ja, das ist ein sehr massiver Faktor. Und durchaus zynisch. Aber auch hier ist Ausland nicht gleich Ausland. In der "Süddeutschen Zeitung" hat Arne Perras 2017 einen Kommentar zum Thema verfasst, er wurde auch auf Seite 4 abgedruckt. Da schreibt er: "Existenzielles Leid per se reicht nicht, um konsequentes Interesse auszulösen." In Texas hatte Hurrikan Harvey damals etwa 100 Todesopfer gefordert – das lief überall. Zeitgleich haben Fluten in Bangladesch, Indien, Nepal und Pakistan, von denen über 45 Millionen Menschen betroffen waren, über 2.100 Tote verursacht. Aber das war kaum ein Thema. Perras kommentierte: "Wenn mediale Aufmerksamkeit auch ein Gradmesser für Werte einer Gesellschaft ist, muss sich Europa einige Sorgen machen."
2 Kommentare verfügbar
Woody
am 24.01.2022