Als Fluchtort hat Mexiko eine gewisse Tradition. Die Filmgeschichte ist voll von Ganoven, die sich jenseits des Rio Grande Justizproblemen entledigen wollten. Exilanten wie Anna Seghers oder Egon Erwin Kisch verbrachten hier die Nazi-Jahre, Leo Trotzki flüchtete vor Stalins Häschern in das Land. Aus ganz anderen Gründen zieht Mexiko im Augenblick Menschen an, die ihr Heimatland satthaben. Während knapp zwei Jahren Corona-Pandemie gab es in Mexiko praktisch keine Hemmnisse bei der Einreise. Kein Test, kein Impfnachweis, kein nichts. Seit Beginn des Jahres wurde selbst der Fragebogen zum Gesundheitsstatus der Reisenden abgeschafft.
So ist Mexiko in den letzten zwei Jahren zum Magnet für vermeintliche Freigeister geworden. Menschen wie Brian etwa, ein geselliger Kanadier. Man trifft ihn täglich im Hostel in Mexiko-Stadt nahe der Metro Chabacano, seit wie vielen Monaten weiß er selber nicht mehr. Immer mit derselben Mütze, immer mit derselben Biermarke in der Hand. Seine Sicht der Dinge: Die Corona-Pandemie sei eine "totale Lüge", mit den Impfungen wolle man den Menschen leicht scanbare Nanochips implantieren, mit denen man sie dann auf Demonstrationen identifizieren könne. Mindestens sechs Impfungen werde jeder bekommen – was nach israelischem Impftempo gar nicht so unwahrscheinlich scheint, die Effizienz des besagten Nanochips aber zumindest infrage stellt.
"Sie" würden die Weltbevölkerung dezimieren wollen, Bill Gates habe dazu aus Hohn gleich ein öffentlich einsehbares Patent angemeldet. Brian erzählt, er habe vor seiner Ankunft in Mexiko viele Jahre in Belize gewohnt, dem kleinen Küstenstaat an der Südostgrenze Mexikos. Dort habe er sich auf das Ende der Welt vorbereitet, dem wir jetzt näher seien als jemals zuvor – natürlich nicht wegen der Klimakrise, sondern wegen "ihnen". Was "sie" davon hätten? Wisse er nicht, er habe zwar "sehr intensiv recherchiert", er kenne aber trotzdem nicht alle Antworten.
Gut verstehen mit Brian würde sich vermutlich Stephan Bergmann aus dem beschaulichen Althütte im Rems-Murr-Kreis. Bergmann, selbsternannter "Botschafter der indianischen Lebensweisen", Trommelbauer und vor gar nicht so langer Zeit mal Querdenken-711-Pressesprecher beglückt jetzt auch die MexikanerInnen mit seiner Präsenz, natürlich ohne Maske. Dafür aber mit seinem deutschen Maskenbefreiungs-Attest.
Drogenkartelle sorgen für freie Impfentscheidung
Was ihn hierher gebracht hat? Auf Nachfrage beteuert Bergmann, sein Aufenthalt in Mexiko habe nichts mit den Corona-Maßnahmen in Deutschland zu tun. Ein Blick auf seinen Telegram-Kanal "Peacecrowd" nährt daran Zweifel. Dort postet er ständig Fotos aus dem "freien" Mexiko, stundenlange Streams auf YouTube – mit schwerbewaffneten Militäreinheiten in der vermeintlichen Traumgegend Playa del Carmen – sind ebenso zu finden.
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