Der Mann kam aus dem Nichts. Michael Ballweg? Nie gehört, nie gesehen auf einer der 1.300 Demonstrationen, die jährlich in Stuttgart gezählt werden. Leuten wie Ferdinand Piëch, einem Spross aus dem Piëch/Porsche-Clan, gehen die demonstrierenden Straßenverstopfer gewaltig auf die Nerven. Sie stören seine Kundschaft beim Nachhausebringen ihrer Einkäufe. Piëch junior hat den größten Feinkostladen in der Stadt. Will sagen: Politik ist das eine, Porsche das andere, woraus eine merkwürdige Population erwuchs, die einerseits dem Götzen Auto huldigte, andererseits zur "Hauptstadt des Widerstands" (FAZ) emporstieg, als es um das Jahrhundertprojekt "Stuttgart 21" ging. Doch dazu später.
Der IT-Unternehmer Ballweg, Jahrgang 1975, gelernter Betriebswirt, war weder hier noch dort. Abgesehen von einer Notiz in der Zeitschrift "Computerwoche" erscheint der Gründer der "Querdenker" als Mann ohne Vergangenheit, ohne politisches Interesse. Am 11. März 2014 zeigt ihn das Fachblatt in einem engen Büro vor vier Bildschirmen, er lächelt in die Kamera und darf die Geschichte seines Geschäftsmodells erzählen, das aus Sorge um seine halbwüchsige Tochter entstand. Er hätte doch zu gerne gewusst, wo sich die Dreizehnjährige abends um 21 Uhr aufhielt, ob sie auch wirklich bei der Freundin war? Warum nicht eine App entwickeln, sagte sich der Softwareexperte, die ihm automatisch via GPS-Handyortung meldet, wo sich seine Tochter befindet? Das hat danach auch bei Handwerkern und Kurierfahrern geklappt, deren Chefs nun genau wussten, ob sie schafften oder schlampten. Sechs Jahre später postet Ballweg Bill Gates als Hitler, der via Bluetooth-Armband alle Covid-Daten erfasst. Was war passiert?
Eigentlich habe er sich auf eine Weltreise begeben wollen, in Indien Yoga machen, die "Selbstheilungskräfte des Körpers stärken", erzählt Ballweg dem Gesellschaftsmagazin "Focus" auf einem Spaziergang durch den Stuttgarter Norden.
Aus dem unpolitischen Unternehmer wird ein Agitator, dem eigentlich alle Talente dafür fehlen. Er wirkt eher schüchtern, spricht leise, liest vom Blatt ab und mäandert durch seine Themen, die ihm vom Bauchgefühl, seiner zentralen Deutungsinstanz, her sagen, dass sie zwischen Frieden, Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit und Gleichheit angesiedelt sein müssen. Er gründet "Querdenken 711" (nach der Stuttgarter Telefonvorwahl) als geradezu geniale Marke, die bundesweit variierbar ist und zu einer Empörungsmaschine wird, die Zehntausende auf die Straße treibt. Bis auf die Stufen des Reichstags.
Wie rechts ist der Gründer Ballweg?
Im April 2020 fängt Ballweg in Stuttgart mit ersten "Mahnwachen für das Grundgesetz" an. Zunächst sind es nur wenige, die mitwachen wollen. Sie tragen Schilder mit sich herum, auf denen "Wahrheit, Liebe, Freiheit" steht. Einen Monat später, im sonnigen Schlossgarten, werden die Parolen konkreter, fordern einen "Stopp der Corona-Diktatur" beziehungsweise "Merkel-Diktatur", befeuert vom Wirbel indianischer Trommeln und einem Sprecher von "Querdenken 711", der seinen Weg als "Sonnentänzer, Wassergießer, Trancecoach und Trommelbauer" empfiehlt. Dieser Sprecher ist Stephan Bergmann, er wird zum Schorndorfer Reichsbürgerverein "Primus inter pares" gezählt, den der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.
3 Kommentare verfügbar
Peter Meisel
am 17.11.2021Quer-denken erinnert mich an Brett vorm Kopf.
In Stuttgart war…