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Kretschmann-Nachfolge

Wann kommt Cem?

Kretschmann-Nachfolge: Wann kommt Cem?
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Cem Özdemir geht Konfrontationen nicht aus dem Weg, weder mit erbosten Landwirten noch mit seinen Kabinettskolleg:innen. Eine Eigenschaft, die er im Südwesten gut gebrauchen kann, falls er sich zum Ausstieg aus der Bundespolitik entschließt.

Es macht sich Endzeitstimmung bei den Südwest-Grünen breit, jedenfalls phasenweise. Der erste und bisher einzige grüne Regierungschef weltweit hat sich nicht nur in der Flüchtlingspolitik meilenweit von seiner Partei entfernt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wirkt zeitweise müde und nennt Pflichtbewusstsein als Hauptgrund für sein weiteres Wirken. Zugleich beteuert er, bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben zu wollen. Neben Kraft und Gesundheit erwähnt er neuerdings als Voraussetzung dafür die Leidenschaft, die ihm erhalten bleiben müsse.

In seinem Landesverband stiegt die Nervosität, nicht zuletzt, weil viele nicht vergessen haben, wie der inzwischen 75-Jährige schon während der vergangenen Legislaturperiode mit einem Rückzug liebäugelte: Er selber brachte damals den mittlerweile Ex-Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon (Grüne), als seinen Nachfolge-Favoriten ins Spiel und machte öffentlich, dass der aber abgewinkt hat. Gegenwärtig wird neben Özdemir immer wieder Andreas Schwarz genannt. Der ist nicht nur bestens vernetzt, sondern auch – nach der jahrzehntealten CDU-Logik – der natürliche Kronprinz, weil früher immer der Landtagsfraktionschef aufrückte ins höchste Amt. Der 44-jährige Wirtschaftsjurist reagiert aber zunehmend gereizt auf Fragen, ob er seinen Hut in den Ring zu werfen gedenkt.

Ausgabe 626, 29.03.2023

Was für eine Performance

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Baden-Württembergs Grüne laufen Gefahr, zum zweiten Mal in eine unerquickliche Nachfolge-Debatte zu schlittern. In der vergangenen Legislaturperiode hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann den gordischen Knoten durch Wiederantritt durchschlagen. Diesmal müssen andere ran.

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Für Özdemir sprechen Erfahrung, Bekannt- und Beliebtheitsheitsgrad. Vor Ausbruch der Pandemie belegte er in den einschlägigen Rankings bundesweit sogar Platz zwei. Seit November ist zudem bekannt, dass seine Ehe gescheitert ist, was den Gerüchten, er könne nun leichter Berlin verlassen, Aufwind verlieh. Und Özdemir kennt sich aus mit Gegenwind von mehreren Seiten. Umwelt-, Naturschutz- und ökologische Bauernverbände hegen hohe Erwartungen an einen grünen Bundeslandwirtschaftsminister. Zugleich sieht er sich mit harschen Vorwürfen seiner Gegner:innen konfrontiert, etwa wenn er sich für weniger Zucker oder Salz in Lebensmitteln und eine klare Kennzeichnungspflicht ausspricht. Gegenwärtig wird er als "Heuchler" beschimpft, weil sich in sozialen Netzwerken und auf Bauerndemos der Eindruck verbreitet, er selbst habe mit für die Abschaffung von Steuerbegünstigungen gesorgt. Seine entsprechenden Beteuerungen, er sei auch gegen die Abschaffung, kurz vor Weihnachten vor protestierenden Bauern am Brandenburger Tor gingen in lautstarken Buhrufen unter. Das Prinzip sei immer dasselbe, sagt Özdemir: Es werde so viel Unsinn über seine Pläne oder Entscheidungen erzählt und geschrieben, dass es einfach viel zu viel Redezeit brauche, die Verdrehungen und Verdächtigungen zu entkräften.

Dass die Südwest-CDU Unterstellungen nicht scheut, ist spätestens seit 2016 aktenkundig. Die Junge Union ging im Landtagswahlkampf mit der Behauptung hausieren, Kretschmann sei nur "das trojanische Pferd der Grünen", mit der unverblümt ausländerunfreundlichen Zuspitzung, wer ihn wähle, der bekomme Özdemir. Jetzt will der neue CDU-Landeschef Manuel Hagel auf jeden Fall verhindern, dass Özdemir noch vor Ablauf der Legislaturperiode an Kretschmanns Stelle tritt. Der 35-Jährige hat zur grün-schwarzen Halbzeitbilanz und entgegen früheren Absprachen angekündigt, dass seine Fraktion einem grünen Nachfolger nicht zu einer Landtagsmehrheit verhelfen werde. Kretschmann konterte trocken mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag, in dem mit der CDU vereinbart sei, dass die Grünen den Regierungschef stellen.

Falls Özdemir sich im Laufe der nächsten Monate zum Wechsel in die Landespolitik durchringt, wird der Wahlkampf übrigens auch zu einer Art Mundart-Wettbewerb: Hagel kann nicht anders als Schwäbisch, und der mehrsprachige gebürtige Bad Uracher setzt es nur ein, wenn er seine Verwurzelung hierzulande akustisch unterstreichen möchte. Eine spezielle Unterstützung erreichte ihn unlängst durch Viertklässler:innen, die die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ins Schwäbische übersetzt haben. Nummer vier, Bildung für alle, gefällt dem Adressaten besonders gut: "Bloß Domme moinet, d' Gscheide wisset älles."

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7 Kommentare verfügbar

  • Kader
    am 04.01.2024
    Antworten
    Minischderpräsidend isch em Ländle a Personadeng. Wer die Sprache der Albhochfläche und der Rheinauen kann, gewinnt hier. Oder frei Badisch: Es gibt Badische und Unsymbadische. Auf diese Weise hat Mappus seinerzeit die CDU vom Thron gestoßen, die im Ländle noch stärker verankert war als die CSU in…
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