Für Özdemir sprechen Erfahrung, Bekannt- und Beliebtheitsheitsgrad. Vor Ausbruch der Pandemie belegte er in den einschlägigen Rankings bundesweit sogar Platz zwei. Seit November ist zudem bekannt, dass seine Ehe gescheitert ist, was den Gerüchten, er könne nun leichter Berlin verlassen, Aufwind verlieh. Und Özdemir kennt sich aus mit Gegenwind von mehreren Seiten. Umwelt-, Naturschutz- und ökologische Bauernverbände hegen hohe Erwartungen an einen grünen Bundeslandwirtschaftsminister. Zugleich sieht er sich mit harschen Vorwürfen seiner Gegner:innen konfrontiert, etwa wenn er sich für weniger Zucker oder Salz in Lebensmitteln und eine klare Kennzeichnungspflicht ausspricht. Gegenwärtig wird er als "Heuchler" beschimpft, weil sich in sozialen Netzwerken und auf Bauerndemos der Eindruck verbreitet, er selbst habe mit für die Abschaffung von Steuerbegünstigungen gesorgt. Seine entsprechenden Beteuerungen, er sei auch gegen die Abschaffung, kurz vor Weihnachten vor protestierenden Bauern am Brandenburger Tor gingen in lautstarken Buhrufen unter. Das Prinzip sei immer dasselbe, sagt Özdemir: Es werde so viel Unsinn über seine Pläne oder Entscheidungen erzählt und geschrieben, dass es einfach viel zu viel Redezeit brauche, die Verdrehungen und Verdächtigungen zu entkräften.
Dass die Südwest-CDU Unterstellungen nicht scheut, ist spätestens seit 2016 aktenkundig. Die Junge Union ging im Landtagswahlkampf mit der Behauptung hausieren, Kretschmann sei nur "das trojanische Pferd der Grünen", mit der unverblümt ausländerunfreundlichen Zuspitzung, wer ihn wähle, der bekomme Özdemir. Jetzt will der neue CDU-Landeschef Manuel Hagel auf jeden Fall verhindern, dass Özdemir noch vor Ablauf der Legislaturperiode an Kretschmanns Stelle tritt. Der 35-Jährige hat zur grün-schwarzen Halbzeitbilanz und entgegen früheren Absprachen angekündigt, dass seine Fraktion einem grünen Nachfolger nicht zu einer Landtagsmehrheit verhelfen werde. Kretschmann konterte trocken mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag, in dem mit der CDU vereinbart sei, dass die Grünen den Regierungschef stellen.
Falls Özdemir sich im Laufe der nächsten Monate zum Wechsel in die Landespolitik durchringt, wird der Wahlkampf übrigens auch zu einer Art Mundart-Wettbewerb: Hagel kann nicht anders als Schwäbisch, und der mehrsprachige gebürtige Bad Uracher setzt es nur ein, wenn er seine Verwurzelung hierzulande akustisch unterstreichen möchte. Eine spezielle Unterstützung erreichte ihn unlängst durch Viertklässler:innen, die die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ins Schwäbische übersetzt haben. Nummer vier, Bildung für alle, gefällt dem Adressaten besonders gut: "Bloß Domme moinet, d' Gscheide wisset älles."
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am 04.01.2024