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Gemeinderat Stuttgart

Buhlen um Volt

Gemeinderat Stuttgart: Buhlen um Volt
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Trotz leichter Zugewinne für CDU und AfD steht die grün-linke Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat. Zu welchen Fraktionen sich die Gewählten zusammenschließen, ist teils noch offen. Am spannendsten ist, wie sich die neu vertretene Partei Volt entscheiden wird.

Zu sehen sind viele kämpferisch emporgereckte Fäuste auf der Treppe vor dem Rathaus. "Nimm das, CDU Stuttgart", kommentiert der linke Stadtrat Luigi Pantisano das Gruppenfoto nach der Gemeinderatswahl am 9. Juni. Versammelt haben sich Vertreter:innen des ökosozialen Lagers, also von den Parteien und Wahllisten der Grünen, SPD, Linke, Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS), Volt, der Stadtisten, von Tierschutzpartei, Die Partei und Klimaliste. Die Union hatte "den grün-linken Gemeinderat" auf ihren Plakaten zur "schlimmsten Baustelle Stuttgarts" erklärt. Und diese gleichermaßen aggressiv wie unanständige Kampagne habe viel kaputtgemacht, betonten die Fraktionsvorsitzenden der besagten Mehrheit im Gespräch mit Kontext. Nun zeigen sie sich erleichtert, dass die konservative Wahlkampfstrategie nicht so recht gefruchtet hat.

Zwar ist die grün-linke Mehrheit leicht geschrumpft, aber sie besteht hauchzart fort, nun mit 32 statt 35 Sitzen (für eine Mehrheit braucht es 31 Stimmen). Und wie sich das für streitbare Ökolinke gehört, handelt es sich nicht um einen einheitlichen Block, sondern um ein breites Spektrum, das ganz schön zersplittert ist. Ab vier Stadträt:innen kann eine Fraktion gebildet werden, was eine kritische Schwelle für die Arbeit im Gremium darstellt: Mit dem Fraktionsstatus gehen erheblich mehr Mittel für die Beschäftigung von Mitarbeiter:innen einher, zudem werden Fraktionen mehr Büroräume zur Verfügung gestellt.

Keine Sorgen müssen sich die Grünen und die SPD machen, die mit 14 und sieben Sitzen genügend Mandatsträger:innen entsenden. Die Linke und SÖS bestätigen gegenüber der Redaktion, dass sie wie in den vorangegangenen Wahlperioden erneut anstreben, eine Fraktionsgemeinschaft zu bilden. Sie kommen zusammen auf fünf Sitze. Zum Redaktionsschluss galt zudem als wahrscheinlich, dass sich auch Dennis Landgraf, der einzige Stadtrat der Tierschutzpartei, anschließen wird. Er schreibt auf Anfrage, dass er auf jeden Fall nicht alleine arbeiten wolle, "denn als Einzelperson bist du leider handlungsunfähig in so einem Gremium". Und er möchte "verhältnismäßig viele Aufgaben übernehmen", denn: "Ich bin jung und habe keine Familie, um die ich mich kümmern muss, kann also wirklich auch vor Ort für die Menschen da sein und nicht einfach aus einem noblen Büro Politik machen."

Eine Puls-Fraktion wird hingegen nach Informationen von Kontext nicht mehr zustande kommen. Diese bestand zuletzt aus fünf Stadträt:innen. Wiedergewählt wurden davon Thorsten Puttenat (Die Stadtisten), Ina Schumann (Die Partei) und der Ex-Linke Christoph Ozasek (inzwischen Klimaliste). Schumann sagt gegenüber Kontext, sie wünsche sich, "wieder Teil einer Fraktionsgemeinschaft im pulsschen Stil zu werden". Daher gebe es "aktuell Gespräche mit den anderen einzeln oder zu zweit gewählten Stadträt:innen aus dem links-grün-versifften Spektrum". Auch Puttenat und Ozasek bestätigten, dass Verhandlungen laufen. Kurz vor Redaktionsschluss gab Puttenat bekannt, dass sie von Volt eine Absage in Sachen Fraktionsbildung erhalten hätten. Daher würden sie nun zu dritt eine Gruppe bilden. Das bedeutet zwar weniger Mittel als bei einer Fraktion, ermögliche es ihnen aber, Ausschüsse zu besetzen. 

Von der Linken zu den Freien Wählern

Aus dem ökosozialen Lager abgewandert ist Laura Halding-Hoppenheit, die vor fünf Jahren auf dem Wahlzettel der Linken antrat und nun über die neue Stuttgarter Liste eingezogen ist. Sie sei "zu alt für Dogmen", erklärt sie gegenüber Kontext, daher will sie weg von Parteien. Sie tritt deshalb der Fraktion der Freien Wähler bei. An denen gefällt ihr, "dass sie unternehmerfreundlich sind und ein Herz für Frauen und Kinder haben". Armut bleibe weiterhin ihr Schwerpunktthema, versichert sie, und "alle guten Projekte" werde sie weiter unterstützen. "Und dann muss ich noch sagen, dass ich mit Klima nicht so viel am Hut habe. Das ist wichtig, aber hier in Stuttgart haben die Menschen andere Probleme."

Somit wird für die Fraktionsbildung am spannendsten, wie sich die zwei Stadträt:innen der erstmals im Gemeinderat vertretenen Partei Volt entscheiden werden. "Wir planen, mit anderen Gewählten eine Fraktionsgemeinschaft zu bilden", bestätigen Celine Hirschka und Tillmann Bollow auf Anfrage. "Uns ist die persönliche Ebene sehr wichtig. Dass man gut zusammenarbeiten kann und sich als Team versteht." Aber natürlich auch, "dass wir in diesem Team unsere politischen Forderungen Realität werden lassen können". Mit wem genau sie sich das am besten vorstellen können, war zum Redaktionsschluss aber noch offen. Da nach Angaben von Puls und SÖS-Linke keine gemeinsame Fraktion mit Volt entstehen werde, bleiben noch SPD und Grüne für einen Schulterschluss. 

In jedem Fall wird in diesem fragmentierten Spektrum eine gute Koordination wichtig sein, um ökosoziale Projekte anzustoßen. In der vergangenen Wahlperiode waren insbesondere die Haushaltsberatungen ein großer Zankapfel, sodass hier trotz theoretischen Vorhandenseins keine grün-linke Mehrheit zustande kam. Die Spielräume sind nun noch enger geworden: Der bürgerlich-liberal-konservativ-rechtsextreme Block von CDU, Freien Wählern, FDP und AfD kommt nun inklusive Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) auf 29 von 61 Stimmen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Kotz behauptete zwar, dass die Brandmauer stehe und es keine gemeinsamen Anträge mit der AfD geben werde. Er machte aber auch klar, dass er sich nicht gegen Stimmen für CDU-Anträge wehren werde, egal von wem sie kommen. Umgekehrt ist auch klar: Schon bei einem leichten Dissens im ökosozialen Lager könnte die hauchzarte Mehrheit bei Abstimmungen nicht mehr zustande kommen.

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5 Kommentare verfügbar

  • Hedvig Jonassen
    am 19.06.2024
    Antworten
    Und was macht die grün-linke Mehrheit im Gemeinderat so, außer sich von Herrn Nopper & Co. am Nasenring herumführen zu lassen? Man tut nichts dagegen, dass die Innenstadt zu einem einzigen Ballermann wird, man lässt die Stuttgart Plätze lieber als Betonwüsten, weil Bäume schließlich (oGottoGott) den…
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