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Haushalt der Stadt Stuttgart

Der Wahlkampf winkt

Haushalt der Stadt Stuttgart: Der Wahlkampf winkt
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Wenig Strategie und viel Kleinklein, das vermittelte die abschließende Beratung des Stuttgarter Doppelhaushalts 2024/25. Wie rund elf Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren ausgegeben werden sollen, bestimmte vor allem eine Fraktionskooperation, die eigentlich in der Minderheit war. Am Ende half die FDP.

Es ist natürlich schön, wenn Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Stuttgart nun Gratisplätze im Feuerwehrhotel am Titisee bekommen können. Das hat der Stadtrat jedenfalls so beschlossen, Kosten: 20.000 Euro pro Jahr. Diverse Sanierungen diverser Feuerwehrhäuser für mehrere Millionen Euro wurden abgelehnt, ebenso die Mittel für die Sanierung des ehemaligen Club Penthouse für die Freie Tanz- und Theaterszene (FTTS). Es ging um Kunstrasenplätze (zum Teil abgelehnt), kostenfreie Schwimmkurse für Bonuscard-Nutzer:innen (abgelehnt), ein Gremium, das Straßennamen untersucht (kommt), ein feministisches Pornofestival (wird gefördert), um Geld für Klimaschutz, für Gebäudesanierungen, Fahrradwege, Großprojekte, Stuttgartzulage für Beschäftigte, ...

Ein städtischer Haushalt ist anspruchsvoll und vielfältig. Wenn allerdings Stadträte sich teilweise bis in kleinste Detail hineinarbeiten, stimmt was nicht. Von Grünen bis CDU wurde in der Beratung immer wieder moniert, dass die Vorlage, also der Haushaltsentwurf der Verwaltung, lückenhaft sei. Also gab es 4.600 Anträge und Anfragen im gesamten Verfahren, am Ende der letzten Lesung (14 Stunden) wurde ein Etat beschlossen, der für 2024 und 2025 rund 11,2 Milliarden Euro umfasst. Insgesamt ein Rekord in Bezug auf Zeit, Umfang und Debattenbedarf.

Stückwerk nach Fraktionsvorlieben

Ob nun hinter dem Haushalt ein Konzept steht, darf bezweifelt werden. Eher ein Stückwerk nach Vorlieben von Fraktionen. Beispiel FTTS: Die sucht seit 2008 eine neue Wirkungsstätte. Das Penthouse in Feuerbach könnte dafür für etwa 18 Millionen Euro saniert werden, und das wollte die Mehrheit nicht. Man habe Bauchschmerzen, so viel Geld in ein Gebäude zu investieren, das der Stadt nicht gehört, meinte Dejan Perc (SPD). Vielleicht könnte die FTTS ja ins alte Kaufhof-Areal, das solle man mal prüfen. "Was soll denn da noch rein", fragte Luigi Pantisano (Linke/FrAktion). Außerdem stecke die Stadt auch Geld ins Gebäude für das Haus der Kulturen, das der Stadt ebenfalls nicht gehöre. "Dann sagen Sie doch, dass Sie die Freie Tanz- und Theaterszene nicht wollen", schimpft Pantisano. "Dass die abwandern sollen. Das würde ich denen mittlerweile auch raten." Half nichts, das Geld fürs Penthouse wurde abgelehnt.

Aber wie wäre es mit einem Konzertforum auf dem Rilling-Areal am Neckar? Das gehört der Stadt ebenfalls nicht. Aber schön wäre es. Und wichtig für das Kammerorchester, für die Philharmonie, erklären Grüne und CDU. "Was müssen wir beschließen, damit es da voran geht?", fragt Jürgen Sauer (CDU). Seine Fraktion könne sich dort gut ein Privat-Partnership-Modell vorstellen. Der Vorsitzende der FrAktion Hannes Rockenbauch von SÖS – "Wir sind nicht grundsätzlich dagegen" – möchte wissen, ob ein weiteres großes Kulturprojekt aus dem städtischen Haushalt finanzierbar ist, angesichts von Opernsanierung, Villa Berg, Haus der Kulturen, einer Neuen Arena statt Schleyer-Halle? Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) antwortet, er habe doch mal eine Liste mit allen kulturellen Großprojekten erstellt, insgesamt über 7,2 Milliarden Euro, und nein, das sei nicht alles finanzierbar. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) schließt sich dem an. Aber es sei durchaus legitim, wenn Fraktionen fragten, was so ein Konzertforum kosten würde, findet Fuhrmann. Und danach würde dann eben der Rat entscheiden, ob es tatsächlich gebaut wird. 240.000 Euro für die Planung des Konzertforums sind nun eingeplant.

"So läuft es hier immer", befindet Rockenbauch. Erst ein Prüfauftrag mit Kostenschätzung, dann wird's beschlossen, dann wird's teuer. Wie bei der Villa Berg, die mal 50 Millionen Euro kosten sollte, jetzt bei 100 Millionen Euro liegt. Und wie die Sanierung der Oper inklusive Interimsspielstätte bezahlt werden soll, sei noch gar nicht geklärt. "Es wird doch nichts finanzierbar, nur weil man eine Machbarkeitsstudie macht." Rockenbauch wirkt langsam verzweifelt. Aber am Ende fehle das Geld, um den Stadtratsbeschluss von 2022 umzusetzen, Stuttgart bis 2035 klimaneutral zu machen. Aber gut, dann sei es wohl so, dass die anderen Fraktionen die Klimaneutralität gar nicht wollten. Das konnten vor allem die Grünen nicht auf sich sitzen lassen: "Sie haben doch 3,5 Milliarden Euro allein im Kulturbereich gefordert", erwidert Björn Peterhoff (Grüne) in Richtung Rockenbauch/FrAktion und will damit wohl sagen, die FrAktion würde ja noch viel mehr Geld ausgeben als Grüne, SPD, Puls und die Ex-FDPlerin Sibel Yüksel, die zwar im Gemeinderat in der Minderheit sind, aber große Teile des Haushalts bestimmt hatten, weil sie im Haushaltsausschuss eine Mehrheit hatten.

Sitzverteilung im Stuttgarter Gemeinderat

Grüne: 16. CDU: 12. SPD: 7. Die FrAktion (Zusammenschluss aus SÖS, Linke, Piraten, Tierschutzpartei): 7. PULS (Zusammenschluss aus Stadtisten, Die Partei, Junge Liste, Linke): 5. FDP: 4. AfD: 4. Freie Wähler: 4. Fraktionslos: 1 (Sibel Yüksel).

Yüksel trat im März 2023 aus der FDP aus, blieb im Rat und behielt auch ihren Sitz im Verwaltungsausschuss. Sie bildet eine Zählgemeinschaft mit der SPD. Im Verwaltungsausschuss sitzen außerdem: 5 Grüne, 4 CDU, 2 FrAktion, 2 SPD, 2 PULS, 1 AfD, 1 Freie Wähler.  (lee)

Auf keinen Fall mit der AfD

Nun aber, im Gemeinderat, reichte diese Konstellation nicht aus. CDU, Freie Wähler, FDP, AfD und die FrAktion hätten theoretisch alles kippen können. Und es gab eine Reihe von Anträgen, die von diesen Fraktionen eigentlich befürwortet wurden, zum Beispiel eine Abgasabsauganlage für die Freiwillige Feuerwehr Botnang plus Sanierung für 1,5 Millionen Euro. Kam aber nicht durch, weil die FrAktion nicht vollständig mitstimmte. "Wir werden hier nichts unterstützen, das nur durch die Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommt", erklärte Luigi Pantisano. So stimmte das linke Bündnis – wenn notwendig – auch gegen ihre eigenen Anträge oder enthielt sich, um den Rechtsextremen politische Mitwirkung zu verwehren. Also gibt's keine Zuschüsse für diverse Sportevents, mehrere neue Kunstrasenplätze fielen ebenfalls durch.

Das Vorgehen der FrAktion verstanden nicht alle. Oberbürgermeister Frank Nopper: "Nur dass ich's verstehe: Der Antrag wurde auch von der Fraktion Die FrAktion gestellt?", fragte er, als sich dort zwei, drei Mitglieder wieder mal bei einem eigenen Antrag enthielten. Auch für Alexander Kotz, den Fraktionsvorsitzenden der CDU, war das politische Vorgehen der FrAktion schwer zu ertragen. Immer wieder schaute er gespannt zur anderen Seite des Saales, wo die Stadträt:innen des linken Bündnisses sitzen, und zählte, wieviele von ihnen sich enthielten, um dann fassungslos den Kopf zu schütteln. "Sie können dankbar sein, dass wenigstens wir die Brandmauer zur AfD aufrecht halten", rief ihm Luigi Pantisano (Linke) zu. War die CDU aber nicht.

Ob die Fraktionen der Ausschussmehrheit aus Grünen, SPD, Puls und Yüksel darüber nachgedacht hatten, was für eine Situation sie im Rat durch ihr Vorgehen im Ausschuss hervorrufen würden, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall waren sie damit ein Risiko eingegangen, befindet Rockenbauch. "Der Haushalt wäre denen doch um die Ohren geflogen, wenn wir im Gemeinderat mit der AfD gestimmt hätten."

Am Ende aber gab es ja eine Mehrheit für den Doppelhaushalt: Weil die FDP noch mitstimmte. Und der Oberbürgermeister. Da allerdings in den stundenlangen Beratungen die Gesamtausgaben deutlich angewachsen waren, stellte die Verwaltung am Ende den Antrag auf eine globale Minderausgabe: Nun müssen 2025 insgesamt 20 Millionen Euro eingespart werden. Irgendwo. Wird man dann sehen. Das konterkariert so manchen Beschluss, störte die beschließende Mehrheit aber nicht. 2025 ist schließlich noch lange hin und so manche:r mag sich gedacht haben: Wer weiß, ob ich da noch oder wieder Stadträtin oder Stadtrat bin. Schließlich sind in sechs Monaten Wahlen.

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3 Kommentare verfügbar

  • Stefan Urbat
    am 26.12.2023
    Antworten
    Kleine Anmerkung zur Feuerwehr: es gab insgesamt sechs Anträge (aus der Ämterliste) für die Feuerwehrhäuser der freiwilligen Feuerwehr, davon wurden letztlich die drei wichtigsten beschlossen, bei den anderen drei besteht noch die Chance im nächsten Doppelhaushalt.
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