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Schnelle Redner, lahme Männer

Schnelle Redner, lahme Männer
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Was Effizienz und Nachhaltigkeit angeht, macht Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) niemand etwas vor. Der OB erklärt in Windeseile alles zur Chefsache, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und er spricht so schnell, dass er in der gleichen Zeit mindestens doppelt so viele Wörter unterbringt wie sein Amtsvorgänger Fritz Kuhn. Und einen solchen Umgang legt er mitunter auch seinen Mitmenschen nahe. Als die Fraktionen des Stuttgarter Gemeinderats am vergangenen Donnerstag ihre Konzepte zum Doppelhaushalt der Stadt für 2022/23 darlegen sollten, war schon vorab eine Richtredezeit von 12 Minuten festgelegt worden. Der Erste Bürgermeister Fabian Mayer bediente die Stoppuhr, und Nopper ließ es sich nicht nehmen, nach zackiger Zeitabfrage ("Das waren, Herr Erster Bürgermeister?") den jeweiligen Umgang damit zu kommentieren. Mit Lob, etwa bei Grünen-Fraktionschefin Petra Rühle ("Sieben Minuten! In der Kürze liegt die Würze, Frau Stadträtin"), aber auch mit sanftem Tadel wie bei CDU-Mann Alexander Kotz ("12 Minuten 45, etwas überzogen, Herr Stadtrat").

Dieser Geist weht offenbar auch bei anderen Themen durchs Rathaus. So verschickte die Stabsstelle für Wirtschaftsförderung im Rathaus jüngst ihre Einladungen zum Innovationspreis 2021 hundertfach auf Vollplastikplaketten. Anstatt in der grassierenden Papierkrise den darbenden Verlagen noch mehr Bedruckbares wegzunehmen. Dem erwartbaren Lamento, Recycling-Papier hätte es doch auch getan, wollen wir dennoch zur Hälfte stattgeben und legen der Stadtverwaltung nahe, fürderhin solche Einladungen auf Wachstafeln zu versenden. Denn daraus lassen sich dann viele Kerzen gießen, die Stuttgart wieder "zum Leuchten bringen", was Nopper ja schon in seinem Wahlkampf als ganz großes Ziel ausgegeben hatte.

Ein ganz anderes Ziel schien kürzlich zum Greifen nahe. Eigentlich sollte am vergangenen Donnerstag angestoßen werden auf eine erfolgreiche Landtagswahlrechtsreform, die endlich mehr Frauen ins Südwest-Parlament bringen soll. Deshalb hatte sich auf Einladung des Landesfrauenrats ein buntes Grüppchen am Stuttgarter Eckensee versammelt. Doch wieder einmal wurde es nix. Lahme Männer, nicht zuletzt die FDP, haben den Zeitplan kannibalisiert. Dass endlich mehr als die mickrigen 29 Prozent Frauen in der Landespolitik vertreten sind – dafür kämpft der Landesfrauenrat schon seit Jahrzehnten.

Und seit den Anfängen von Kontext berichten wir mit zunehmend dickem Hals, dass der Fortschritt in Sachen Frauen eine Schnecke ist. Sei es bei den Feierlichkeiten zu 100 Jahre Frauenwahlrecht oder bei windigen Deals der grün-roten Regierung. Immer wieder blieb unsere Autorin Johanna Henkel-Waidhofer beharrlich dran, insgesamt mehr als 28 Mal in Kontext. 28 Mal! Jetzt macht mal hinne, Jungs. Und vergesst nicht, eure Listen paritätisch zu besetzen. Wir wären glücklich, wenn wir bald den 30. Kontext-Artikel über eine – nun endlich erfolgreiche – Wahlrechtsreform schreiben könnten. Und dann bitte, bitte niemals wieder!

Ebenfalls seit Jahren berichtet Kontext-Autor Jürgen Lessat über die oft obskuren Argumente und Zusammenschlüsse von Windkraft-Gegnern. Zuletzt über eine Widerstands-Koalition zwischen der Hochschwarzwald Tourismus GmbH (HTG) und einem Verein namens LANA, die zu einer Veranstaltung im Kurhaus Schluchsee mit Tunnelbohrer Martin Herrenknecht am 29. Oktober geladen haben. Es geht obskur weiter: Den Herrenknecht-Vortrag will sich auch Klaus von Zahn, Amtsleiter des Umweltschutzamts Freiburg, anschauen – das wird ihm aber verwehrt, man will offenbar unter sich bleiben. Damit das nicht ganz gelingt, haben die Freiburger Gruppen von Extinction Rebellion und Fridays for Future am Freitag ab 14:15 Uhr zu einer Gegenkundgebung vor dem Kurhaus aufgerufen. Wenig Öffentlichkeit wünscht sich auch Schluchsees windradskeptischer Bürgermeister und HTG-Aufsichtsratsvorsitzender Jürgen Kaiser – er ignoriert beharrlich die Anfragen einer Studentin, die ihre Masterarbeit über den Widerstand gegen Windkraft schreiben will und sich mit ihrer Recherche auch an unseren Autor gewandt hat. Keine Probleme hat die HTG offenbar wiederum damit, Adressdaten von Gastronomen an den LANA-Verein weiterzugeben, obwohl das gegen den Datenschutz verstoßen würde. Wes Geistes Kind manche Windkraft-Gegner sind, zeigte sich kürzlich im ebenfalls im Südschwarzwald gelegenen Münstertal, wo Windkraft-Befürworter seit Jahren aktiv sind und ihre Haltung mit Plakaten an ihren Zäunen kundtun (Kontext berichtete hier und hier). Eines dieser Plakate und der Zaun daneben wurden Anfang Oktober mit Hakenkreuzen beschmiert und auf der Straße stand groß "AfD" gesprüht. So klar ordnen sich die Anhänger dieser Partei nicht immer ein.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 27.10.2021
    Antworten
    In unseren Kindertagen hieß es oftmals, wenn der Nachwuchs nicht schnell genug in die Gänge kam:
    Sei nicht so lahmarschig!

    Die Männer würden übrigens nicht so lahm sein, so deren Frauen ihnen nicht immer wieder das Meiste abnehmen würden!!!

    Geist im Rathaus durch Nopper, Kuhn und … Nicht…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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