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Angst killt Argumente

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Bundesweit streiken jeden Freitag tausende Schüler für Klimaschutz. Im Schwarzwald bringt ein Bürgerentscheid ein lokales Projekt für erneuerbare Energie zu Fall: Windkraftgegner schürten erfolgreich Ängste gegen Bürgerwindräder.

Bis zuletzt glaubte Ralf Schumann daran, die Mehrheit der Münstertäler hinter sich zu haben. "Wir hatten die besseren Argumente", blickt der 63-jährige Geigenbauer auf den Wahlsonntag am 27. Januar zurück. Monatelang hatten er und seine Mitstreiter von der Bürgerenergiegenossenschaft für ihre beiden Windkraftanlagen (WKA) auf dem Breitnauer Kopf oberhalb der Schwarzwaldgemeinde gekämpft. Bunte Holzwindräder gezimmert, in Vorgärten und auf Verkehrsinseln aufgestellt. Betttücher mit Slogans ("Saubere Energie von hier", "Klima lokal schützen") bemalt und an Hauswände und Gartenzäune gehängt. Bei bitterer Kälte auf dem Wochenmarkt ausgeharrt, um für die Energiewende im eigenen Ort zu werben. Tausende Flyer verteilt, Dutzende Beiträge fürs Amtsblatt verfasst und vier Vorträge mit Experten organsiert, um mit Fakten die Angstkampagne der Windkraftgegner zu entkräften.

Doch alle Mühen waren vergeblich. Klar wurde dies, als Münstertals Bürgermeister Rüdiger Ahlers das Ergebnis des Bürgerentscheids verkündete: 54,5 Prozent der Abstimmenden votierten dafür, dass die Gemeinde nahe Freiburg keine Pachtverträge für den Bau der Rotoren abschließen darf. Bei einer Wahlbeteiligung von 64 Prozent wurde das notwendige Quorum deutlich übertroffen. "Das traf mich wie ein Schlag", sagt Schumann und schildert, wie er sich damals benommen auf den Heimweg machte, während Windkraftgegner jubelnd im Rathaus zurückblieben.

Ihren Windpark, den die rund 50 Genossenschafter nach über zehnjährigem Planungs- und Genehmigungsmarathon endlich auf der Zielgeraden sahen, war auf den letzten Metern ein gewaltiger Stein in den Weg gelegt worden. Drei Jahre ist die Gemeinde an den Bürgerentscheid gebunden. "Einen Neustart wird es nicht geben. Der Traum, mit lokal erzeugtem Windstrom einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ist ausgeträumt", sagt Schumann heute.

Nerven, Zeit und Geld hatten die Energiegenossen in ihr Projekt investiert. Alles ist jetzt in den Wind zu schreiben. "Der Schaden ist gewaltig", resümiert Alexander Hakenjos, Geschäftsführer der Windpark Münstertal Projektgesellschaft. Etwa 400 000 Euro seien bereits für Gutachten und Anträge ausgegeben worden. Die Unterlagen sind nur noch Altpapier. Zusätzlich muss auch Münstertal Einnahmeausfälle verkraften. Pacht und Gewerbesteuer summieren sich in der 20-jährigen Windpark-Betriebszeit auf etwa die gleiche Größenordnung. Für eine kleine Gemeinde sind das mehr als Peanuts.

Das Land wird seine Klimaschutzziele wohl verfehlen

Nicht zuletzt schmerzt der ökologische Verlust: 15,5 Millionen Kilowattstunden sauberen Strom sollten die beiden Rotoren jährlich erzeugen, was dem Verbrauch von 5850 Haushalten entspricht. "Jährlich hätten wir rund 15 500 Tonnen Treibhausgase eingespart", rechnet Hakenjos vor. Das Votum der Münstertäler trägt auch mit dazu bei, dass das Land seine Klimaschutzziele wohl verfehlt. Erst im vergangenen Sommer hatte sich Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) vom erklärten Ziel verabschiedet, bis zum Jahr 2020 zehn Prozent des im Land produzierten Stroms aus Windkraft zu erzeugen. 2018 waren nur 35 Anlagen im Land neu in Betrieb gegangen, im Vorjahr noch 123. Derzeit drehen sich im Südwesten 720 Rotoren, bundesweit sind es knapp 30 000.

Warum hatte der Bürgerentscheid trotzdem "Erfolg", wie die "Badische Zeitung" titelte? Zumal alle "Umstände" für die Bürgerwindräder sprachen. Im vergangenen Sommer hatte die deutschlandweite Dürre auch den Schwarzwald ausgetrocknet. Klimatologen warnten, dass extreme Trockenheiten künftig häufiger auftreten, wenn die Treibhausgase weiter den Klimawandel anheizen. Daneben hatte der Kampf um den Hambacher Forst, den der Energiekonzern RWE wenige Wochen zuvor für den Braunkohletagebau fällen wollte, bundesweit einen Diskurs über den Umstieg auf erneuerbare Energien ausgelöst.

Zwei Tage vor dem Münstertäler Urnengang hatte zudem die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum eine vielbeachtete Rede gehalten. "Ich will, dass Ihr in Panik geratet", hatte die schwedische Schülerin Staats- und Konzernlenker aufgefordert, endlich tatkräftig gegen die Erderwärmung vorzugehen. Es sei noch nicht zu spät zum Handeln, betonte die Neuntklässlerin, der inzwischen Tausende Schüler und Studenten weltweit jeden Freitag mit Schulstreiks folgen. "Die Lösung ist so einfach, dass ein kleines Kind sie verstehen kann: Wir müssen den Ausstoß von CO2 stoppen."

Doch im Schwarzwald versteht man offenbar selbst einfache Lösungen nicht. Seit Jahren bekämpft im Münstertal eine Bürgerinitiative den geplanten Windpark. Wie anderswo in Deutschland, wo Widerstand gegen Windenergie existiert, hatte auch sie zunächst altbekannte Vorurteile bedient. Die Rotoren, rund zwei Kilometer Luftlinie vom Ort entfernt, wären angeblich durch Infraschall gesundheitsgefährdend, würden Touristen durch ihren Lärm vertreiben, seltene Vögel schreddern und – was ein Widerspruch zu vorigen Argumenten ist – sich aus Windmangel kaum drehen. Kurzum: raffgierige Investoren würden sich mit Hilfe der EEG-Umlage auf Kosten anderer bereichern wollen, so der Vorwurf der WKA-Gegner.

Münstertal – wo Windräder angeblich Quellen bedrohen

Im vergangenen Sommer, mitten in der Dürreperiode, fuhren die Gegner dann ein weiteres Geschütz auf, das sich als das treffsicherste erweisen sollten: Die Windräder auf dem Breitnauer Kopf würden die Trinkwasserquellen am Fuße des Berges gefährden, behaupteten sie. "Tiefreichende Bodenerschütterungen über dem empfindlichen Wasserwegegeflecht im klüftigen Gesteinsuntergrund" beim Bau der Fundamente und die Vibrationen eines drehenden Windrades könnten "unterirdische Wasserwege verändern oder die Quellen ganz versiegen lassen", malten sie in Flyern und auf Großplakaten als Horrorszenario. Da es "keinen Plan B" gebe für die Wasserversorgung von Münstertal und der Nachbarstadt Staufen, die ebenfalls von dort Trinkwasser bezieht, könnten im schlimmsten Fall Menschen verdursten, wurde unausgesprochen unterstellt.

Windräder oder Wasser? Ein Risikoszenario, das deutschlandweit noch nie dokumentiert wurde. Auch in Münstertal hätte laut mehreren Gutachten keine Gefahr bestanden. Weder Bau noch Betrieb der Rotoren hätten die Quellschüttungen beeinträchtigt. "Risiken bezüglich der Wassermenge sind nicht vorhanden", schließt Professor Nico Goldscheider vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine geringere Schüttung oder gar ein Versiegen der Quellen aus. Der renommierte Hydrogeologe, der auf Einladung der Energiegenossenschaft vor Ort auftrat, schätzt auch die Risiken für die Wasserqualität als gering ein. "Eine vorübergehende, geringfügige Trübung während der Erdarbeiten ist möglich, tritt aber auch natürlich etwa durch Starkregen, Windwurf oder Rodungsarbeiten auf, und kann durch Filtration leicht beseitigt werden", so der Experte.

Klarheit, wie schnell und stark eine Oberflächenverunreinigung sich im Quellwasser wiederfindet, hätte ein Färbeversuch gegeben. Doch den bereits genehmigten Versuch lehnte die Nachbarstadt Staufen vor zwei Jahren ab. Stattdessen drohte Bürgermeister Michael Benitz (CDU) im August 2017 in der "Badischen Zeitung": "Die Stadt wie auch die Stadtwerke Müllheim-Staufen werden sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln juristisch gegen den Windpark wehren, da wir ernsthafte Gefahren für die dort liegenden Wasserquellen sehen." Eine Drohung, auf deren Basis die Münstertäler Windkraftgegner ein Jahr später den fraglichen Bürgerentscheid beantragten.

"Wir hatten volle Aufrüstung im Ort", erinnert sich Bürgermeister Ahlers an die aufgeheizte Stimmung damals, die sich an zerstörten Plakaten und Holzwindrädern zeigte. "Jetzt ist wieder Ruhe im Tal", gibt er sich erleichtert, "das Thema ist beendet". Dabei hatte der Schultes mit SPD-Parteibuch selbst den Windpark befürwortet. "Einen wirklichen Beitrag zur Energiewende können wir nur unter Einbeziehung der Windkraft leisten", hatte er vor der Abstimmung geworben. "Der Widerstand hat sich professionalisiert und einen geschickten Aufhänger ins Spiel gebracht", erklärt er heute das Wahlergebnis. Dabei gehe die eigentliche Gefahr für das Trinkwasser nicht von den Rotoren, sondern vom Klimawandel aus. "Es enttäuscht mich, dass bislang kaum jemand bereit ist, sich persönlich für den Klimaschutz einzuschränken", so der Bürgermeister.

"Mit Sachargumenten gewinnt man keine Wahl", resümiert Geschäftsführer Hakenjos. "Statt nur sachlich über das Projekt zu informieren, hätten wir stärker die Falschaussagen der Windparkgegner thematisieren müssen." Ob das den Wahlausgang geändert hätte? Die Meinungsbildung auf dem Land erfolge meist in den Gruppen und Vereinen vor Ort, etwa in der Trachtenkapelle, meint er. "Wir hatten große Gruppierungen gegen uns, denen die Bedrohung durch den Klimawandel noch zu abstrakt ist."

Holz hacken tut's doch auch

Dem widerspricht Klaus Fischer, einer der Initiatoren des Bürgerentscheids. "Ich habe kein Klimaschutzprojekt verhindert", sagt der 58-jährige Elektroingenieur im Vorruhestand, "den Schuh ziehe ich mir nicht an." Die Münstertäler hätten mehrheitlich nicht gegen Windenergie gestimmt. "Es ging nur um diesen Standort und den Schutz unseres Wassers", betont er. Windräder könnten auch woanders gebaut werden. Auf Gemarkung der Gemeinde seien zwei weitere Vorranggebiete ausgewiesen, betont er. Dass Investoren wie der Energieriese EnBW wegen zu geringer Windgeschwindigkeiten oder Artenschutzkonflikten bei diesen Standorten bereits abgewinkt haben, lässt er nicht gelten. "Vielleicht findet sich morgen ein Betreiber, wenn sich beispielsweise die Förderbedingungen ändern."

Als Kompensation für die fehlende CO2-Einsparung könnten mehr Fotovoltaikanlagen auf Münstertäler Dächern sorgen, am besten mit Batteriespeichern im Keller, schwebt Fischer vor. Außerdem schlägt er vor, den Holzreichtum des Schwarzwalds zur Nahwärmeversorgung zu nutzen. Holz gilt als erneuerbarer Energieträger, obwohl bei seiner Verbrennung ebenfalls CO2 frei wird. Zudem könnte sich eine örtliche Agendagruppe bilden, die Bürgern dabei helfe, ihren persönlichen CO2-Fußabdruck zu verkleinern, schlägt Fischer als weitere Klimaschutzmaßnahme vor. Bei der Bürgerenergiegenossenschaft kommt das nicht gut an. "Reine Augenwischerei", kritisiert Ralf Schumann, das kompensiere die CO2-Einsprarung durch die verhinderten Windräder bei weitem nicht.

"Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Die Kinder und Jugendlichen der Fridays-for-Future-Bewegung haben verstanden, dass sich etwas ändern muss", sagt auch Franziska Aatz, die sich als Badische Weinkönigin 2018 öffentlich für den Windpark in ihrer Heimatgemeinde aussprach. "Das Ergebnis des Bürgerentscheids hat mich natürlich enttäuscht. Was muss eigentlich noch alles passieren, damit wir handeln", fragt sich die 28-Jährige. Einen Vorschlag unterbreitete kürzlich Oliver Welke: "Bei komplexen Fragen nie das Volk fragen", empfahl der Satiriker in der "heute-show". Es gäbe schließlich nur abschreckende Beispiele, die nach Bürger- oder Volksentscheiden umgesetzt würden. Zum Beispiel Brexit und Stuttgart 21.


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11 Kommentare verfügbar

  • Andreas Bitz
    am 29.04.2019
    Antworten
    Es spricht sich herum, daß Windkraftanlagen keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit nach dem Aus von Kohle und Atom, schon gar nicht nach dem Ausbau der E-Mobilität leisten. Und sie sind extreme Belastunen für schutzbedürftige Landschaften wie dem Schwarzwald: Vogel-, Insekten, Fledermausschredder;…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 9 Stunden
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