KONTEXT:Wochenzeitung
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Pfeifen auf die Energiewende

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Anwohner fürchten den Infraschall, Naturschützer den Vogeltod: Proteststürme und Prozesse bremsen den Bau von Windrädern im grün regierten Südwesten aus.

Das Forstamt Mochental (Alb-Donau-Kreis) zeigt "Holz als Rohstoff und Energieträger mit Zukunft", die Stadtwerke Oberkirch (Ortenau) öffnen ihr neues Blockheizkraftwerk und in Riedlingen (Donau) weiht der Versorger EnBW einen Solarpark ein – das sind nur drei von mehr als 240 Veranstaltungen der Energiewendetage, die am Wochenende in Baden-Württemberg über die Bühne gingen. Nicht überall erfolgreich.

"Die Energiewende ist eine generationenübergreifende Aufgabe, die großes Engagement erfordert und zugleich auch viele Chancen bietet", übermittelte Schirmherr Winfried Kretschmann per schriftlichem Grußwort. Darin betonte der grüne Ministerpräsident, wie der Umstieg auf klimaschonende Strom- und Wärmeversorgung zu schaffen sei: "Nur, wenn wir bereit sind, in unserem persönlichen Wirkungsumfeld Änderungen vorzunehmen und die Energiewende auch im Kleinen, ganz konkret vor Ort umzusetzen."

Chancen nutzen? Veränderungen anstoßen? Vor der eigenen Haustür machen? Rund 250 Menschen, die am vergangenen Samstag in Sigmaringen demonstrieren, wollen davon nichts wissen: "Gegen Windkraft in Dorfnähe", lautet das Kundgebungsmotto mehrerer lokaler Bürgerinitiativen, die sich gegen den Ausbau dieser Art Ökostrom wehren. "Schutz für Mensch und Tier vor Geld & Gier", hat ein Teilnehmer aufs Pappschild gepinselt. Ein Transparent erklärt die regierenden Grünen zum "Killer der Natur".

Von der Bühne herab schüren autodidaktische Windkraftexperten Ängste, prophezeien Unheil, sollte einer der geplanten "Monsterwindparks" in der Nähe von Krauchenwies, Rulfingen, Pfronstetten oder Bitz gebaut werden. "Wir sind mittendrin in einem medizinischen Großversuch", warnt ein Physiker vor angeblichen Gesundheitsschäden durch unhörbaren Infraschall, was die Menge mit ohrenbetäubenden Trillerpfiffen goutiert. Ein "Windkraft-Betroffener" aus dem Schwarzwälder Schuttertal erzählt, wie "Infraschall richtig gegen die Atmung arbeitet", was auch den Demo-Ordner zum Klatschen animiert, der gerade den Rauch einer Selbstgedrehten inhaliert.

Die Windkraftgegner machen Werbung für die AfD

Zwischendrin rechnet ein Landschaftsarchitekt vor, warum Solar- und Windstrom ohnehin keinen Sinn machen: "Der Pegel des Bodensees müsste um hundert Meter angehoben werden", malt er die fehlenden Speicherkapazitäten für regenerativen Strom aus. Und: "Klimaschutzeffekte sind sowieso nicht nachweisbar", darf er behaupten, ohne dass jemand widerspricht.

Es ist ein buntes Häufchen, das sich mit den üblichen Halb- und Unwahrheiten gegen neue Rotoren im Land wehrt. In Sigmaringen pfeifen junge Familien mit Kleinkindern genauso wie Ehepaare im Rentenalter auf die Energiewende. Die meisten entstammen einer konservativ geprägten Landbevölkerung, für die das "Wuam, wuam" der Rotorblätter "wie Bassgeigen" klingt – und nicht nach Kontrabass, wie das Streichinstrument im heutigen Sprachgebrauch heißt. Zu ihnen gesellen sich Esoteriker (<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft hansi-mueller-und-die-windkraft-verschwoerer-3303.html _blank external-link>Kontext berichtete) wie die vom Verein für Homa-Therapie, die in Sigmaringen "im aktiven Einsatz gegen den Windpark Hilpersberg" sind. "Bundestagswahl 2017: Keine Stimme für Windkraftbefürworter", verlangen Demo-Aufkleber und meinen, man solle das Kreuz am kommenden Sonntag nicht, wie hier üblich, bei der CDU machen, sondern unausgesprochen bei der AfD. Denn die Rechtspopulisten sind die Einzigen hierzulande, die den Klimawandel leugnen, Windräder für Teufelszeug halten und zurück zu Atom, Kohle und Öl wollen.

Für Christdemokraten, die in Baden-Württemberg lange das Sagen hatten, haben sich die Zeiten geändert. Das muss auch Thomas Bareiß erkennen, als er als Gastredner an die Windkraftgegner appelliert, auch mal "den gesunden Menschenverstand" einzuschalten: "Wenn wir – zu Recht – aus der Atomkraft und Stück für Stück aus der Braunkohle aussteigen, dann müssen wir bei den Erneuerbaren einsteigen und brauchen dafür auch die Windkraft", sagt der energiepolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, was mit Buhrufen und Pfiffen quittiert wird. Natürlich dürften neue Windmühlen nur im Einklang mit Mensch und Natur entstehen, sagt er und kündigt an, nach der Bundestagswahl auch hierzulande für die sogenannte Öffnungsklausel zu kämpfen.

Schließlich verabschiedet sich Bareiß unter müdem Applaus. 2013 hatte er in seinem Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen mit 60,7 Prozent deutschlandweit das zweitbeste Erststimmenergebnis der CDU erreicht. An diesem Tag sagt er nur: "Vielleicht bin ich nicht jedem gerecht geworden."

Dabei ließ der CDU-Mann das schärfste Damoklesschwert aufblitzen, das über den Windkraftzubau in deutschen Landen schwebt: die Öffnungsklausel. Sie ermächtigt die Bundesländer, selbst Mindestabstände zu Wohngebieten festzulegen. Bayerns CSU-Regierungschef Horst Seehofer preschte im November 2014 mit der 10-H-Regelung vor, die einen Mindestabstand vom Zehnfachen der Höhe einer Windkraftanlage vorschreibt. Bei heute gängigen Turbinenhöhen von 200 Metern bedeutet dies mindestens 2000 Meter Distanz. Bayerische Opposition und Umweltverbände liefen Sturm gegen 10 H, weil die Abstandsregel die Nutzfläche für Windkraft im Land verkleinert. Vergeblich. Im vergangenen Jahr wurden im Freistaat nur noch 124 neue Windräder aufgestellt. Im Jahr zuvor waren es 143 und 2014 sogar 154.

Die Gegner fordern 10 H für alle

Ähnliche Pläne verfolgen seit Mai CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen. Laut Entwurf des Windenergieerlasses sollen Windräder künftig einen Mindestabstand von 1500 Metern zu Wohngebieten halten und nicht mehr in Wäldern gebaut werden dürfen. Falls die schwarz-gelben Koalitionspläne Anfang 2018 unverändert in Kraft treten, würden über 90 Prozent der bisher für die Windenergie vorgesehenen Flächen wegfallen. Das befürchten zumindest in NRW ansässige Unternehmen der Windenergiebranche.

In Baden-Württemberg sieht der Windenergieerlass von 2012 einen "Vorsorgeabstand" von 700 Metern zu Wohngebieten vor. Der letztlich vorgeschriebene Abstand wird aber im Einzelfall geprüft und richtet sich nach der konkreten Lärmeinwirkung der jeweils geplanten Anlage. Er kann also höher oder auch niedriger sein. Für die Sigmaringer Windkraftgegner ist diese flexible Handhabung inakzeptabel. Sie fordern nach bayerischem Vorbild: 10-H-Abstand auch im Ländle.

Im Kampf gegen die Windenergie haben die Infraschall-Verängstigten derweil mächtige Verbündete. Immer öfter schalten sich die großen Naturschutzverbände im Südwesten der Republik in die Genehmigungsverfahren für Windmühlen ein. NABU, BUND und der Landesnaturschutzverband (LNV) begnügen sich inzwischen nicht mehr mit Stellungnahmen zu laufenden Verfahren, sondern ziehen gegen behördliche Genehmigungen auch mit Eilanträgen vor Gericht zu Felde.

Mit fatalen Folgen für Windpark-Projektierer: Energiekonzerne, Stadtwerke und Bürgerenergiegenossenschaften können nicht sicher sein, dass ihre Neuanlagen trotz Baugenehmigungen auch tatsächlich in Betrieb gehen. Millionenschwere Investitionen drohen als Bauruinen zu enden. Derzeit versuchen die Verbände insgesamt dreizehn Rotoren im Land auszubremsen, die teils bereits seit Monaten fertiggestellt sind: Zwölf Anlagen im Brüchlinger Wald bei Langenburg, die die landeseigene EnBW gemeinsam mit dem Bürgerwindpark Hohenlohe errichtet, und eine Turbine des Windparks Braunsbach, den die EnBW-Tochter ZEAG betreibt. Jeweiliger Klagegrund: Vor Ort sichteten ehrenamtliche Mitglieder der Naturschutzverbände angeblich schützenswerte Vögel, die die Gutachterbüros der Investoren beim monatelangen Monitoring zuvor nicht entdeckt hatten.

Der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle intervenierte vor Kurzem sogar höchstpersönlich beim Lörracher Landratsamt, um den Bau eines Windparks in der 1100-Einwohner-Gemeinde Hasel zu stoppen, wo EnBW und der deutsch-schweizerische Versorger Energiedienst derzeit drei Rotoren errichten. Mitglieder des Lörracher NABU-Kreisverbands hätten Waldschnepfen entdeckt, die in der Nähe der Baustelle brüten könnten. Zudem präsentierten Windkraftgegner aus dem Nachbarort Gersbach eigene Gutachten, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit" im Windparkareal ein "Dichtezentrum", also Brutgebiet, des Rotmilans bescheinigten.

Immer Ärger um den Windpark Hasel

Zwar lehnte das Landratsamt Lörrach das sofortige Baustoppbegehren des NABU-Chefs ab, verlangte aber bis Ende September eine Stellungnahme der EnBW. Anders als Enssle sieht die Behörde den Rotmilan nicht schon während der Bauphase, sondern lediglich beim Betrieb der Windräder gefährdet. Bis zu einer abschließenden Entscheidung handle die EnBW daher "auf eigenes Risiko". "Wir haben eine rechtskräftige Genehmigung, die auf einem nach unserem Verständnis sauberen artenschutzrechtlichen Gutachten fußt", betont dagegen Ulrich Stark von der EnBW. Die allerdings könnte nun für das 20-Millionen-Projekt im schlechtesten Falle wieder zurückgezogen werden.

Ärger um den Windpark Hasel ist die EnBW inzwischen gewohnt. So musste das Unternehmen den ursprünglich geplanten Zufahrtsweg zur Baustelle verwerfen. Er hätte über ein 170 Meter langes Teilstück eines Waldwegs geführt, der in Besitz der Nachbargemeinde Schopfheim ist. Die Gemeinde, die vor wenigen Monaten erst selbst die Inbetriebnahme eines Windparks feierte, verweigerte den rund 200 Transporten die Wegbenutzung – Gerüchten zufolge, um die Gersbacher Windkraftgegner zu beruhigen, was die EnBW wochenlangen Bauverzug und mehrere Hunderttausend Euro für einen Umweg und durch geringere EEG-Vergütung kostet.

Wind im Land

In den zurückliegenden drei Jahren verdoppelte sich die installierte Leistung von 551 Megawatt auf 1158 Megawatt (Stand Juni 2017). Drehten sich Ende 2014 noch 392 Rotoren landesweit, sind es heute 607 Anlagen. Doch der Zubau wird gebremst: In den vergangenen zwei Jahren gab es noch jeweils Anträge für den Bau von 200 Windrädern, bis zur Jahresmitte 2017 allerdings wurden nur 20 Neuanlagen beantragt. Letztes Jahr genehmigten die Behörden 201 Neuanlagen, in diesem Jahr wurden bislang nur zwei Baugenehmigungen erteilt. "Schuld daran hat das neue Ausschreibungsverfahren bei Windenergie", heißt es aus dem Stuttgarter Umweltministerium. Den Zuschlag erhält das kostengünstigste Angebot, und das können mit fünf bis sieben Cent Vergütung pro Kilowattstunde Strom nur Projektierer an windstarken Küstenstandorten abgeben. Nach der Bundestagswahl müsse Berlin nachbessern – so zumindest die Stuttgarter Sicht. (jl)

"Wir wollen den Ausbau der Windenergie", betont NABU-Chef Enssle gegenüber Kontext. Aber eben nur, wenn er nicht mit dem Artenschutz kollidiere. Nur vereinzelt melden sich Stimmen, denen die medienwirksame Allianz zwischen Windkraftgegnern und Artenschützern inzwischen zu weit geht. Für das Vogelsterben gebe es auch andere Gründe, meint beispielsweise Freiburgs BUND-Geschäftsführer Axel Mayer (<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft asbest-und-vogeltod-4535.html _blank external-link>Kontext berichtete) und wünscht sich eine sachlichere Diskussion. Mayer erstaunt, dass die über 18 Millionen Vögel, die jährlich in Deutschland an Glasscheiben sterben, kein öffentliches Thema sind. Auch zu den noch größeren Schäden durch Vogelschlag im Straßenverkehr und entlang von Bahn- und Hochspannungstrassen, zur Bedrohung der Vogelwelt durch Agrargifte und durch Naturzerstörung gebe es keine Debatte.

Doch es gibt auch gute Nachrichten in Sachen Windkraft: Sturmtief "Sebastian" bescherte Baden-Württemberg am vergangenen Mittwoch (13. September) mit einer Windenergieerzeugung von 1139 Megawatt einen neuen Rekord. Bundesweit hatte die Windenergie an diesem Tag einen Anteil von 47,4 Prozent an der deutschen Nettostromerzeugung, so das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Damit deckten erneuerbare Energien fast 64 Prozent der gesamten Stromproduktion in Deutschland ab.


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9 Kommentare verfügbar

  • Wolfram von Specht
    am 24.09.2017
    Antworten
    Lieber Jürgen Lessat,

    was ich echt nicht kapiere ist, warum Sie sich an diesen ahnungslosen Windkraftgegnern in der Prärie abarbeiten. Kontext ist ein Ergebnis zivilgesellschaftlichen Engagements und deshalb muß es doch heißen: Nicht schimpfen, sondern selber machen: Wenn ich auf dem platten Land…
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