Heute gibt es dagegen Verfahren, wie sich der Wille einer Stadtgemeinschaft ermitteln und ein Konsens herstellen lässt. Voraussetzung ist eine aktive Zivilgesellschaft, die es in Stuttgart zweifelsfrei gibt. Sie hat bereits vor vier Jahren selbst einen Vorstoß unternommen: mit einem <link https: www.kontextwochenzeitung.de http: www.architektinnen-fuer-k21.de fileadmin user_upload doku_tagung_stand_20.5.2015.pdf external-link-new-window>Symposium im Rathaus unter dem Titel "Stuttgart für alle". Aus der Ankündigung: "Es wird höchste Zeit für eine öffentliche, breite Diskussion, wohin sich unsere Stadt entwickeln soll."
Das fordern nun auch die ArchitektInnen - und sie werden noch ein bisschen konkreter. In einer ersten öffentlichen Veranstaltung Ende März in der Uni-Mensa, unter dem mild ironischen Titel "Philosophierkantine", haben sie gezeigt, wie ein Dialog, der die ganze Stadt einbezieht, funktionieren kann. Es müssen nicht alle 600 000 EinwohnerInnen kommen und mitreden, wie sich dies Boullée vor 200 Jahren vorgestellt hat. Aber alle, die etwas zu sagen haben, sollten Gehör finden. In den Worten des Positionspapiers: bürgerschaftliche Initiativen, Stakeholder und Institutionen.
Stadtentwicklung muss ständig angepasst werden
Und sie sollten nicht nur einmal Gelegenheit haben, sich einzubringen, wie Anna Bernegg vom Berliner Büro Urban Catalyst Studio betont: also in einem Beteiligungsverfahren, das irgendwann abgeschlossen ist und dann von den Architekten und Fachplanern umgesetzt wird. Städte wandeln sich, die Bewohnerschaft fluktuiert, ständig gibt es neue Entwicklungen, die nicht immer vorhersehbar sind. Wichtig sei, unterstreicht Bernegg, dass die Beteiligung niemals aufhört, dass ein Konzept immer wieder angepasst werden kann.
Als Fallbeispiel nennt sie Darmstadt, in manchem mit Stuttgart vergleichbar: Die Stadt wächst. Sie ist attraktiv, hat aber ein Verkehrsproblem und will den Flächenverbrauch in Grenzen halten. Die Kernbotschaft, die das Büro aus dem Stadtentwicklungsdialog herauskristallisiert hat, lautete also: Darmstadt wächst klug. Der Weg dorthin führt unter anderem über eine engere Durchmischung von Wohnen und Arbeiten sowie eine bessere Vernetzung der Grünzonen. Wichtig seien auch die Quartiere, so Bernegg, die Teilhabe sichern. Denn hier funktioniert die Beteiligung am besten.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Oliver Seidel gemacht. Sein Berliner Büro Cityförster hat den Perspektivplan Freiburg 2030 und die Raumperspektive Würzburg entwickelt. In Freiburg, das ebenfalls stark wächst und als Universitätsstadt ohnehin ein Wohnproblem hat, sei die vorherrschende Haltung: Bauen ja, aber nicht bei mir. Wie lässt sich mit diesem Problem umgehen? Man müsse die Befürchtungen der Menschen ernst nehmen, dass bestehende Qualität zerstört werden könnte, meint Seidel. Ein Blick aufs Ganze kann dennoch Abhilfe schaffen: Für eine Aufwertung und eine bessere Verbindung der Grün- und Freiräume sind auch die FreiburgerInnen bereit, eine höhere Verdichtung in Kauf zu nehmen.
Architekten, die Prozesse bauen
Eine Politik des Gehörtwerdens hatte sich Winfried Kretschmann zu Beginn seiner ersten Amtsperiode auf die Fahnen geschrieben. Das hört sich gut an, geht aber nicht von allein, wie insbesondere Anna Berneggs Ausführungen deutlich machten. Immer wieder müssen widerstrebende Interessen unter einen Hut gebracht werden. Es gebe überhaupt nur sechs Büros in Deutschland, die in der Lage seien, solche Prozesse zu moderieren, erklärt Thomas Herrmann, darunter Cityförster und Urban Catalyst Studio. "Wir sind Architekten, die keine Häuser bauen, sondern Prozesse und Strukturen", sagt Bernegg.
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Jue.So Jürgen Sojka
am 21.06.2023Nun sind seit April 2019 wieder mehr als vier Jahre in STUTTGART vergangen, und "das Gesicht wahren" ist nach wie vor Bestandteil im Ausbremsen von menschengerechten Entwicklungen in unserer…