Was ist ein/e KulturbürgermeisterIn oder besser ein/e BürgermeisterIn für Kultur? Sie oder er hätte Grundkenntnisse über die Kulturlandschaft der Stadt, Vereinsstrukturen, die Ausdifferenzierung zwischen Soziokultur, kultureller Bildung, musealen Anforderungen, innovativen Formaten, alternativen künstlerischen Praktiken, den lokalen, regionalen und globalen Strömungen der zeitgenössischen Kunst, des zeitgenössischen Tanz, der zeitgenössischen Literatur, des zeitgenössischen Theaters.
Sie oder er müsste über die Produktionsbedingungen von KünstlerInnen informiert sein, um den zukünftigen Bedarf analysieren und verwaltend wie politisch vertreten zu können. Sie oder er könnte die Verwaltung im Hinblick auf städtische, regionale, nationale, internationale Fördermodelle für Kultur befragen, um auf der Basis der Kompetenz der ihm oder ihr zugeordneten Verwaltung Ideen zu entwickeln, die neue, junge Vereine, Künstlergemeinschaften etc. im Rahmen eines Strukturentwicklungsplans fördern. Sie oder er müsste schließlich zwischen den verschiedenen Ebenen Modelle erkennen, die von der Kultur aus wieder auf andere städtische Zuständigkeiten zugehen: Bildung, Integration, Soziales oder Stadtentwicklung.
Die formalistische Strenge und fachliche Verbindlichkeit, die der Bereich "Allgemeine Verwaltung und Recht" zwingend einfordern, steht den flexiblen, kreativen Anforderungen der Kultur diametral gegenüber. Ein/e Recht- und KulturbürgermeisterIn muss in Fragen des allgemeinen Rechts wie des Verwaltungsrechts ExpertIn sein und kann auf Grund dieser Anforderung im Bereich der Kultur nur ein kunstsinniger Laie sein. Ein vorhersehbarer Konflikt, der hätte erkannt werden müssen. Wir werden später sehen, was beide Felder trotzdem füreinander leisten könnten.
Der Widerspruch wird einfach vom Tisch gewischt
Man sieht, worauf der so schwer errungene Referatszuschnitt hinausläuft. Während andere Referatszuschnitte durchaus schlüssige Fächerkombinationen aufweisen, scheint es bei der Kultur nach dem Prinzip "Resterampe" gelaufen zu sein. Ist dies wirklich das Verhältnis der offiziellen Stadtpolitik zur Kultur? Nach den Verlautbarungen des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn (Grüne) und der einhelligen Zustimmung aller Fraktionen in der Sitzung des Kultur- und Medienausschusses am 28. Juni 2016 muss man davon ausgehen, dass man sich "vertiefend" und "kreativ" mit "erheblicher Intensität" um das Problem und dessen Lösung gekümmert und – in voller Anerkennung der reichen Kulturlandschaft Stuttgarts – den Referatszuschnitt "Allgemeine Verwaltung, Recht und Kultur" als nachvollziehbar und qualifizierten Zuschnitt erachtet hat. Nun gut, so soll es denn sein in einer repräsentativen Demokratie, die sich zwar einen Kreis von "sachkundigen Bürgern" als beratendes Gremium für den genannten Ausschuss leistet, aber deren geschlossenen Widerspruch, der von über hundert Kulturschaffenden unterschrieben wurde, komplett ignoriert und vom Tisch wischt.
Kultur im Dialog – das war einmal
In einer föderalen Struktur, die sich in Deutschland zwischen den Kommunen, dem Land und dem Bund verteilt, vollzieht sich die Kompetenzbildung auf kommunaler Ebene zum Beispiel im Kulturbereich zwischen den KulturproduzentInnen (KünstlerInnen, Initiativen, Vereinen, Institutionen), deren Bedarfsanalysen und den daraus abzuleitenden Rahmenstellungen für die kulturellen Entwicklungen, die dann im Auftrag eben dieser KulturproduzentInnen politisch wie administrativ umgesetzt werden. Dies war die idealistische Grundidee des zweijährigen Projektes "<link http: www.kultur-im-dialog-stuttgart.de external-link-new-window>Kultur im Dialog" (2011–2013), das in beispielhafter Weise zwischen den Protagonisten der Stadtverwaltung, Politik und spartenübergreifend von den KulturproduzentInnen realisiert wurde – ein großer Moment kommunaler Kulturpolitik. Das jetzige Verfahren konterkariert diesen partizipativen, auf Komplexität zielenden und anspruchsvollen Prozess. Ist die Ansiedlung der Kultur im Oberbürgermeisteramt, die jetzt von einigen Kulturschaffenden favorisiert wird, die bessere Lösung?
3 Kommentare verfügbar
Kornelia
am 12.07.2016Wagenhallen2: m.E. ein hyper erfolgreiches Unterfangen die Widerstandsbewegung zu spalten! Denn seitdem o.k. von Politik und Verwaltung scheint die Trennung von Widerstand und Wagenhallen perfekt, oder täusch ich mich?
( Wurde da die neue Form…