Auf einem "sehr guten Weg"?
Die einen wundert's, die anderen nicht – die Nominierung Stuttgarts zum Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2019. Wir haben die Stadtverwaltung um Aufklärung gebeten. Die ausführliche Antwort im Wortlaut:
Verdient Stuttgart den Nachhaltigkeitspreis?
Stuttgart hat sich um den Nachhaltigkeitspreis beworben, weil wir seit Jahren urbane Räume ökologisch sinnvoll, ökonomisch wertschöpfend, sozial gerecht und kulturell vielfältig entwickeln und nutzen wollen. Strategieentwicklung und praktische Umsetzung gehen dabei Hand in Hand.
In der Stadtgesellschaft und der Stadtverwaltung sind zahlreiche Akteure in ihren Teilbereichen der Nachhaltigkeitspolitik aktiv – beispielhaft sei der Neckarpark genannt. Das dortige Nachhaltigkeitskonzept zeigt, wie ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit miteinander verbunden wird.
Wie steht's um den Klimaschutz, wie entwickelt sich der Treibhausgas-Ausstoß von Stuttgart?
Im Jahr 2017 konnte Stuttgart seine CO2-Emissionen bereits um 31 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Der Primärenergieverbrauch wurde hierbei im gleichen Zeitraum um 27 Prozent reduziert. 18 Prozent des Endenergieverbrauchs wird in Stuttgart bereits über Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie sichergestellt. Stuttgart ist somit auf einem sehr guten Weg, die Zwischenziele des Energiekonzepts bis 2020 zu erreichen. Diese lauten 20 Prozent Reduktion des Primärenergieverbrauchs gegenüber 1990 und einen Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch von mindestens 20 Prozent. Damit hat Stuttgart die erste Hürde zur Klimaneutralität genommen. Das Ziel zu erreichen, ist eine Daueraufgabe.
Die Preisjury lobt, dass Stuttgart vorankommt, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Wie viele Liegenschaften sind bis heute auf Plus-Energie-Niveau? Was erreicht man mit der Abwasser-Nutzung im Neckarpark?
Neben der Sanierung der Uhlandschule auf Plus-Energie-Niveau wurden im Neubau eine Kita und eine Sporthalle im Plus-Energie-Standard realisiert – die Errichtung weiterer klimaneutraler Gebäude sind in Planung. Beim Neckarpark vermeidet man den Einsatz konventioneller Energieträger durch Nutzung der Abwasserwärme.
Kritiker bemängeln, dass Stuttgart tatsächlich bei der Energiewende versagt: Nur ein Prozent der kommunalen Dachflächen seien mit Photovoltaik belegt. Ein Windkraftprojekt der Stadtwerke auf dem Stadtgebiet wurde beerdigt.
Hier werden zwei Dinge miteinander vermischt. Auf den Dächern der kommunalen Gebäude hat die Stadtverwaltung bereits 100 Photovoltaik-Anlagen realisiert. Ziel ist es, 40 bis 50 neue Photovoltaik-Anlagen pro Jahr zu bauen. Daneben gibt es noch das gesamtstädtische Potenzial. Tatsächlich ist das Potenzial für die Gewinnung von Photovoltaik-Strom in Stuttgart groß. Hier sind laut den Erhebungen, die gemeinsam mit der Universität Stuttgart durchgeführt wurden, erst zwei Prozent des Potenzials erschlossen. Es wurden erste Maßnahmen ergriffen, um die Stadtgesellschaft zum Bau von Photovoltaik-Anlagen anzuregen. Neben Beratungs- und Förderangeboten der Stadt sind hier auch die Stadtwerke Stuttgart aktiv.
Der Tauschwald in Feuerbach erhielt bei der Regionalversammlung als Standort für zwei Windkraftanlagen keine politische Mehrheit und konnte deshalb nicht realisiert werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien auf dem Territorium der Landeshauptstadt Stuttgart ist darüber hinaus nur ein Baustein auf dem Weg zur Energiewende, genauso wichtig sind Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs und zur Steigerung der Energieeffizienz.
Auch wird bemängelt, dass die Verkehrswende stockt. Der Radwegeausbau lahmt …
Teil der Verkehrswende ist die Reform der Tarifzonen [im Öffentlichen Nahverkehr], die Stuttgart zu einer Zone umgewandelt hat, Dutzende Zonen in der Region zusammengeführt und fast alle Tickets für Bus und Bahn erheblich vergünstigt hat. Außerdem investiert die Stadt aktuell 70 Millionen Euro zusätzlich in den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs. Weiteres wird sicher Teil der Beratungen zum nächsten Doppelhaushalt.
Zum Radverkehr: Der nimmt in Stuttgart stetig zu. Das belegen Zahlen der zentralen Fahrradzählstellen entlang der Hauptradroute 1. An den Zählstellen auf der König-Karls-Brücke in Bad Cannstatt und an der Böblinger Straße in Kaltental ist der Radverkehr von 2017 auf 2018 um 20 beziehungsweise 26 Prozent gewachsen. Radfahrerinnen und Radfahrer können aktuell auf rund 190 Kilometern Radweg fahren. Das ist mehr als doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Der Ausbau wird fortgesetzt: Nimmt man alle Maßnahmen zusammen, kommt man auf rund 7,4 Millionen Euro pro Jahr – das sind rund 12 Euro pro Einwohner an Ausgaben für den Radverkehr.
Der Gemeinderat hat die Verwaltung im Februar damit beauftragt, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie Stuttgart zur Fahrradstadt werden kann. Dazu gehören auch Vorschläge für die Erhöhung des Radetats und zu weiteren Projekten für den Ausbau der Radinfrastruktur. Neben den bisherigen Ausbaumaßnahmen für die Radinfrastruktur verfolgt die Verwaltung 2019 weitere Projekte mit höchster Priorität. Dazu zählen unter anderem der Bau zusätzlicher Fahrradstraßen, die Beauftragung einer externen Projektsteuerung für Radverkehrsprojekte, die Fortsetzung der Lastenradförderung und die Umsetzung von Radgaragen in Wohngebieten. Damit greift die Stadt auch die Forderungen der Initiative "Radentscheid Stuttgart" auf. Richtschnur für alle Projekte sollen laut des interfraktionellen Antrags die "Qualitätsstandards" des Radentscheids sein.
Stuttgart 21 wurde als "grünes Projekt" tituliert. Neben dem hohen Ressourcenverbrauch beim Bau soll der Tiefbahnhof nicht für den Deutschland-Takt tauglich sein, was Zugfahren unattraktiv macht. Was kann und muss die Stadt als mitfinanzierender Projektpartner tun, damit S 21 nachhaltig ist?
Die Stadt hat Bahn und Bund eingeladen, im Ausschuss Stuttgart 21/Rosenstein über den Fortgang des Projektes zu berichten.
(jl)
11 Kommentare verfügbar
Holger
am 14.07.2019