KONTEXT:Wochenzeitung
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Stakkato gegen rechts

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Volker Lösch fordert mehr Mut, Entschlossenheit und Phantasie, um unsere Gesellschaft der Ungleichheit und Unsolidarität radikal zu verändern. Und Schluss mit dem Reden mit Rechten! Die energetische Rede des Theaterregisseurs auf der Leipziger #unteilbar-Demo im Wortlaut.

Auf Leipzig folgt Dresden

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen läutete das #unteilbar-Bündnis am 6. Juli den "Sommer der Solidarität" ein: An der Auftakt-Demo in Leipzig haben sich laut Veranstalter rund 7.500 Menschen über den Tag verteilt beteiligt. Bundesweiter Höhepunkt soll die Großdemo am 24. August in Dresden werden. Das zivilgesellschaftliche Bündnis #unteilbar macht sich stark "für Solidarität statt Ausgrenzung, für eine offene und freie Gesellschaft". Es wird getragen von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und vielen weiteren Organisationen, Vereinen und Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft. Mit dabei sind auch Initiativen aus dem Gesundheits- und Pflegebereich, der Seenotrettung und der Fridays-For-Future-Bewegung. (red)

Liebe Menschen,

ich bin Regisseur und inszeniere unter anderem am Staatsschauspiel Dresden. Pegida hat dort mit der AfD einen politischen Arm bekommen. Das bedeutet, dass Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Chauvinismus nun auch parlamentarisch vertreten werden. Aber der Widerstand gegen diese Kultur der Ausgrenzung ist größer geworden. Was in Dresden in den letzten Jahren an außerparlamentarischem Engagement gegen rechts entstanden ist, macht Mut. 2015 habe ich Dresden als "Stadt ohne Haltung" bezeichnet. Heute würde ich sagen: Dresden ist die "Stadt der zwei Haltungen". Man gehört entweder dem einen oder dem anderen Lager an. Und es ist deutlich zu spüren: in den nächsten Jahren wird es ums Ganze gehen.

Soll man deswegen, wie es so viele machen, weiterhin die Energien ins "Reden mit den Rechten" stecken? Soll man, wie es der ehemalige Bundespräsident Gauck fordert, mehr Toleranz in Richtung rechts entwickeln? Ich sage: nein, das soll man nicht.

Ich stelle immer wieder fest, dass es Rechten gar nicht um Austausch, um Diskussion, um Argumentation, um Kontroverse und schon gar nicht ums Zuhören geht. Sondern um Schuldzuschreibungen, die Benennung von Sündenböcken, um Angstmache und die Verbreitung falscher oder einfacher Erklärungsmuster. Rechten geht's ums Rechthaben.

Klare Sprache gegen rechts

Das Reden mit Rechten verharmlost die Bedrohung von rechts. Das Erstarken der rechten Bewegungen hat auch damit zu tun, dass viele in der Mitte keine klare Position zu Rassismus und Ausgrenzung einnehmen. Dass entschiedene Haltungen gegen Hass und rechte Hetze, gegen militante Strukturen und gegen rechte Gewalt fehlen. Dass Halbherzigkeit, Stille und Relativierungen die Reaktionen auf Bedrohungen sind. Wenn die zivilgesellschaftliche als auch politische Mitte keine klare Sprache gegen rechts spricht, dann fühlen sich Demokratie- und Menschenfeinde legitimiert, immer selbstbewusster, lauter und gewalttätiger aufzutreten.

Es kann aber nicht sein, dass Menschen, die sich für Seenotrettung, Menschenrechte oder Geflüchtete engagieren, Morddrohungen erhalten, kriminalisiert oder eingesperrt werden! Es kann nicht sein, dass nach dem Mord an einem engagierten Politiker nicht von Rechtsterrorismus gesprochen und nicht entschieden gegen rechte Netzwerke vorgegangen wird! Es kann nicht sein, dass nach den Vorkommnissen in Chemnitz von Konservativen gefordert wird, dass der Linksextremismus bekämpft werden soll! Es kann nicht sein, dass Vereinen und Initiativen, die sich gegen rechts engagieren, auf Betreiben der AfD die Fördergelder gestrichen werden!

Es kann nicht sein, dass das schon beschämend zurückgestutzte Asylrecht – ich erinnere an den Anfang der Neunziger, als ein rechter Mob in Rostock und Hoyerswerda die Regierung angeblich dazu zwang –, dass dieses traurige Asylrecht unter Mithilfe zweier grün-schwarzer Regierungen letzte Woche im Bundesrat noch weiter abgebaut wird!

Es kann nicht sein, dass im Bundestag Begriffe sagbar, in unseren großen Zeitungen Dinge lesbar sind, die noch vor wenigen Jahren nur Rechtsradikale und Nazis ausgesprochen haben! Es kann nicht sein, dass rechte, antisemitische und rassistisch motivierte Gewalt zunimmt und der sachsen-anhaltinische CDU-Fraktionsvorsitzende eine schwarz-braune Koalition mit der AfD vorschlägt! Es kann nicht sein, dass konservative Kräfte in Sachsen immer noch leugnen, dass es ein großes Problem mit dem Rechtsextremismus gibt! Es kann einfach nicht sein, und das ist ein handfester Skandal, dass Teile der sächsischen CDU mit der rassistischen AfD immer noch ein Bündnis planen!

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, der öffentliche Diskurs hat sich auch deshalb nach rechts verschoben, da die etablierten Parteien zu oft in dieser Frage versagen. Und weil sie mit ihrer rein ökonomisch orientierten Politik keine Antworten auf die großen Fragen finden, in trauriger Abhängigkeit von einem weltweit dominierenden kapitalistischen System, in dem Vereinzelung, Anonymität, Zukunftsangst und Überforderung zum Alltag gehören. Und da von unserer marktgläubigen Regierung nicht gegengesteuert wird, wird die Vermögensungleichheit weiter zunehmen. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern auf den Arbeitsmärkten wird täglich größer, denn die Einkommen aus Kapital steigen nach wie vor stärker als die aus Arbeit.

Wir können inzwischen wieder von einer Klassengesellschaft in Deutschland sprechen. Und obwohl viele wissen, dass die notwendige Veränderung einer Gesellschaftsform, die mit Identität und Gemeinschaft zersetzenden Energien zu viele ausschließt, die Hauptwaffe gegen rechts sein kann, fehlt es den etablierten Parteien an Mut, Entschlossenheit und Phantasie, um unsere Gesellschaft der Ungleichheit und Unsolidarität radikal zu verändern.

Den Diskurs nicht den Menschenfeinden überlassen

Aber es gibt Menschen, die wissen was zu tun ist. In meiner Dresdner Inszenierung "Das Blaue Wunder" kommen diejenigen zu Wort, die zeigen, wie man sich gegen rechts engagieren kann. Sie sind reale Vertreterinnen und Vertreter eines größer werdenden Bevölkerungsanteils der Stadt, die es nicht mehr hinnehmen, den Diskurs den Menschenfeinden zu überlassen. Und sie beweisen mit ihren Aktionen, dass es sich lohnt, aktiv zu werden.

Gleichzeitig sagen sie aber auch: Wir müssen mehr werden. Denn es reicht nicht mehr, nur Zeitung zu lesen. Es reicht nicht mehr, nur zu fordern und zu appellieren. Es reicht nicht mehr, nur kritische Bücher zu lesen und Reden zu halten. Es reicht nicht mehr, nur "Heute Show" und "Die Anstalt" zu sehen. Es reicht nicht mehr, Politiker doof und Politik sinnlos zu finden. Es reicht nicht mehr, nur einen Tag im Jahr gegen die AfD zu demonstrieren. Es reicht nicht mehr, nur wütend, verbittert oder empört zu sein.

Denn es steht zu viel auf dem Spiel. Die Werte, die uns wichtig, die für eine lebenswerte Gesellschaft für alle unverzichtbar sind, könnten in ein paar Jahren nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr gelten. Deshalb müssen wir aktiver werden. Politisch sichtbarer und damit spürbarer sein. Mehr eingreifen und regelmäßiger protestieren. Die Verantwortung für unser Gemeinwesen ernsthaft übernehmen und konsequent danach handeln. Wem eine offene Gesellschaft wirklich wichtig ist, der muss sich mehr denn je für sie engagieren!

Aber was kann man konkret tun? Engagement ist überall willkommen. In antirassistischen Initiativen, Geflüchtetenorganisationen, in den Seenotrettungsvereinen, in Gewerkschaften, in Nachbarschaften, queer-feministischen Bewegungen, Bündnissen gegen Mieter*innenverdrängung und Wohnungsnot, bei Initiativen gegen den Pflegenotstand, in NGOs, in künstlerischen Gruppierungen oder in Planungs- und Orga-Gruppen für Demonstrationen. Wir können neue Bündnisse schaffen – wie im Hambacher Forst die "Ende Gelände"-Protestierer mit "FridaysForFuture" –, uns in unseren Protesten ergänzen und somit vergrößern.

Überall gibt es Anknüpfungspunkte. Ich engagiere mich seit zehn Jahren gegen Stuttgart 21, und das ist inzwischen eine politische Bewegung geworden. Wir stehen auch in Stuttgart für Demokratie, gegen Militarisierung, gegen Ausgrenzung, den Ausverkauf der Städte und für internationale Solidarität. Erfinden wir mehr und neue Formen, tun wir uns zusammen und bilden wir große Solidaritäten!

Den Vereinfachern, den Verharmlosern, den Hassern entgegentreten

Aber auch im privaten und öffentlichen Umfeld ist Aktivität angesagt. Ob in der Familie, dem Bekannten-und Freundeskreis, ob in der Straßenbahn oder im Sportverein: Treten wir den Vereinfachern, den Unwissenden, den Verharmlosern und den Hassern entgegen. Werden wir nicht müde zu erklären, dass Migration ein nicht mehr wegzudenkender Teil unserer Gesellschaft ist, dass die Würde des Menschen wichtiger ist als Profite von Konzernen, dass jeder Mensch einzigartig ist und dass alle Menschen die gleichen Rechte haben.

Und wir können das tun, was wir heute machen: auf die Straße gehen. Immer wieder und immer öfter. Der Aktivismus und Protest der Straße wird in den nächsten Jahren die wichtigste politische Kraft werden. Denn eine gerechte und solidarische Gesellschaft kann nur von unten entstehen. Wenn wir alle, die Vertreterinnen und Vertreter der außerparlamentarischen, der zivilgesellschaftlichen Gruppen selbstbewusst zusammenhalten, dann entfalten wir eine Kraft, an der die Politik nicht vorbeikommen kann.

Engagieren wir uns für eine solidarische Gesellschaft der Vielen ohne Angst! Ein gutes Leben müssen alle haben dürfen. Und deshalb ist unsere Solidarität – unteilbar!


Löschs Rede vom Samstag, 6. Juli, hat die Kontext-Redaktion nur leicht gekürzt. Volker Lösch, Jahrgang 1963, ist Theaterregisseur und Aktivist. Zusammen mit Walter Sittler hat er 2010 den "Schwabenstreich" gegen Stuttgart 21 erfunden. 2005 bis 2013 war er Hausregisseur am Stuttgarter Staatstheater und arbeitet seitdem als freier Regisseur an deutschsprachigen Bühnen. Im Januar 2019 inszenierte er "Das Blaue Wunder" am Staatsschauspiel Dresden, eine Groteske und Satire um die AfD.


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1 Kommentar verfügbar

  • Manfred Fischer (em.Prof. Dr.-Ing. habil.)
    am 18.07.2019
    Antworten
    Ich möchte Ihnen, Herr Lösch, herzlich danken für Ihre klaren Worte im obigen Artikel. Als steter Mitstreiter bei Stuttgart 21habe ich ich schon oft Ihre klaren Worte gehört und ohne Abstriche für richtig gefunden. Manfred Fischer
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