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Ein Wunder

Ein Wunder
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Oft führt ausgerechnet Inkompetenz zu einem Übermaß an Selbstvertrauen. Seit 1999 beschreibt der Dunning-Kruger-Effekt das kuriose Phänomen: Menschen, die von etwas nichts verstehen, verstehen nicht, wie viel sie nicht verstehen und trauen sich Einschätzungen zu, bei denen sie ihre Sachkenntnis drastisch überbewerten. So wird ein Internist über Nacht zum Experten für Virologie und Jonas löst auf seiner Couch den Nahostkonflikt.

Doch manchmal liegen auch die Menschen vom Fach falsch. Zumindest ist davon ein Kontext-Redakteur überzeugt, der so wenig von Handwerk versteht, dass er seine alte Gasheizung meist nicht zum Laufen bringt. Vergangenen Oktober war ein Schornsteinfeger da, um eine Immissionsschutzmessung durchzuführen. Alles einwandfrei, garantiert er, er habe das Gerät wieder ausgemacht. Nein, aber warum denn?!, denkt sich der Redakteur und bettelt, der Herr Experte möge es wieder anschalten. Der aber sagt, das gehe kinderleicht und macht sich aus dem Staub. Kaum ist er weg, lässt sich der Zündknopf nicht mehr bedienen.

Ein paar Tage später schaut ein Flaschner vorbei und bestätigt, dass der Knopf klemmt. Schriftlich festhalten will er das nicht, weil sein Chef den Schornsteinfeger kennt und er keine Schwierigkeiten möchte. Bei einem dritten Termin – es ist inzwischen der kalte November und die Raumtemperatur nähert sich 13 Grad an – kommt ein anderer Flaschner vorbei. Er repariert den kaputten Knopf, aber warnt: Da trete Gas aus. Gemessen hat er nicht, das verrate ihm seine Nase. Also Finger weg! 

Völlig überraschend stehen vergangenen Montag zwei Schornsteinfeger auf der Matte. Sie drücken den Knopf und machen das vermeintlich kaputte Gerät einfach an. Gas tritt nicht aus, sagt das Messgerät. Eine Reparatur brauche es gar nicht. Schönen Tag, auf Wiedersehen. Zurück lassen sie einen Mieter, der die Welt noch ein Stück weniger versteht als ohnehin schon. Der aber überzeugt ist, ein Weihnachtswunder erlebt zu haben. Ja, ein Wunder, ein echtes Wunder. Wie kostbar so eine wohlige Wärme doch ist. Und wer weiß? Wie viel anderes mag augenscheinlich völlig hinüber sein, hoffnungslos reparaturbedürftig und ohne Aussicht auf geeignete Ersatzteile? Doch womöglich gibt es ja irgendwo einen Zauberknopf, der nur darauf wartet gedrückt zu werden, und mit einem Mal verpuffen die multiplen Krisen dieser Welt, als ob's sie nie gegeben hätte. Man wird ja wohl noch träumen dürfen …

Wieder vor Gericht

Kein Zauberknopf ließ sich am Hamburger Landgericht finden. Dort stand am vergangenen Freitag Kontext in Sachen Andreas Renner vor Gericht. Online. In den Kästchen zugegen waren wir, unser Anwalt Markus Köhler, die Anwältin von Andreas Renner und die Pressekammer des Hamburger Landgerichts. Der suspendierte ehemalige Inspekteur der Polizei hat uns per einstweiliger Verfügung einen Begriff verbieten lassen, der perfekt passt auf die Umstände, unter denen Renner in Stuttgart zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte. Es geht um ein männliches Körperteil, zentral behandelt im öffentlichen Prozess wegen des Verdachts auf sexuelle Nötigung gegen Andreas Renner. Mittlerweile ist er freigesprochen, aus Mangel an Beweisen, die Staatsanwaltschaft hat bereits Revision eingelegt. Wir von Kontext haben gegen die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, einer der härtesten Pressekammern bundesweit, Einspruch eingelegt. Allerdings mochte das Gericht unserer Argumentation nicht folgen. Der Begriff (Geschlechtsteil und Berufsbezeichnung) transportiere nicht die Kritik daran, dass Renner seine berufliche Stellung möglicherweise mit Sexuellem vermischt habe, heißt es. Wir haben dem vehement widersprochen, das Gericht hat sich kurz beraten, dann aber die einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Nun warten wir auf die schriftliche Urteilsbegründung, um dann zu überlegen, wie wir weiter verfahren.

Mehr Zeit zum Leben

Feministische Marxistin – das hört sich sehr, sehr ernsthaft an. Sybille Stamm war das auch, aber noch viel mehr. Sie war herzlich, optimistisch, konnte lachen und ging, wenn sie einen leiden konnte, mit einem durch dick und dünn. Bernd Riexinger etwa, der Linke, gehörte dazu. Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lernen. Das war ihre Losung schon vor 40 Jahren, im Kampf um die 35-Stunden-Woche, das war das Ernste mit dem Schönen verknüpft. So ist sie durch ein Leben gegangen, mit viel Herzblut, zusammen mit ihrem ähnlich gestrickten Mann Jürgen, dem früheren IG-Metall-Bevollmächtigten. Der Landesvorsitz bei Verdi (2001 bis 2007) war ihr Spitzenamt, der anschließende Wechsel von der SPD zur Linken und in den Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung konsequent. Nicht zu vergessen ihr Engagement in Sachen Stuttgart 21 – sie war eine Gegnerin der ersten Stunde. Sybille Stamm ist am 14. Dezember im Alter von 78 Jahren überraschend gestorben.

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1 Kommentar verfügbar

  • Ernest Petek
    am 20.12.2023
    Antworten
    „Global denken, lokal handeln!“ [Fn_1] – bei uns in STUTTGART: Fehlanzeige?!?
    Kleingeister in den höchsten Entscheidungspositionen!!!
    Da ist das Warten auf "Ein Wunder" nicht als hilfreich zu nennen.

    Wieder und wieder vorbringen, was nicht vergessen werden darf:
    Am Ball bleiben ist…
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