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Polizeiskandal Baden-Württemberg

Auf einen Sekt bei 02

Polizeiskandal Baden-Württemberg: Auf einen Sekt bei 02
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Ein Gelage im Büro des Vize-Präsidenten rückt Baden-Württembergs Landeskriminalamt in ein schlechtes Licht – zumal das Stelldichein stattfand, während Corona-Beschränkungen galten. Der Polizei-Untersuchungsausschuss im Landtag befragte dazu Schlüsselzeug:innen – gegen den Wunsch der CDU.

Keine kleine Plastiktüte und auch kein Jute-Beutel aus Stoff, sondern eine dieser großen Einkaufstaschen voll mit leeren Flaschen sei es gewesen. So beschreibt es ein Polizeihauptmeister vor staunenden Abgeordneten in Baden-Württembergs Landtag. Ein Untersuchungsausschuss versucht hier seit Monaten zu klären, was eigentlich los ist bei der Polizei. Es geht um fragwürdige Karrieresprünge und politische Seilschaften, in der jüngsten Sitzung des Gremiums stand ein Abend im Fokus, der das Landeskriminalamt in ein sehr schlechtes Licht rückt: Bei einem Trinkgelage unter Vorgesetzten und Untergebenen im Büro des Vize-Präsidenten wurden wohl Kontaktbeschränkungen während der Corona-Zeit missachtet. Weit nach Mitternacht ist eine Beteiligte von einer Streife aufgelesen worden. In ihrer Hand hatte sie die besagte Einkaufstasche, in der neben vielen Sekt- offenbar auch Weinflaschen waren.

21 Sitzungstage haben die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss bereits der Beförderungspraxis bei Baden-Württembergs Polizei gewidmet. Jedes Mal kamen dabei Informationen über Missstände auf den Tisch, die neue Fragen und neues Rätselraten auslösten. Zuletzt drehte sich alles darum, wie der Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand zusammenfasst, ob sich im LKA eine "kollegiale Feierabendrunde" beim damaligen Vize-Präsidenten Andreas Renner getroffen hat, oder, "ob wir es nicht doch mit Karrierenetzwerken zu tun haben, die Freundeskreise genannt werden?", also um Treffen, "bei denen Berufliches und Privates verschwimmt". Der Verdacht besteht, dass bei Beförderungen und Besetzungen geschoben, nachgeholfen und getrickst wurde – mit oder ohne Wissen der Spitze im CDU-geführten Innenministerium unter Thomas Strobl.

Der mutmaßlich durchzechte Abend, der am vergangenen Freitag im Ausschuss beleuchtet wurde, soll Ende April oder Anfang Mai 2020 stattgefunden haben. Klar ist jedenfalls, dass zu dieser Zeit strengste Corona-Regeln und Kontaktbeschränkungen galten. In der besagten Nacht kam laut Zeugenaussagen die Kriminalhauptkommissarin Isabel K. gegen ein Uhr Nacht aus einem Hinterausgang des LKA und wurde dort von zwei Kolleg:innen auf Streife kontrolliert. Dabei habe sie sich verzettelt in Widersprüchen und wenige Tage später von einem "Antrittsbesuch" beim LKA-Vize gesprochen, da sie zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Wochen im LKA tätig war. Viel deutet daraufhin, dass die damals geltenden Kontaktbeschränkungen bei der Sektrunde missachtet wurden.

Die Kriminalhauptkommissarin K. berichtet im Zeugenstand, dass sie – wie ihr Vorgesetzter Renner – seit einigen Jahren regelmäßig an solchen Treffen unter Kolleg:innen teilnehme. Diese hätten an verschiedenen Örtlichkeiten, meist aber in irgendwelchen Biergärten stattgefunden. Sie könne sich nur noch an eine weitere Zusammenkunft dieser Art im Büro des LKA-Vize erinnern. "Treffen Sie sich nicht mit Freunden?", fragt die Zeugin den Abgeordneten Hildenbrand kess, als der nach Details fragt. K. hat gut drei Stunden lang Gelegenheit, Licht ins Dunkel zu bringen, könnte alle Mutmaßungen beenden mit einer plausiblen Darstellung ihres nächtlichen Verhaltens.

Das aber macht die dunkelhaarige, junge Frau nicht. Stattdessen eiert und schwurbelt sie. Auf die Frage, ob sie sich auf die Zeugenaussage hat vorbereiten lassen, womöglich von Andreas Renner höchstpersönlich, sagt K., der inzwischen suspendierte Spitzenbeamte habe ihr lediglich wenige Tage vor ihrem Antritt im U-Ausschuss eine SMS geschickt: "Ich hoffe, es geht dir gut." Sie verwickelt sich aber auch in Widersprüche, will nicht sagen, wie dieses "Treffen mit Freunden" im Frühjahr 2020 genau ablief. An Wichtiges könne sie sich nicht mehr erinnern. Diese Einkaufstasche voll mit Leergut will sie bei der Streifenkontrolle vor dem LKA-Gebäude nur deshalb dabeigehabt haben, weil sie – wie sie selbst sagt – "immer die Vernünftigste und Gutmütigste" sei, ja, sogar "die Spaßbremse", die immer als erste geht. Wo die Flaschen herkamen, als sie noch voll waren, will sie nicht sagen. Außerdem ist sie bemüht den Eindruck zu erwecken, dass da vorher nichts geplant und nichts vorbereitet war. Wenig wahrscheinlich ist, dass die "fünf oder sechs Personen", die dabei waren, irgendwoher aus dem Haus herumstehende oder zufällig mitgebrachte Getränke ungekühlt zu sich genommen haben. Die Zeugin spricht vom "Feierabend-Bier".

Herablassend gegenüber den Kolleg:innen

Oben auf der Karriereleiter 

Andreas Renner hat einen beispiellosen Aufstieg an die Spitze der baden-württembergischen Polizei hingelegt. 2017 wurde er stellvertretender Landeskriminaldirektor ans Innenministerium unter Thomas Strobl (CDU) berufen. Zwei Jahre später erfolgte der Aufstieg zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts. Im November 2020 wurde Renner im Alter von 47 Jahren zum jüngsten Inspekteur der Polizei (IdP) in der Landesgeschichte. Doch nach nur einem Jahr im Amt wurde er suspendiert, weil er sich vor Gericht gegen den Vorwurf der sexuellen Nötigung verantworten muss. 

Entscheidend begünstigt wurde Renners Aufstieg durch ein Netzwerk von Sympathisant:innen. Bei der Suche nach einem neuen IdP war Renner der Wunschkandidat einflussreicher CDU-Funktionäre. Eigentlich sollen Beamt:innenposten strikt nach Qualifikation vergeben werden. Im Fall Renners gab es keine Konkurrenz um das Amt – weil alle potenziellen Mitbewerber:innen im Vorfeld über die Aussichtslosigkeit ihrer Kandidatur informiert worden waren, unter anderem von der Polizeipräsidentin Stefanie Hinz persönlich.  (min)

Nachvollziehbare Informationen liefern hingegen die beiden Streifenpolizist:innen Theresa G. und Jürgen G., die K. in jener Nacht zufällig mit der großen Leergut-Tasche aufgegriffen haben. Sie waren vergangenen Freitag ebenfalls als Zeug:innen im Ausschuss geladen. Laut übereinstimmender Aussage sei K. aus dem einzigen nicht videoüberwachten Seitenausgang über die Wiese in Richtung Taubenheimstraße geeilt. Dort wartete ein dunkles Auto mit laufendem Motor und eingeschalteten Scheinwerfer. Das Leergut klimperte in der Tasche. K. wird aufgehalten, soll sich erklären, will weg mit einem ebenso knappen wie wahrheitswidrigen "Ich bin vom Innenministerium" und versucht sich mehrfach der Kontrolle zu entziehen. Die Beamt:innen bleiben hartnäckig und lassen sich schon gar nicht beeindrucken von dem Hinweis, dass K.s Freund von der GSG9 in dem Wagen warte. Schließlich zeigt sie ihren Dienstausweis, macht aber konfuse Angaben, für die die Erste Polizeihauptmeisterin Theresa G. vor dem Ausschuss sogar die Vokabel Lüge verwendet.

Überhaupt bekommt Isabel K. von den beiden Polizist:innen schlechte Noten für ihr Betragen: wenig kooperativ, aufbrausend und herablassend. Und sie habe etwas zu verbergen gehabt. Theresa G.: "Ich bin nicht seit gestern bei der Polizei und habe ein Gefühl für Leute, die nicht die Wahrheit sagen." Noch vor Ort wird deshalb der Polizeiführer vom Dienst (PvD) im LKA informiert. Tatsächlich hat eine sogenannte Status- oder Eingriffsmaßnahme bis 18.30 Uhr stattgefunden. Von der Zusammenkunft danach wusste der aber nichts, reagiert überrascht, dass so spät noch Menschen im Gebäude waren. Er wolle das intern im LKA klären.

Treffen im CDU-Stammlokal

Gleich in der ersten Sitzung 2024, Mitte Januar, wird der PvD als Zeuge schildern müssen, wie er mit diesem Hinweis umging. "Wir wollen vor allem wissen, was aus der Meldung wurde", so FDP-Obfrau Julia Goll. "Wurde an irgendeiner Stelle über die wohl coronawidrige nächtliche Feier gesprochen?" Die frühere Staatsanwältin fragt, ob Andreas Renner damit konfrontiert wurde oder irgendwelche Konsequenzen gezogen wurden. Und wenn nein – wer das entschieden habe. Brennend interessiert nicht nur Goll, was eigentlich auf diesen, von K. als regelmäßig beschriebenen Treffen im Freundeskreis gesprochen wurde. Immerhin kennen sich Andreas Renner und die Kriminalhauptkommissarin seit 2016 und der gemeinsamen Zeit im Referat 32 des Innenministeriums. K. nennt das Tobi’s in der Stuttgarter Innenstadt als eine der gemeinsam besuchten Kneipen.

An dieser Stelle klingelt es bei manchen im Plenarsaal. Das schwäbische Restaurant in der Bolzstraße war ein beliebter CDU-Treff, gern besucht vom neuen CDU-Landesvorsitzenden Manuel Hagel in seiner Zeit als Generalsekretär, ebenso vom heutigen Staatssekretär Siegfried Lorek, der im Ausschuss ebenfalls schon als Zeuge gehört wurde und dabei etwas zu viel Mut zur Lücke an den Tag legte. Mal trafen sich schwarze Abgeordnete im kleinen, mal im größeren Kreis mit LKA-Mitarbeiter:innen, sowohl 2019 als auch nach Ende des ersten Corona-Lockdowns 2020 und damit in Zeiten, da in der CDU die Hoffnung lebte, die Ära von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei der Landtagswahl 2021 beenden zu können. Und wichtige Posten zu erobern, in der Polizei wie auch in Ministerien.

"Amtsantritt" beim LKA-Vize

Die nächtliche Kontrolle im Frühjahr 2020 hatte ein Nachspiel: Den beiden Streifenpolizist:innen Theresa G. und Jürgen G. lässt der Vorfall keine Ruhe. Sie fühlen sich nicht korrekt behandelt von "der Dame", wie Jürgen G. die unkollegiale Kollegin nennt. Sie suchen Isabel K. vier Tage später an ihrem damaligen Arbeitsplatz, in einer LKA-Außenstelle auf. "Wir wollten geklärt haben", sagt der Zeuge G., "warum sie sich so relativ respektlos uns gegenüber benommen hat, denn wer nichts zu verbergen hat, kann sich auch ordentlich verhalten." Deshalb die zweite Begegnung mit K., die einen seltsamen Verlauf nimmt, der neue Fragen aufwirft. Anfangs sei die Kriminalhauptkommissarin wiederum abweisend gewesen, bei der Drohung, "vielleicht einen Vorgesetzten zuziehen zu wollen", brach sie, wie Theresa G. und Jürgen G. sich übereinstimmend zu erinnern meinen, ein und in Tränen aus. Dann habe sie erklärt, "zum Antrittsbesuch bei 02" gewesen zu sein – 02 steht für den LKA-Vize. Doch sie könne nicht mehr dazu sagen. Er habe bemerkt, sagt der Zeuge G., "dass es irgendetwas Unangenehmes war, und ich habe nicht mehr weiter nachgebohrt". Die beiden Polizeibeamt:innen haben sich zusammengereimt, "was man unter diesem Antrittsbesuch verstehen kann". Sie sei "emotional so aufgelöst gewesen", sagt Theresa G., "dass wir das erste Mal den Eindruck hatten, sie sagt jetzt die Wahrheit".

K. stellt dieses zweite Zusammentreffen ganz anders dar und spricht von einer "sehr seltsamen" Vorgehensweise, "denn die standen auf einmal bei uns im LKA in voller Montur". Sich genauer erklären oder ausholen habe sie nicht wollen, die Kollegen "hätten gar nicht verstanden, warum eine Sachbearbeiterin beim Vizepräsidenten eingeladen ist", auch weil sie ja erst seit Kurzem im LKA arbeitete. Und sie fand, das gehe sie auch nichts an. Geweint habe sie überdies nicht, versichert K., "ich war vielleicht aufgebracht".

Schon allein diese gegensätzlichen Angaben sind für die Mehrheit der Abgeordneten im Ausschuss Grund genug, dem Sachverhalt weiter nachzugehen. Mit weiteren Zeug:innen will die Opposition herausarbeiten, dass Andreas Renner seinen Blitzaufstieg in Baden-Württembergs Polizei gar nicht hätte hinlegen dürfen. Die Union will das nicht, jedenfalls nicht mit Hilfe der Zeugin K.. CDU-Obfrau Christiane Staab versuchte alle Vernehmungen am vergangenen Freitag zu verhindern und sprach von "Sachen aus dem persönlichen Lebensbereich einer Zeugin, die mit dem Untersuchungsthema" des Ausschusses nichts zu tun habe. Ihre Fraktion steht allein mit dieser Einschätzung. Es sei gar nicht zu verstehen, kritisiert SPD-Obmann Sascha Binder, "wie sich die CDU-Fraktion von einem entscheidenden Teil der öffentlichen Beweisaufnahme verabschieden will". Das könne aber daran liegen, dass schon vor Renners rasanter Karriere Unangenehmes über den Günstling der CDU bekannt war. Für Hildenbrand steht fest, dass die Beurteilungs- und Beförderungspraxis "der Fokus ist, unter dem wir diese Runden beleuchten wollen".

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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 23.12.2023
    Antworten
    Der Artikel erinnert an die schreckliche Zeit, als Menschen sich für eine Tasche mit Flaschen rechtfertigen mussten und Menschen sich rechtfertigen sollten, mit wen sie sich wo getroffen haben.
    Hoffentlich nie wieder.

    Peter Nowak
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