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Siegfried Lorek

Zu viel Mut zur Lücke

Siegfried Lorek: Zu viel Mut zur Lücke
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Der Untersuchungsausschuss zur Beförderungspraxis bei Baden-Württembergs Polizei droht in eine gefährliche Sackgasse zu geraten. Hochrangige Zeug:innen, darunter Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU), glänzen mit schlechtem Gedächtnis.

Selbst Staatenlenker haben häufig Aussetzer, wenn es eng wird. "Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich zwar an seinen letzten Freibadbesuch vor 40 Jahren erinnern kann, leidet unter merkwürdigen Erinnerungslücken", schreibt der "Stern" im Zuge des Cum-ex-Skandals. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird ungewohnt deftig bei heiklen Zusammenhängen zwischen seiner Wahlkampffinanzierung und der Ansiedlung von Uber in Frankreich ("Ça m'en touche une sans faire bouger l'autre", zu Deutsch: "Davon wackeln mir nicht mal beide Eier"). Österreichs gefallener ÖVP-Engel, der inzwischen wegen des Verdachts der Falschaussage auf der Anklagebank sitzende Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, verteidigt sich mit dem steifen Hinweis auf einen angeblich "falschen Bedeutungsgehalt", der etlichen seiner Aussagen im Untersuchungsausschuss zugeschrieben werde. Im Übrigen, so einer seiner Anwälte, sei der Zeuge Kurz während der vierstündigen Befragung durch die Parlamentarier:innen doch tatsächlich "30 Mal unterbrochen oder mit Zwischenrufen gestört" worden.

Im Vergleich dazu geht es im Plenarsaal des Stuttgarter Landtags richtig gesittet zu. Hier überprüft ein Untersuchungsausschuss schon seit September 2022, wer warum und wie in Baden-Württembergs Polizei Karriere macht. Die grüne Vorsitzende des Gremiums, die Freiburger Rechtsanwältin Daniela Evers, rügt dabei konsequent die geringste Unruhe. Doch spätestens die Sitzung vom vergangenen Montag hat gezeigt, dass eine unaufgeregte Stimmung keineswegs Garant dafür ist, dass Befragungen erkenntnisfördernd ausfallen müssen. Angehört wurde unter anderem Siegfried Lorek (CDU), Staatssekretär für Justiz in Baden-Württemberg, früher mal Polizeisprecher seiner Fraktion und selbst Polizeioberrat, der für die Dauer seines Mandats beurlaubt ist. In den Fokus des Gremiums ist er gerückt, weil sein Verhältnis zum suspendierten Spitzenpolizisten Andreas Renner eine Reihe von Fragen aufwirft. So berichteten die "Stuttgarter Nachrichten" schon im Mai 2021, Lorek habe auf den Fluren des Parlaments damit geprahlt, "er habe wesentlich dazu beigetragen, dass [Landespolizeipräsidentin Stefanie] Hinz und [Polizei-Inspekteur Andreas] Renner überhaupt in ihre Ämter gekommen seien". Im Gegenzug hätten diese beiden "schon für mich gesorgt", falls eine Wiederwahl ins Parlament missglücken sollte.

Inzwischen ist Andreas Renner wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung als ranghöchster Polizist des Landes suspendiert, und Lorek musste sich im Untersuchungsausschuss mit unangenehmen Fragen konfrontieren lassen. Sein Auftritt ist bestens vorbereitet: Vor ihm liegt links ein Info-Blatt mit kleinen Porträtfotos und den Namen aller Ausschussmitglieder, rechts mehrere mit bunten Haftmarkern üppig bestücke Aktenordner. Doch all dieser Stützen und Hilfen zum Trotz bleiben an entscheidenden Punkten Leerstellen in Loreks Aussage.

Loreks Erinnerungen weichen von denen anderer ab

Dabei betonte der Befragte immer wieder, dass er Dinge, die ihm in seiner Eigenschaft als Abgeordneter gesagt wurden, hier nicht preisgeben müsse. Das sei zwar sein gutes Recht, bestätigt später FDP-Obfrau Julia Goll, früher Staatsanwältin: Trotzdem sei die Taktik "zweifelhaft" und "nicht fair", eigene Aussagen mit Informationen von Dritten zu untermauern, dann aber zu schweigen über Details. In der Tat hätten viele Untersuchungsausschüsse in der Vergangenheit einen anderen Gang genommen, im Klartext: wären harmlos geblieben, wenn Promis wie Erwin Teufel, Lothar Späth, Gerhard Mayer-Vorfelder, Stefan Mappus (alle CDU) und weitere im Zeugenstand den jetzt so gern bemühten Vertrauensschutz für sich in Anspruch genommen hätten.

Und wenn sogar der nicht mehr so richtig weiterhilft, tut es das Talent zum Vergessen. Lorek kann sich nicht erinnern, in seiner Abgeordnetenzeit außerhalb dienstlicher Belange öfters im Innenministerium gewesen zu sein. Er kann sich nicht erinnern, ins Landeskriminalamt (LKA) gefahren zu sein, um Sekt zu trinken ("Davon bekomme ich Sodbrennen"). Wenn es schwierig wird, weil die Aussagen anderer anderes besagen, trumpft er gern auf: "Ich könnte mich aber erinnern, wenn es so gewesen wäre." Auch weiß er nicht mehr, wie und wann genau es dazu kam, dass er sich mit Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU bei der Landtagswahl 2021, traf, um über Fragen der Inneren Sicherheit zu reden – dies übrigens zusammen mit Andreas Renner. An dieser Stelle hätte Lorek dann doch mal in seinem Kalender blättern können und vermutlich ein Datum im Sommer 2019 gefunden. Ganz genau er kann sich hingegen daran entsinnen, dass er auf Besetzungen von polizeilichen Führungsfunktionen keinerlei Einfluss genommen hat: "Never ever." Loreks Auftritt jedenfalls hat keine schlechten Chancen, im Ranking der Verschleierungsversuche vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ziemlich weit oben zu landen.

Und doch spielte sich das noch größere Kino während dieser 20. Sitzung des Gremiums abseits der Öffentlichkeit ab. Franz Semling, Freiburger Polizeipräsident, sollte hinter verschlossenen Türen zu Erkenntnissen aus als geheim eingestuften Akten Stellung nehmen. Er ist schon zum zweiten Mal geladen und war in seiner öffentlichen Vernehmung vergangenen Oktober aufgefallen mit Formeln wie "Dazu kann ich nichts Konkretes sagen" oder "Das wäre im Bereich der Spekulation" oder, noch gestelzter: "Dafür reicht die Erinnerungslage nicht aus." An solchen Stellen schwoll manchen der regelmäßigen Ausschuss-Besucher:innen auf der Tribüne der Kamm. Erst recht nach der Frage von Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand, was Semling durch den Kopf gegangen sei, als er von den Vorwürfen gegen Renner wegen angeblicher sexueller Übergriffe erfuhr: "Ich habe mir Gedanken gemacht, aber die muss Franz Semling mit Franz Semling ausmachen."

Und noch ein Trinkgelage bei der Polizei

In Semlings Vernehmung am vergangenen Montag strebte das Drama einem in der Landesgeschichte der Untersuchungsausschüsse noch nie dagewesenen Wendepunkt zu: Die Abgeordneten warfen den Polizeipräsidenten raus. Dem früheren Beamten im Innenministerium sollte so Gelegenheit zur Besinnung gegeben werden – und zugleich war der Rausschmiss eine dringende Empfehlung an all seine Kolleg:innen, sich ähnliche Auftritte vor den Parlamentarier:innen besser nicht zu erlauben. Die Ausschussvorsitzende Evers kündigte sogar an, rechtliche Schritte prüfen zu lassen. Allerdings ist die juristische Handhabe kompliziert und gegenwärtig unklar, wie Semling zur Räson gebracht werden kann. Auf jeden Fall bekommt er Bedenkzeit bis ins nächste Jahr, denn in der letzten Sitzung vor Weihnachten sind bereits vier Zeugen geladen.

Sie sollen sich zu dubiosen Vorgängen im Landeskriminalamt äußern, die die StN öffentlich gemacht haben und die in eine Zeit fallen, in der Andreas Renner hier Vizepräsident war. Wieder spielen Alkohol, Treffen nach Dienstschluss und Besucher:innen von außen eine Rolle – Corona-Schutzmaßnahmen, die zu dieser Zeit galten, hingegen eher nicht. "Nun gibt es für ein weiteres Trinkgelage mit jungen Beamtinnen unter der Ägide von Andreas R. am Landeskriminalamt einen handfesten Beleg", schreiben die "Badischen Neuesten Nachrichten". Details will der Ausschuss unter die Lupe nehmen.

Im nächsten Jahr werden die Abgeordneten sich bemühen, die gravierenden Widersprüche aufzuklären zwischen Loreks bisheriger Aussage und denen von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz oder dem früheren LKA-Präsidenten Ralf Michelfelder. Die Ausschussarbeit insgesamt ist lang und wird immer länger. 50 Zeugen:innen sind noch geladen. Deren Erinnerungslücken und mögliche zweite Auftritte eingerechnet, könnte es gut noch zwei Jahre dauern bis ein Abschlussbericht – im dann beginnenden Landtagswahlkampf – vorliegt. Kein Wunder, dass vor allem die CDU auf Beschleunigung drängt.


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4 Kommentare verfügbar

  • Frieder K
    am 23.11.2023
    Antworten
    Hallo Herr Seemann, Ihr Name erinnert mich an den Pfarrer, Seelsorger und herausragenden Lehrer und Professor Hubert Seemann aus Freiburg. Dieser Mann war gern gesehener Gast an der Landes-Polizeischule Freiburg, seine Exkursionen ins Elsass waren Höhepunkte der Fortbildungsseminare. Dieser Mensch…
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