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Siegfried Lorek

Für den Erfolg tut er fast alles

Siegfried Lorek: Für den Erfolg tut er fast alles
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Eigentlich wollte er Minister werden. Jetzt muss Siegfried Lorek (CDU) bangen, ob er Staatssekretär für Justiz bleiben kann. Im Untersuchungsausschuss zu Missständen bei Baden-Württembergs Polizei muss sich der strebsame Strippenzieher auf unangenehme Fragen gefasst machen.

Darum beneiden den gebürtigen Freiburger sicher viele in der Welt der sozialen Medien: Das für den Landtagswahlkampf 2021 entwickelte Computerspiel "Sigi GO!!" ist Teil der digitalen Sammlung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in der Rubrik "immaterielle Kulturgüter". Das jedenfalls schreibt Siegfried Lorek auf seiner Internetseite. Tatsächlich wird nach Auskunft des Museums dies und das und ganz Banales in "den digitalen Rucksack gepackt, um später noch mehr über sie und ihre Zeit zu erfahren". Es passt ins Bild, dass Loreks Darstellung leicht frisiert daherkommt.

Der Staatssekretär für Justiz in der baden-württembergischen Landesregierung steht aktuell im Fokus, weil er ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Förderer von Andreas Renner war: dem Inspekteur der Polizei, der nach nur einem Jahr im Amt suspendiert worden ist und dessen Fall dafür gesorgt hat, dass ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Baden-Württemberg gegenwärtig die Beförderungspraxis bei der Polizei auf den Prüfstand stellt (Kontext berichtete mehrfach). Lorek legt enormen Wert auf Status, Stellung und sympathisches Auftreten, auf Ansehen, Anerkennung und Einfluss. Als "ehrgeizig", "emsig" und "wissbegierig" beschreiben ihn Fraktionskolleg:innen durchaus anerkennend. Kritiker:innen wiederum bemängeln, dass er "vor allem bis ausschließlich" am eigenen Fortkommen interessiert sei. Anfangs auf eher verschlungenen Wegen, weil ohne Abitur, schaffte er es in den gehobenen Polizeidienst und zur Fachhochschulreife über die Ausbildung zum mittleren Dienst. Dann war der diplomierte Verwaltungsfachwirt unter anderem Einsatzleiter und Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei. 2007 ergriff er die Chance eines neuen Studiengangs an der Polizeihochschule in Münster, zwei Jahre später hatte er den Master in der Tasche und viele Kontakte geknüpft.

In der Partei war er da schon angekommen als typisches Exemplar des smarten Aufsteigers in der Südwest-CDU. Seit 2005 saß der ehemalige Mitbetreiber zweier EDV-Geschäfte im Landesvorstand der Jungen Union, er wurde stellvertretender Landesvorsitzender, war Chef der CDU in Freiburg-Zähringen. 2010 kandidiert Lorek, inzwischen Referent im Innenministerium, bei der Oberbürgermeisterwahl in Villingen-Schwenningen. In Homestorys präsentiert sich der Kandidat bereitwillig an der Seite seiner Freundin Gabi als Tausendsassa: Wände streichen, Laminat verlegen, Eishockey spielen, kochen für größere Runden, ehrenamtlich bei der Feuerwehr mitmachen. In den regionalen Medien fährt er reichlich Vorschusslorbeeren ein, er preist sich auch gern für sein "kommunalpolitisches Gespür" und verspricht, das Oberbürgermeisteramt – noch ehe er es innehat – so anzugehen, "dass ich in acht Jahren wiedergewählt werde".

20 Stimmen Vorsprung für Lorek

Mitverantwortliche für seinen Wahlkampf erinnern sich: "Sigi will den Erfolg und tut dafür fast alles." In Villingen-Schwenningen holt er sich einen Coach, der empfiehlt nicht nur, mehrere tausend Kleinpackungen Cornflakes zu verschicken, sondern schreibt Reden, gibt Tipps fürs Outfit ("Naturfasern, keine Birkenstock, keine Rolex"), feilt an der richtigen Portion Charme bei Hausbesuchen, besorgt die netten älteren Damen fürs Fotoshooting auf dem Markplatz. Ein anderer PR-Termin bei der Feuerwehr endet, weil unangemeldet, im Ärger mit der Stadt. Der Kandidat ist zerknirscht, der Wahlmanager hingegen rät zufrieden, die Geschichte der Presse zu stecken. Doch der ganze Aufwand ist vergebens. Herausforderer Lorek bleibt schmerzlich bei knapp 36 Prozent hängen und Amtsinhaber Rupert Kubon (SPD) auf dem Chefsessel im Rathaus.

Ausgabe 654, 11.10.2023

Fremdscham für die Führungsebene

Von Minh Schredle

Der ehemalige Spitzenpolizist Andreas Renner hat unserer Zeitung per Gerichtsbeschluss bestimmte Äußerungen über seinen Fall verbieten lassen. Eine gute Gelegenheit, dem Skandal um seine Person und den Zuständen in Baden-Württembergs Polizei zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.

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Zwei Mal wird Lorek in anderen Städten als CDU-Bewerber gehandelt, dann sattelt er um zur Landespolitik. Der Instinkt für Schwächen der Gegner und vor allem aber das eigene Netzwerk sind mittlerweile so entwickelt, dass diesmal nichts mehr schiefgeht. Der Polizeioberrat gewinnt die Kandidatenkür gegen den Waiblinger Landtagsabgeordneten Matthias Pröfrock, dem die Uni Tübingen den Doktorgrad aberkannt hatte. "Zuvor war der Ordnungshüter aktiv geworden", berichten die "Stuttgarter Nachrichten" genüsslich. Polizisten und Feuerwehrleute hätten E-Mails zugeschickt bekommen mit der Anregung, in die CDU einzutreten und für ihn zu votieren. Drei Kollegen seien dem Vorschlag gefolgt, und 17 Feuerwehrleute. "Es mag Zufall sein", so die StN weiter, "mit 20 Stimmen Vorsprung gewann er [Lorek] die Abstimmung gegen den Amtsinhaber." Für ein Direktmandat reichte es bei der Landtagswahl 2016 trotzdem nicht, bei einem Verlust von elf Prozentpunkten in der schwarzen Hochburg früherer Zeiten.

Über die Zweitauszählung ins Parlament gekommen, hielt Lorek seine erste Rede zum Einsatz von Bodycams und positionierte sich als Fachmann für Polizeiangelegenheiten. Zudem versuchte er sich am heiklen Spagat zwischen den Hauptzuständigkeiten eines Landes, der Inneren Sicherheit und der Bildung, verlangt zur verbindlichen Grundschulempfehlung zurückzukehren. Bei der Regierungsbildung 2021 erweiterte dieses Themenspektrum die Karriereoptionen, denn er hätte sich auch vorstellen können, Staatssekretär im Kultusministerium zu werden. Das allerdings eher als ein Trostpflaster, denn eigentlich sah sich der strebsame Strippenzieher fest gesetzt als Innenminister im ersten Kabinett von CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Der Traum verpuffte mit dem Wahlergebnis: Die Grünen wurden zur stärksten Kraft mit 8,5 Prozentpunkten Vorsprung zur Union.

Flexibel bleiben nach Niederlagen

Als sich abzeichnete, dass aus einem Wahlsieg für Eisenmann nichts werden würde, ging Lorek schon vor dem Wahltag als einer der Ersten auf Distanz. Ein paar Wochen später übte er sich als kompromissbereiter Grünen-Versteher, machte in den Koalitionsverhandlungen als Vorsitzender der CDU-Arbeitsgruppe "Inneres, Justiz, Verfassung, Kommunen" viele Zugeständnisse, die seiner Partei viel Ärger einbrachten. Publik wurde, wie Lorek hinter den Kulissen versuchte, die Polizeigewerkschaften auf Linie zu bringen – sie sollten aus den Vereinbarungen "kein großes Ding machen". Das Gegenteil geschah: Ralf Kusterer, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), verglich die CDU in ihrer Art und Weise, in der sie "um die Gunst der Regierungsbeteiligung buhlte", mit einer "Prostituierten auf dem Straßenstrich". Das Verhältnis ist bis heute nicht repariert.

Dabei ist der Vater von drei Kindern immer und überall, wie ein Landtagsabgeordneter sagt, "auf der Jagd nach Verbündeten". Und er wolle "möglichst alles wissen", über Konkurrent:innen, über Entwicklungen, die ihm dienlich sein könnten. In der Migrationspolitik gehört er nicht zu den Tauben, sondern zu den Falken. "Verschiedene Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen, bringt beim besten Willen wirklich nichts", sagt er noch im vergangenen Herbst im Landtag und sprach von "unserer humanitären Verantwortung" für grundsätzlich alle Geflüchteten, die hier Schutz suchen: "Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Spaltung der Gesellschaft."

Durchhalten mochte er die Linie nicht, trotz vieler Stippvisiten vor Ort. Und trotz eines Treffens mit dem prominenten österreichischen Migrationsexperten Gerald Knaus, der gebetsmühlenhaft davor warnt, immer neue untaugliche Maßnahmen zu diskutieren, und an das Gebot der UN-Flüchtlingskonvention erinnert, Menschen nirgendwo unmenschlich zu behandeln und den Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewährleisten. Trotz mahnender Worte von Annette Schavan, der früheren stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und Botschafterin am Heiligen Stuhl während der großen Fluchtbewegungen im vergangenen Jahrzehnt, vor immer neuer, auch verbaler Empörung in der Flüchtlingspolitik. "Wir befinden uns faktisch in der Migrationskrise 2.0", sagt der Staatssekretär dennoch, "wir sind aber am Limit oder teilweise sogar einen Schritt" darüber. Und er verlangt, im Wissen um die Skepsis vor Ort, nach einer Chipkarte statt Geldleistungen, um "Fehlanreize abzubauen".

Ist die Katze aus dem Haus ... 

Dabei hat Lorek noch ganz andere Sorgen. Er wird im Untersuchungsausschuss damit konfrontiert werden, wie er seine Gabi, die er seit der gemeinsamen Ausbildung an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen kennt, ins Team der damals noch aussichtsreichen Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann bugsierte. Das unverblümt vorgetragene Begehren schockiert langgediente Spitzenbeamte: Die neue persönliche Referentin versuchte erfolglos, Zugriff auf den Kalender ihrer Chefin zu bekommen.

Ein Vorgehensmuster regelrecht, wie sich im Untersuchungsausschuss bereits zeigte. Denn Andreas Renner, der als ranghöchster Polizist in Baden-Württemberg suspendiert wurde, wollte in seiner Zeit als Stellvertreter im Landeskriminalamt (LKA) ans digitale Postfach von Präsident Ralf Michelfelder: In dessen Abwesenheit bezirzte er den hauseigenen IT-Experten, ebenfalls ohne Erfolg. Immer wieder zu Besuch im LKA war Lorek, damals noch als einfacher Abgeordneter – und zwar speziell beim Vize Renner und immer nur dann, wenn Michelfelder abwesend war.

Der Zeuge wird sich – unter vielem anderen – fragen lassen müssen, wie intensiv sein Werben für Renner war. Mehrfach belegt ist die Äußerung, dass die CDU die so wichtige Position des IdP nun über viele Jahre in der Hand hat. Es wird um die Feierabend-Runden im und außerhalb des Innenministeriums gehen, etwa im "tobi's" in der Bolzstraße, ums mögliche Spiel über Bande mit der Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz, aber auch um SMS-Kontakte mit Renner nach Bekanntwerden der Anschuldigungen. Er wisse nicht, sagt einer der Abgeordneten im Ausschuss in Kenntnis als geheim eingestufter Akten, wie Lorek die Befragung am kommenden Montag unbeschadet überstehen soll.


Korrektur-Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand fälschlicherweise, dass Sigfried Lorek einmal zwei Videotheken betrieben habe. Zutreffend ist, dass er zwischen 1999 bis 2005 nebenberuflich zwei EDV-Fachgeschäfte gegründet und betrieben hat.


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2 Kommentare verfügbar

  • Thomas Schreiber
    am 13.11.2023
    Antworten
    Merke: die Grünen sind immer irgendwie (mit-) schuld. So einfach ist das.
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