Siegfried Lorek, der neue christdemokratische Migrationsstaatssekretär, will sich aufmachen, "nicht passiv zu bleiben, sondern Mühen und Anstrengungen auf sich zu nehmen und in den politischen Diskurs einzusteigen". Jedenfalls hat der Katholik im Projekt "Abgeordnetenbibel" Johannes 15,16 und die damit verbundene "Sendung des Christen in die Welt" als Wahlspruch gewählt, "weil unzweifelhaft wir Christen zum Dienst an der Allgemeinheit, für das Allgemeinwohl, verpflichtet sind".
Verzweifelte Schutzsuchende sind damit offenkundig nicht gemeint. Der Vater zweier Söhne stellt sich in die Tradition jener ParteifreundInnen, die seit Jahrzehnten versuchen, Flüchtlinge mit herzlosen Botschaften abzuschrecken. Loreks Spruch "Wir sind am Limit" liegt so nah am verhetzenden "Das Boot ist voll" der RechtspopulistInnen, dass ein Aufschrei durch die Grünen hätte gehen müssen. Allein: In acht Wochen ist Bundestagswahl. Winfried Kretschmann äußert sich zu diesem und jenem in den Sommerferien, am heiklen Migrationsthema will er lieber nicht rühren, die Versprechen im Koalitionsvertrag hin oder her.
Eine "humanitäre, pragmatische, verantwortliche und geordnete Flüchtlingspolitik" hatte sich die neue Landesregierung in ihrem zweiten Koalitionsvertrag vorgenommen. Das war Anfang Mai. Drei Monate später ist Loreks Ausrutscher vom angeblichen "Limit" in Baden-Württembergs Flüchtlingsheimen nicht einmal eine öffentliche Distanzierung wert – von keinem der beiden Koalitionspartner. Dabei wird die verheißene Neuausrichtung der Migrationspolitik regelrecht torpediert. Besonders entlarvend ist der Exkurs des früheren Streifenpolizisten Lorek, der bis zum Polizeioberrat aufstieg, an die litauische Grenze. Dorthin fliege Weißrussland mittlerweile gezielt Menschen etwa aus dem Irak ein: "Da werden Menschen von einem Machthaber gezielt als Waffe und als Rache für die EU-Sanktionen eingesetzt." Dabei ist es doch die europäische Allianz der Aufnahmeunwilligen, zu der anders als 2015 und in den darauf folgenden Jahren inzwischen auch die Bundesrepublik gehört. Mit ihrer Abschottungsstrategie ermöglicht sie es, dass Menschen solche "Waffen" werden.
Grüne wollen Bleiberecht nach drei Jahren
Am schlimmsten ist, dass Lorek für sich in Anspruch nehmen kann, auf der Linie beider Unionsparteien zu liegen. Denn laut deren Bundestagswahlprogramm muss es "vorrangiges Ziel der Flüchtlings- und Asylpolitik sein, Menschen in ihrer Heimat oder in deren Nähe Lebensperspektiven zu eröffnen". Und weiter: "Wir sprechen uns für die Einrichtung von europäisch verwalteten Entscheidungszentren an den EU-Außengrenzen aus, in denen geprüft werden soll, ob ein Asylanspruch vorliegt oder nicht."
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Philipp Horn
am 11.08.2021