Die erste Nagelprobe für die CDU steht an. Die Aktion Bleiberecht hat publik gemacht, dass im Laufe der Woche Menschen nach Afghanistan, nach Sri Lanka und vom Baden-Airpark nach Albanien abgeschoben werden. Abgesehen davon, wie verantwortbar oder gar mit christlichen Maßstäben zu vereinbaren derartige Aktionen überhaupt sind – das jetzt zuständige Justizministerium muss die Listen der Betroffenen ausnahmslos vorher noch einmal kontrollieren. Denn im Koalitionsvertrag steht der Satz "Die Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen lehnen wir ab", und der lässt offenkundig keinen Interpretationsspielraum mehr zu.
Wie so manch anderes auch. Schon in den Sondierungsgesprächen hatten die Grünen deutlich gemacht, dass das jahrelange Hin und Her um das Bleiberecht ein für alle Mal beendet werden müsse. "Gut integrierte Geflüchtete" sollen endlich dauerhaft in Baden-Württemberg bleiben dürfen, dank einer "humanen, verantwortungsvollen, rechtstaatlichen und pragmatischen Flüchtlingspolitik". Und auf Bundesebene will Grün-Schwarz nicht länger in die Stimmenthaltung ausweichen, sondern Bleiberecht und Beschäftigungsduldung erweitern. "Viele Geflüchtete, die in den vergangenen Jahren nach Baden-Württemberg gekommen sind, sind heute gut integriert", heißt es im Erneuerungsvertrag, "sie laufen jedoch Gefahr, am Ende ihres Asylverfahrens doch noch abgelehnt zu werden." Wenn diese Menschen plötzlich gehen müssten, sei "das ein herber Schlag für sie persönlich und ein Verlust für unsere Gesellschaft, und das wollen wir vermeiden".
Noch konkreter ist der Absatz, der sich mit dem humanitären Engagement und den vielen Initiativen in Baden-Württemberg befasst. Mit diesem Engagement werde "die Bereitschaft gezeigt, Geflüchtete aufzunehmen, die auf den griechischen Inseln leben, die aus Seenot gerettet wurden oder in den Flüchtlingslagern vor den Toren Europas ausharren". Bisher hatte es die CDU verweigert, selbst den eigenen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern entgegenzukommen, die Menschen in Notsituationen aufnehmen wollten. Drei Dutzend Städte, Gemeinden und Kreise im Land haben sich zu Sicheren Häfen erklärt. Jetzt will die neue grün-schwarze Landesregierung einen anderen Kurs einschlagen und "im Einvernehmen mit dem Bund ein entsprechendes Landesaufnahmeprogramm umsetzen".
CDU plötzlich handzahm
Schon während der Sondierungen und erst recht bei den förmlichen Verhandlungen über die Regierungsbildung zeigten sich Grüne durchaus verwundert über das Entgegenkommen der Schwarzen. Für die CDU leitete Nina Warken, die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag, die "Arbeitsgruppe 07 Gesellschaft und Integration". Sie hatte beharrlich "einer konsequenten Rückführung ausreisepflichtiger Personen" das Wort geredet und "einer besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (…), damit Menschen ohne Aufenthaltsrecht in ihre Heimat zurückgeführt werden können". Genau diesen Geist atmet aber das grün-schwarze Abkommen gerade nicht. "Das Land wird künftig alle Möglichkeiten nutzen", heißt es sogar in der Präambel, "um gut integrierten, geduldeten Flüchtlingen ein Bleiberecht zu ermöglichen."
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R.Gunst
am 10.06.2021