Das Vorgehen ist einfacher kaum vorstellbar: In allen 16 Innenministerien melden jene Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen wollen, ihre Unterbringungs– und Betreuungskapazitäten. Die Zahlen werden addiert, der Bundesinnenminister legt das entsprechende Kontingent fest, wenige Tage später fliegt die Bundeswehr die ersten Kinder, Jugendlichen oder Familien ein. Subsidiäre Flüchtlingspolitik könnte das Schlagwort sein und gerade diejenigen zufriedenstellen, die sonst unermüdlich jammern, dass die Europäische Union so viele Kompetenzen an sich zieht, anstatt die nachgeordneten Ebenen vor Ort entscheiden zu lassen.
Jetzt haben sich mehr als 200 BürgermeisterInnen und Stadträte an die Bundeskanzlerin gewandt, nachdem sich zwar einschlägige Schreiben an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf dessen Schreibtisch stapeln, aber nichts gebracht haben. Schon vor zwei Wochen appellierte Stuttgarts grüner OB Fritz Kuhn an den Christsozialen, "den Menschen schnell und unmittelbar zu helfen". In dem Offenen Brief an Angela Merkel erinnern die VertreterInnen der Kommunen daran, dass viele Städte immer wieder ihre Hilfsbereitschaft bekräftigen angesichts der verheerenden Zustände in den griechischen Lagern: "Wir möchten einen humanitären Beitrag zu einer menschenwürdigen Unterbringung der Schutzsuchenden in Europa leisten. (…) Wir sind bereit, Menschen aus Moria aufzunehmen, um die humanitäre Katastrophe zu entschärfen. (…) Lassen Sie uns den Menschen aus Moria die Würde zurückgeben, die ihnen anderswo genommen wurde."
Es könnte so einfach sein
Allein in der in diesen Tagen vielbeschriebenen "Seebrücke" sind fast 150 Kommunen aus allen Bundesländern außer Sachsen organisiert. Regelmäßig werden Aufrufe und Infos veröffentlicht, aktuell dazu, wie die griechische Polizei am vergangenen Wochenende NGOs an der Essensausgabe im Moria-Nachfolge-Lager Kara Tepe hinderte. Die Vereinigung kämpft auch um Subsidiarität, also um die Verlagerung von Zuständigkeiten nach möglichst weit unten, und darum, dass "eine solidarische Migrationspolitik von den Kommunen ausgeht". Denn die enge Abstimmung mit der Zivilgesellschaft vor Ort sorge für die demokratische Legitimation einer solidarischen und offenen Politik: "So können wir erreichen, dass die Aufnahme von Menschen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und angenommen wird."
Hören will aber nicht nur Seehofer nicht, die 14 Landesregierungen, darunter neun mit grüner und acht mit SPD-Beteiligung, stellten sich ebenfalls taub. Sang- und klanglos ging im Bundesrat ein Vorstoß aus Berlin und Thüringen unter, allen guten Argumenten zum Trotz, die sonst in jeder Föderalismus-Debatte zum Standard-Repertoire von MinisterpräsidentInnen gehören. "Landesaufnahmeprogramme", so der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD), der selber nach dem Brand in Griechenland war, "geben den Bundesländern Handlungsspielräume und Eigenverantwortung". Landesaufnahmeprogramme könnten "gelebte Solidarität" sein, gerade weil es in derart vielen Kommunen große Hilfsbereitschaft gebe.
Konkret sollte aus dem im Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes verlangten "Einvernehmen" mit dem Bund das "Benehmen" werden, also eine Absprache, bei der keine Seite das alleinige Sagen hat. Aus gutem Grund: Der rot-rot-grüne Senat in Berlin wollte 300 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in eigener Regie aufnehmen. Seehofer stoppte das Vorhaben mit dem Hinweis auf eben jenes Einvernehmen, das in Wahrheit einem Vetorecht des Bundes gleichkommt.
Länder wollen nicht
Um das unrühmliche Ende vorwegzunehmen: Keine andere Regierung konnte sich für die Idee erwärmen, einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Ausweitung der Länderkompetenzen über den Bundesrat in den Bundestag einzubringen. Gerade mal vier Redner ergriffen das Wort, darunter – ablehnend – Familien- und Integrationsminister Joachim Stamp aus NRW, dessen FDP bei anderen, speziell wirtschaftspolitischen Fragen gar nicht genug werben kann für Wettbewerbsföderalismus. In der Flüchtlingspolitik ist alles anders: Zwar kritisiert der Liberale pflichtschuldigst die Bundesregierung, die nicht genug tue. Es könne aber nicht sein, dass, "weil es Initiativen aus der Zivilgesellschaft gibt, die Flüchtlingspolitik regionalisiert wird".
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Steiner
am 25.09.2020