Als es wieder einmal um die Diskussion über Flüchtlinge ging, sagte ein Bekannter zu mir: "Du bist unser Anwalt hier. Sag ihnen, was sie mit uns machen." In solchen Situationen komme ich mir ziemlich privilegiert vor (das passiert nicht so oft in Europa).
Als Privilegierter über Unterprivilegierte zu schreiben, funktioniert nur, wenn man die Perspektive wechselt, also die Welt mit den Augen der Betroffenen betrachtet. Deshalb möchte ich mit einer Geschichte beginnen, die für viele Geschichten von Flucht aus Afrika steht. Sie ist Gegenstand eines Romanprojektes, an dem ein Freund arbeitet. Es ist die Geschichte eines kleinen Dorfes in meiner Heimat, Senegal.
Vor fünf Jahren taten sich 48 Jugendliche und junge Männer zusammen und beschlossen, ein Boot zu bauen. Sie kamen alle aus demselben Fischerdorf am Atlantik und wollten sich nicht auf die einschlägigen Seelenverkäufer verlassen. Nach monatelanger Arbeit stachen sie in See, Richtung Spanien. Am Strand war das ganze Dorf versammelt, denn jede Familie hatte mindestens ein Mitglied unter der Besatzung. Das Boot kam in Europa nie an. In dem Dorf wurde kein Fest mehr gefeiert: keine Hochzeit, keine Taufe, nichts, was Anlass zur Freude ist. Es ist ein traumatisiertes Dorf.
Interessanter als die Frage, was sie in Europa wollten, ist die Frage, wie sie auf die Idee kamen: Warum dieser kollektive Aufbruch?
Einige Jahre zuvor hatte die EU Fangrechte für senegalesische Gewässer gekauft. Was das für die einheimischen Fischer bedeutet, kann man an folgenden Zahlen sehen: Der Fang eines europäischen Schiffes entspricht dem, was ein senegalesischer Fischer fängt, wenn er jeden Tag mit seinem Boot rausfährt, und das 55 Jahre lang. Die Existenzgrundlage ganzer Dörfer wurde mit diesem Abkommen zerstört. Ähnliches erleben die lokalen Bauern und Viehzüchter.
Festung Europa statt nachhaltiger Migrationspolitik
Würden die europäischen Entscheidungsträger ihre Politik ändern, wenn sie wüssten, welche Folgen sie hat? Das fragte ich mich, als der Autor mir von seinen Motiven erzählte. Denn er sagte: "Ich möchte diese Geschichte erzählen, damit die Europäer verstehen, warum die afrikanische Jugend ihr Leben aufs Spiel setzt."
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!