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Vernetzt gegen rechts

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Von der FDP-Stadträtin bis zum anarchistischen Notfallarzt – beim "Offenen Forum gegen Rechts" kamen am Wochenende Menschen eines ungewöhnlich breiten Spektrums zusammen. Ihr Ziel: gemeinsam gegen Menschenfeindlichkeit.

Der eine war noch nie auf einer Demonstration, beschreibt sich selbst als "eigentlich recht zufriedenen" CDU-Wähler vom Land, aber die AfD findet er ekelhaft. Eine andere hat neulich protestiert gegen die homophobe "Demo für alle" in Stuttgart und fand dort eine Aktion besonders spitze: Ein paar Mädchen haben sich blaue Ballons geschnappt, einige Jungs rosane, um sich gegen die alberne Steinzeit-Zuordnung von Geschlecht und Farbe zu wehren. Wieder andere haben dafür zwar große Sympathien, befürworten aber eine härtere Gangart im Kampf gegen die Neue Rechte.

Michael Wilk leitet den Workshop über Formen des Protests. Er will nicht zwischen gutem und schlechtem Widerstand unterscheiden. Für den Frankfurter Arzt und Aktivisten ist vor allem entscheidend, dass Menschen überhaupt aktiv werden gegen Diskriminierung, Nationalismus und autoritäre Denkmuster. Wilk spricht sich dafür aus, sich nicht nur gegen AfD, Pegida und Identitäre Bewegegung zu engagieren, also nicht nur gegen den harten Kern des Rechtsextremismus, sondern gegen alle Formen von Rassismen. Und die ließen sich auch in der regierenden Politik erkennen, in Deutschland wie in Europa. "Beispiel Frontex", sagt Wilk und verweist auch auf deutsche Waffenlieferungen an kriminelle Vereinigungen in Libyen, um Flüchtende bereits in Afrika von Europa fernzuhalten. "Ich habe nie verstanden", sagt der Mediziner, "warum ein Deutscher mehr wert sein soll als ein Mensch, der einer anderen Nationalität angehört." Insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit empfinde er diese Mentalität als erbärmlich.

Seit 2014 ist der unabhängige Notfallarzt Wilk mehrfach nach Syrien gereist und hat dort Verletzte unter schwersten Bedingungen versorgt. Als anarchistischer Autor, der jede Herrschaftsform ablehnt, empfiehlt er in seinen Schriften emanzipatorische Strategien. Eine logische Konsequenz: Er will niemanden bevormunden, welche Protestform die richtige für ihn oder sie ist. Viel wichtiger sei, hier nebeneinander vielfältige Aktionsformen zu akzeptieren und gemeinsam gegen alle Arten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Unterdrückung vorzugehen.

Das gelingt an diesem Samstag gut. Die Diskussionen verlaufen nur selten dogmatisch, viele Positionen dürfen nebeneinander stehen bleiben. Das Spektrum der engagierten Mitdiskutanten reicht von AktivistInnen des linken Zentrums Lilo-Hermann im Stuttgarter Westen bis zur FDP-Stadträtin Sibel Yüksel. Insgesamt sind zum Offenen Forum gegen Rechts gut 100 Menschen in den Württembergischen Kunstverein gekommen.

Keine Schrecksekunde bei Alltagsrassismus

Beim Schwerpunkt Protestformen berichten AktivistInnen von "Stuttgart gegen Rechts", wie sich Netzwerke und Strategien gegen rechts aufbauen lassen. Gewerkschafter Jonas Weber von der Initiative Stammtischkämpfer*innen informiert über mögliche Umgangsformen mit Alltagsrassismus und xenophoben Plattitüden. Seine These: Der Stammtisch ist inzwischen überall. In der Straßenbahn, auf der Arbeit, im Bio-Laden, manchmal sogar im engen Bekanntenkreis. Überall macht sich der Rechtsruck in der Republik bemerkbar. "Hier wollen wir ansetzen und Menschen in die Lage versetzen, die Schrecksekunde zu überwinden, Position zu beziehen und deutlich zu machen: Das nehmen wir nicht länger hin!", sagt die Initiative mit bundesweit 8744 AktivistInnen über sich selbst.

In dieser Arbeitsgruppe ruft FDP-Stadträtin Yüksel dazu auf, den Fokus nicht zu sehr auf rechts gegen links zu verengen, sondern auf die Achsen demokratisch gegen anti-demokratisch. Das wiederum wollen viele so nicht stehen lassen. Die Kategorien rechts und links ließen sich nicht allein durch den Umgang mit Migranten definieren, sondern insbesondere durch Sozialpolitik. Und hier habe der Sparkurs und die damit einhergehenden Verwerfungen auf den Gebieten der Altersvorsorge, beim Arbeitsrecht und dem Arbeitslosengeld, bei Gesundheit und Pflege, der Bildung und auf dem Wohnungsmarkt einen Nährboden geschaffen für das Erstarken populistischer Bewegungen.

So sieht das auch der linke Stadtrat Tom Adler, der neben Yüksel als einziger aus dem Stuttgarter Gemeinderat vor Ort ist. Der "sozialen Demagogie der programmatisch neoliberalen AfD und ihrer Selbstinszenierung als Protestpartei der Abgehängten und Bedrängten" will er, etwa beim Thema Wohnen und Mieten, eine "verbindende Klassenpolitik" entgegensetzen: "Wir müssen den Rechten die Ansatzpunkte streitig machen und diesen Nährboden austrocknen."

Der Journalist und Kolumnist der "Stuttgarter Nachrichten" Joe Bauer hat das Forum mitorganisiert. Er ist davon überzeugt, dass wesentliche Teile der Gesellschaft "den Ernst der Lage noch nicht begriffen haben, angesichts faschistoider Entwicklungen in Europa". Eigentlich wünscht er sich in Stuttgart – wie in München und Berlin – Zehntausende, die gegen Hass und Hetze auf die Straße gehen. Aber auch wenn das in der baden-württembergischen Landeshauptstadt bisher noch nicht klappe, vertrete er die Ansicht: "Etwas tun ist besser als nichts tun."

In Gesprächen erhoffen sich viele Anwesende Schneeballeffekte: dass engagierte Menschen für ihre Überzeugungen einstehen, diese weitertragen und damit andere ermuntern, ebenfalls aktiv(er) zu werden. Ein erster Schritt wurde am Wochenende getan. "Über 30 Menschen", teilt Bauer mit, "haben sich zusammengefunden, um in Stuttgart eine Ortsgruppe der Stammtischkämpfer*innen zu gründen." Das ist mehr als die Hälfte der Workshop-Teilnehmer und "mehr als nix". Und es geht weiter: Noch vor den Kommunalwahlen im Mai 2019 soll es ein drittes Offenes Forum geben.


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2 Kommentare verfügbar

  • Erhard Korn
    am 07.12.2018
    Antworten
    Gute Initiative von Joe Bauer!
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