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Mützen, Buttons, keine Furcht

Mützen, Buttons, keine Furcht
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Seit fast zwei Jahren gehen die "Omas gegen Rechts" in Österreich auf die Straße und kämpfen gegen die FPÖ. Damit ihre Enkelkinder eine gute Zukunft haben. Mittlerweile bringen sich auch Großmütter in Deutschland in Stellung. Ihre Anführerin lebt in Nagold im Schwarzwald.

In Österreich demonstriert Anfang 2018 eine noch recht unbekannte Bewegung gegen den FPÖ-lastigen Akademikerball in Wien. Sie nennen sich die "Omas gegen Rechts". "Wenn man länger lebt, als man nützlich ist", twittert daraufhin der Salzburger Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung. Seine Oma würde sich für diese Frauen schämen.

Das ist der Moment, an dem es Anna Ohnweiler so richtig reicht. Sie liest diesen Tweet und denkt sich: "Das geht gar nicht. Da muss man was machen." Sie setzt sich an ihren PC und eröffnete am 27.1.2018, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, die Facebook-Gruppe "Omas gegen Rechts Deutschland" – in Absprache mit den Original-Omas aus Österreich, denn die haben's erfunden. Markenzeichen: selbstgestrickte "Pussyhat"-Mützen, weiße Buttons, keine Furcht. "Die wahrscheinlich eigenwilligste Protestbewegung, die sich in dem Land je formiert hat", schreibt "Die Zeit". Die "Hamburger Morgenpost" nennt sie die "Klare-Kante-Omis".

Anna Ohnweiler lebt ganz oben auf einem Berg in Nagold, einer Stadt, die zuletzt breit in den Medien war, als dort ein evangelikaler Lehrer eine homophobe Petition gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan ins Netz gestellt hat. Aus ihrem Wohnzimmerfenster sieht man über die Stadt, wie sie sich ins Tal schmiegt, unter dem anderen Fenster beginnt der Schwarzwald. Da wollte die Stadt mal eine Straße lang bauen, um den Ortsteil anzuschließen, erzählt Ohnweiler, die Anwohner sammelten Unterschriften dagegen und der Besitzer des Waldstücks hat ein Naturschutzgebiet aus seinem Land gemacht. Vorbei mit Straße. Ohnweiler grinst. "So geht Politik."

So geht Politik: Ceaușescu, Böll und Birnenkuchen

Sie hat einen Birnenkuchen gebacken, serviert Kaffee aus einer weißen Kanne mit blauem Muster, "denn wenn schon Oma, dann stilecht". Sie bewahrt mit dem Finger den Kannendeckel vor dem Absturz und lässt den Kaffee aus dem dünnen Kannenhals in die Tassen fließen.

Ohnweiler ist 68 Jahre alt, seit drei Jahren Rentnerin, aber eine, die immer etwas tun muss, "sonst würde ich an meiner Energie ersticken". 2015 dachte sie, dass Deutschland endlich ein freundliches Gesicht zeigt. Zwei Jahre später sind die meisten europäischen Länder voller Rechtspopulisten und Hunderte Kilometer neue Zäune durch die Landschaft gezogen worden, wo über die Fundamente der alten grade mal Gras gewachsen war.

Von den Eltern und Großeltern weiß sie, was der erste und der zweite Weltkrieg angerichtet haben. Sie wächst in Rumänien auf, eine wilde Jugendliche, dann eine rebellische Frauenrechtlerin, die unter dem Stalinisten Ceaușescu immer wieder aneckt. Sie wird Lehrerin, ihre Diplom-Arbeit schreibt sie über den Humanitätsgedanken bei Heinrich Böll. 1979 verlässt sie Rumänien mit ihrem Mann, das Land habe ihr "die Luft zum Atmen genommen".

Anfang der Neunziger, als der Identitäre mit dem frechen Tweet noch in die Windeln macht, arbeitet Anna Ohnweiler schon seit mehreren Jahren für das christliche Jugenddorf Altensteig, später wird sie dessen Schulleiterin werden, übernimmt noch ein zweites Jugenddorf, pendelt täglich mehr als 80 Kilometer. Vor 20 Jahren ist sie in die CDU eingetreten. Sie wurde in den Vorstand des Kreisverbands der Frauenunion gewählt, 2004 kandidierte sie für die Europawahl. Heute fragt sie sich, wie ihre Partei so – sie kreuzt die Finger – sein könne mit der CSU eines Markus Söder, der das Wort "Asyltourismus" in den Mund nimmt. Das regt sie auf.

Und Anna Ohnweiler kann sich ganz herrlich aufregen. Über ihre eigene Partei, die junge Familien vernachlässigt, über die SPD und ALG II – "Und dann nennen sie es auch noch Hartz!" – sie schlägt die Hände vors Gesicht, reißt die Arme hoch und die Augen auf. Vor allem kann sie sich aufregen über die Rechten von der AfD. Gegen die will sie was tun als "Oma gegen Rechts": "Damit die jungen Leute diesen Rattenfängern nicht auf den Leim gehen. Denn wenn CDU und SPD noch mehr verlieren und die bürgerlichen Parteien keine Koalitionen mehr bilden können und die AfD in der Regierung wäre – stellen Sie sich das mal vor! Hitler wurde auch mal demokratisch gewählt! Noch Kaffee?"

Oma-Rave für den Widerstand

Als sie zur Bundestagswahl Wahlkampf für die CDU gemacht hat, sei sie über die Dörfer im Schwarzwald gefahren, die gepflastert waren mit AfD-Plakaten und dem Spruch "Wir holen uns unser Land zurück". "Da hab ich auf den Höfen angehalten und die Bauern gefragt: Fehlt euch Land? Ist euch was weggekommen?" Die Ehe für alle hat sie schon häufig verteidigt. Homosexuelle seien lange genug gedemütigt worden. "Denkt ihr, dass es weniger Ehepaare aus Mann und Frau gibt, wenn auch gleichgeschlechtlich geheiratet werden kann?", fragt sie oft, vor allem Russlanddeutsche, die seien konservativ, klar, "aber ich verstehe nicht, warum sie AfD wählen. Ich weiß gar nicht, was ich mit ihnen machen soll". Unwissen lässt sie nicht gelten. "Wenn man das Parteiprogramm liest, müsste einem doch ein Lichtlein aufgehen!"

Auf einem Tisch am Fenster zum Wald stehen Fotos von ihrem Sohn, der Tochter und den drei Enkelkindern, zwölf Jahre, sechs und drei, für deren Zukunft kämpft sie. Eine bunte Zukunft, aus vielen Nationen, mit vielen Hautfarben, mit gleichgestellten Frauen und anständiger Ausbildung für Geflüchtete.

Anna Ohnweiler ist nicht das, was man sich unter einer "Oma" vorstellt. Sie war jahrzehntelang in führender Position, sie ist es gewohnt, zu delegieren, zu organisieren, eine Frau mit gewachsenem Standpunkt, die so schnell nichts umwirft. Wie die alte Winterlinde in Horb, die sie als Profilbild bei Facebook verwendet, weil auch dieser Baum eine Oma ist.

"Wenn man Oma" googelt, dann kommt man bei Apfelstrudel und Häkeln raus, sagt Monika Salzer, "aber wir wollen diesem Klischee nicht mehr entsprechen!" Salzer ist 70 und die Mutter der Bewegung "Omas gegen Rechts". Salzer ist in Wien bekannt als Kämpferin, eine mit einem dicken Schädel, dem nur die wenigsten Wände standhalten. Sie ist Psychotherapeutin, war evangelische Pfarrerin, die dafür stritt, dass evangelische Pfarrerinnen in Österreich endlich heiraten durften wie ihre männlichen Kollegen. Eine in der Wolle gefärbte Feministin, die die Faust reckt, seit sie 20 ist – gegen Diskriminierung aller Art, für Frauenrechte, für einen gerechten Sozialstaat, gegen Rechts und aktuell für die Zukunft ihrer Enkel, damit die nicht in einer "gelenkten Demokratie wie bei Orbán aufwachsen".

"Rechts bringt uns in den Krieg", sagt sie laut: "Der Hut brennt wirklich!" Sie spricht ohne Manuskript, druckreif, vor dem Publikum beim Attac-Kongress am Freitag in Böblingen bei Stuttgart. "Regts euch doch auch mal auf!", ruft sie dem Publikum zu, in bestem Wiener Schmäh. Kürzlich sei sie auf einer Demo gewesen, auf denen "Riesenwasserwerfer gegen ein paar 100 Studenten" eingesetzt wurden, "und alle drei Meter saß ein Polizeihund mit Polizist. Ich dachte, ich sehe nicht richtig!", empört sie sich. Mittlerweile hat sie eine Menge Erfahrung: Die "Omas gegen Rechts" sind im Dauereinsatz, manchmal haben sie einmal die Woche einen Termin, manchmal jeden Tag.

Und hinter uns das Höllenfeuer

Im November 2017 hat Salzer die Bewegung gegründet, beim Fotos sortieren kam ihr die Idee. Fotos von ihrer Mutter, ihrer Großmutter, Feministinnen und Frauenrechtlerinnen in einer Zeit, in der das nur sehr wenige waren. Aus Bewunderung hat sie die "Omas gegen Rechts" gegründet. "Die Oma war bisher keine politische Kategorie", sagt Monika Salzer. Das ändere sich aber gerade.

Um ihre Omas in die Presse zu bringen und bekannt zu machen, setzten sich Salzer und ihre Mitstreiterinnen bei einem Demo-Zug direkt an die Spitze, "noch vor den Schwarzen Block", erzählt sie später bei Börek-Häppchen und Weißwein. "Wir sind im Gänsemarsch durch diese Jungen durch und haben gesungen – 'Omas vor! Omas vor!' – und dann waren wir ganz vorne. die Bilder in der Zeitung waren großartig. Vorne die Omas und hinter uns das Höllenfeuer."

Nach kurzer Zeit hat ihre Facebook-Gruppe schon mehr als 1000 MitgliederInnen, mittlerweile sind es mehrere Tausend Sie sind in einem Verein organisiert, es gibt Regionalgruppen in Oberösterreich, Niederösterreich, Tirol, Wien, Kärnten. Salzer hat ein Oma-Lied gedichtet und ein Manifest geschrieben. Es gibt einen Oma-Rave, eine "Schule des Ungehorsams" in Linz, bei der Vienna Art Week sind die Omas mit eigenem Programm vertreten. Es gibt ein Video von Monika Salzer zum Frauentag 2018, sie hält eine Ansprache, neben ihr der Wimpel der "Omas gegen Rechts" und eine gereckte Faust mit einem der roten Oma-Mützchen. Eine Oma hat Zeit für Politik, hat Lebenserfahrung, sei nicht mehr auf eine Arbeit angewiesen und könne sie damit auch nicht mehr verlieren, sagt sie. "Omas haben keine Angst mehr, das ist unser Vorteil."

26 Regionalgruppen gebe es bisher in Deutschland, sagt Anna Ohnweiler aus Nagold. Die jüngste in Karlsruhe. Die "Admina" von "Omas gegen Rechts" in Berlin sei erst vor kurzem zu Besuch gewesen, es gibt eine Gruppe in Paderborn, in Chemnitz, in Kandel, wo die baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum immer wieder mit "Kandel ist überall!" gegen Geflüchtete aufmarschiert. "Kandel, das ist eine ganz wichtige Gruppe", sagt Ohnweiler. "Oma ist kein Familienstand, sondern eine Haltung", haben sich die dortigen Frauen auf die Fahnen geschrieben.

Am selben Tag, an dem Anna Ohnweiler in Nagold ihre Facebook-Gruppe aufmachte, eröffnete auch Gerda Smorra, eine bunte Lehrerin in Rente, bei Facebook die "Omas gegen Rechts" in Bremen. Ohnweiler und Smorra telefonierten noch am selben Tag. "Weißt du Gerda, das ist jetzt was Großes", sagte Anna Ohnweiler zu ihr, da erinnert sie sich noch gut dran. "Wir sind zwar Omas, aber es fühlt sich jung und spritzig an", sie grinst verschmitzt. "Nehmen Sie noch ein Stück Birnenkuchen! Ich bin froh, wenn er weg geht."


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1 Kommentar verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 14.11.2018
    Antworten
    Danke für diesen herausragenden Beitrag über diese bewundernswerten Frauen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es ! Denn:. Die braunen Fluten der rechtsextremen Fake-Medien verwüsten unser Land und bereiten den Boden für eine neue Schandzeit.
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