Zehn Jahre schon ist Stephan Neher Oberbürgermeister in Rottenburg am Neckar. Bei Antifaschisten wie dem ehemaligen Stadtrat Albert Bodenmiller hat er sich in dieser Zeit nicht gerade beliebt gemacht, hat er doch dem dort ansässigen rechtspopulistischen Kopp-Verlag sogar ein Grundstück der Stadt verkauft. Und, was vielleicht noch schwerer wiegt, nie klare Kante gezeigt gegen diesen Verlag, der seit vielen Jahren Hetze gegen Geflüchtete und Muslime ins Land bläst. Und das, so argumentierte Bodenmiller immer wieder, obwohl Rottenburg doch eine Bischofstadt sei und Eugen Bolz, der sein Leben im Kampf gegen die Nazis geopfert habe, ein Ehrenbürger.
Stephan Neher rollte regelmäßig die Augen, wenn der Bodenmiller wieder mit seinem Bolz ums Eck kam. Doch in den vergangenen Jahren, mit dem Aufstieg der Neuen Rechten, scheint der Widerstandskämpfer auch Neher etwas näher gerückt. In einer aktuellen Presseerklärung zur mittlerweile zweiten Anzeige durch AfD-Mitglieder wegen Beleidigung schreibt der OB: "Vielen Akteuren ist es zu verdanken, dass sich die Stadt Rottenburg klar gegen jegliche Tendenz der Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz wendet und als weltoffene Stadt wahrgenommen wird. Mir ist diese Grundeinstellung sehr wichtig, da gerade unser Ehrenbürger Eugen Bolz diese Werte verteidigte und letztendlich mit seinem Leben bezahlte". Nahezu ein originaler Bodenmiller!
Und dazu kam es wie folgt: Zu seinem zehnjährigen Dienst-Jubiläum hatte das "Schwäbische Tagblatt" aus Tübingen mit dem Rottenburger Rathauschef ein Interview geführt und nachgefragt, welche Fehler er aus seiner Amtszeit bereue. "Dass ich 3000 Euro bezahlt habe, obwohl ich sehr frühzeitig die AfD als das bezeichnet habe, was sie ist", war Nehers Antwort. Denn bei einer Feier des Rottenburger Bezirksseniorenrats sagte er, kurz vor der Europawahl 2014, vor etwa 60 Gästen, die rechtspopulistische AfD sei brandgefährlich, und dann folgende Sätze: "Man sollte nicht solchen AfD-Nazis auf den Leim gehen. Die sind schlimmer als die NPD, denn die sagt wenigstens, was sie vorhat."
Zwei Personen sahen darin offenbar eine Beleidigung, jedenfalls zeigten sie Neher an, und die Staatsanwaltschaft Tübingen nahm Ermittlungen auf, auch wegen übler Nachrede und Verleumdung. Neher wurde angeboten, das Verfahren gegen eine Geldbuße von 3000 Euro einzustellen. Zahlen wollte der aber erstmal nicht, denn, so sagte er dem "Schwäbischen Tagblatt", er habe warnen wollen vor einer Partei, "die mit den Ängsten der Menschen Politik macht".
Klare Kante gegen die AfD – aber gegen Kopp?
Damit kennt man sich aus in Rottenburg, was nicht zuletzt am Kopp-Verlag liegt: Der Verlag und seine mittlerweile eingestellte Nachrichtenseite "Kopp Online", maßgeblich unter Federführung des ehemaligen und inzwischen verstorbenen FAZ-Autors Udo Ulfkotte, waren mitunter wegbereitend für den Aufstieg der Neuen Rechten. Der dubiose Autorenkreis, der in diesem Verlag eine Plattform fand, arbeitete lange bevor es in Mode war, daran, die Grenzen des Sagbaren durch kalkulierte Tabubrüche zu verschieben. Doch während der Rottenburger OB in seiner Kritik an der AfD klare Worte findet, distanzierte er sich bis heute nie deutlich von den Machenschaften des rechtspopulistischen Verlages in seiner Stadt. Er sei Bürgermeister, Zensur dürfte nicht stattfinden, sagte Neher immer wieder. Man lebe ja im Lande der Meinungsfreiheit.
Dass diese allerdings vor allem von denen missbraucht wird, die lauthals danach schreien, um ihre rechten Parolen loszuwerden, lernte Neher schnell. Sein Anwalt hatte ihm zwecks der "AfD-Nazis" geraten, das Bußgeld zu bezahlen, weil er dem OB wenig Chancen ausrechnete, den Prozess zu gewinnen. Anwalts- und Gerichtskosten seien weitaus höher als die Geldbuße. Und hätte die AfD gewonnen, hätte sie das wohl für sich ausgeschlachtet, sagte Neher damals, so behalte er eine "weiße Weste". Schließlich zahlte er doch: Je 1000 Euro an den Förderverein für krebskranke Kinder, die Deutsche Rettungsflugwacht und den Verein Jugend und Bewährungshilfe. Inhaltlich sieht sich Neher weiter im Recht. Den Begriff "AfD-Nazis" hätte er besser vermieden, sagte er später, und sie Nationalisten nennen sollen.
9 Kommentare verfügbar
Peter Cuenot
am 28.08.2018Rottenburgs CDU-Oberbürgermeister wirft auch dem Tübinger OB. Boris Palmer, rassistisches Verhalten vor. Im Schwäbisches Tagblatt vom 24.07.2018 kann man die Entgegnung von Boris Palmer nachlesen.