In der Brand-Nacht vom 7. auf den 8. September sei sie mit anderen ehrenamtlichen MedzinerInnen zum Camp gefahren, erzählt Romy Bornscheuer. Ein kleines Auto hatten sie mit all dem vollgepackt, was sie brauchten, um Erste Hilfe zu leisten. Dann seien sie von FaschistInnen angegriffen worden, erzählt sie. "Sie sprangen auf unser Auto und bewarfen die Scheiben mit Steinen. Das war wirklich knapp, dass uns die nicht getroffen haben. Sie lagen uns praktisch im Nacken."
Als ihre Fahrerin aus dem Auto gezerrt wurde, flüchtete die kleine Helfer-Gruppe in den Wald und versteckte sich dort. Bornscheuer möchte nicht weiter über den Angriff sprechen, denn: "Uns geht es mit Abstand am besten." Sie sitzt gerade in der Notaufnahme, neben ihr zwei Frauen mit Kindern, die nach ihren Familienangehörigen suchen. "Sie wissen nicht, wie es weitergeht", sagt sie und unterbricht das Gespräch, um einer Flüchtlingsfamilie weiterzuhelfen. Zurück im Interview, das virtuell stattfindet, erklärt sie: "Ich habe schon an der syrischen Grenze gearbeitet. Ich habe schon viel Leid in meinem Leben gesehen, aber das hier ist schlimmer als alles, was irgendwie vorstellbar ist."
Die Menschen, die zuvor dicht gedrängt in Zelten, notdürftig gebauten Hütten und unter Planen gehaust hatten, schlafen nun wortwörtlich auf der Straße. Denn nur die ersten, die vor dem Brand geflüchtet sind, haben es geschafft, Lesbos' Hauptstadt Mitylini zu erreichen. Dann hat die Polizei die Straße blockiert und niemanden mehr durchgelassen. "Es gibt dort keine Toiletten, man schläft zwischen Müll und menschlichem Kot."
Bornscheuer hat bereits 2017 ein Jahr auf der Insel verbracht, um ehrenamtliche Arbeit in der kleinen Klinik vor Ort zu leisten. Im Rückblick auf den Zeitraum, den sie überblicken kann, sagt sie: "Die Situation hat sich dahingehend verändert, dass – obwohl immer noch Menschen ankommen – immer weniger Transfers ans Festland stattfinden und fast alle Asylgesuche abgelehnt werden oder überhaupt die Bitte, einen Asylantrag zu stellen."
Verschärfter Ausnahmezustand
Auch das, wovor sie und andere HelferInnen seit Monaten warnen, sei vor eineinhalb Wochen eingetreten: Corona hat das Camp erreicht. "Die Zahlen sind schnell gestiegen, 35 Fälle sind inzwischen bekannt." Es folgte ein Beschluss der Regierung, das Lager vollständig abzuriegeln; es wurde komplett unter Quarantäne gestellt, eine Mauer sollte gebaut werden. "Das gleicht einem Massenmord", meint die Medizinstudentin. "Die Menschen wurden völlig panisch. Das wurde immer schlimmer in den letzten Tagen. Es war ein absoluter Ausnahmezustand."
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