Dass parlamentarische Anhörungen nicht dröge sein müssen, belegt am Montag im Landtag Andreas Nachbaur. Als Professor an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg weiß er die Aufmerksamkeit in Auditorien hochzuhalten – nicht zuletzt mit griffigen und angriffigen Thesen. Deshalb spricht er von Vorschriften, die in Bandwurmsätze verpackt sind oder stellt sich vor, wie OrdnungshüterInnen im Einsatz erst einmal drei- oder vierseitige Textpassagen studieren müssen.
In seiner schriftlichen Stellungnahme an die FachpolitikerInnen im Innen- und im Ständigen Ausschuss versucht Nachbaur zu erklären, warum die im Gesetzentwurf erweiterten Möglichkeiten zum Einsatz von Bodycams oder zur Personenfeststellung bei Konzerten, Demos und Fußballspielen verfassungsrechtlich nicht haltbar sind. Nach dem präzisen und pointierten Vortrag im Plenarsaal zeigt sich, dass der Professor den Innenminister – und nicht nur ihn – nicht wirklich erreicht hat: Strobl, der die Anhörung mit seinem Staatssekretär Wilfried Klenk und Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz verfolgt, schenkt danach Nachbaurs Einwänden keinerlei Beachtung. "Experten haben heute bestätigt: Das Innenministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Befugnisse der Polizei maßvoll erweitert und die Änderung des Polizeigesetzes ist gut für die Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten", lässt er schriftlich mitteilen – so als wäre er gar nicht anwesend gewesen.
Auch Siegfried Lorek, der Waiblinger CDU-Abgeordnete und selbst Polizist, kümmert sich lieber nicht um verfassungsrechtliche Bedenken, sondern um den Professor persönlich. Über dessen ablehnende Haltung zur Bodycam habe er "bereits in einem Aufsatz in der SPD-Mitgliederzeitschrift im Jahr 2018 gelesen". Selbst von ihm, dem Polizeirat mit 25 Jahren Erfahrung, kommt kein einziges Wort als Antwort oder gar zur Entkräftung der Kritik.
Rechtsexperte ist traurig
Dabei sind nicht weniger als fünf der zehn geladenen Sachverständigen Skeptiker, warnen davor – sehenden Auges und angesichts der Rechtsprechung – den Bruch der Verfassung zu riskieren. Mark Zöller von der Uni Trier hat mehrere einschlägige Gesetzesnovellen in der Republik beratend begleitet. Er nennt die Passagen zum Pre-Recording, also der 60 Sekunden, die bei der endgültigen Aktivierung der Aufzeichnung nicht gelöscht werden, und den Einsatz von Kameras in Wohnungen grundsätzlich "die deutlich misslungenste Regelung, die mir bislang begegnet ist". Das stimmt ihn nach eigenem Bekunden "ein bisschen traurig, aber ich muss es so sagen". Denn sie seien "völlig unklar" und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "unzulässig".
Auch Zöller legt Wert darauf, dass er nicht im akademischen Elfenbeinturm sitzt: "Ich kann verstehen, dass es unbefriedigend ist, wenn man in Restaurants, in Spielhallen, in Bordelle nicht rein darf mit der Kamera." Aber selbst die seien vom Artikel 13 Grundgesetz erfasst, weil es darin nicht allein um Wohnungen geht, sondern um sogenannte Rückzugsräume. Und dann fällt ein Schlüsselsatz für den weiteren Umgang mit den Anhörungsergebnissen: Details seien Laien vielleicht schwer zu erläutern, "aber man muss es tun". Im Klartext: Dumpfe Empfindungen wie die, dass die Polizei doch selbstverständlich einen besoffenen prügelnden Vater und Ehemann filmen dürfen muss, oder selbsternannte oder als Wählergruppen erkannte Hardliner, dürfen nicht bedient werden. Nötig wären stattdessen sachliche Erklärungen zu den klaren rechtlichen Grundlagen und vor allem Schranken.
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w.-g. esders
am 16.09.2020