Dabei ist die Faktenbasis zum Beleg der Sinnhaftigkeit bemerkenswert schmal. So schmal, dass die Ordnungshüter sich im internen Evaluationsbericht mit schräger Prosa helfen müssen, um dem Anliegen den Anschein von richtig und wichtig zu verpassen: "Ein Polizeivollzugsbeamter berichtete von einer Situation mit häuslicher Gewalt, bei der der mutmaßliche Täter noch im Beisein der Polizeivollzugsbeamten seine Ehefrau, die gemeinsamen Kinder sowie die Polizeivollzugsbeamten massiv beleidigte, bedrohte und seinen Aggressionen freien Lauf ließ. Als er das Haus verlassen hatte, wurde sofort der Bodycam-Einsatz angedroht und durchgeführt, ab diesem Zeitpunkt war keinerlei aggressive Regung mehr festzustellen, er verhielt sich im Gegenteil fast schon überkorrekt."
Da blinken alle Alarmlämpchen in Hochfrequenz. Nur "ein Polizeibeamter" von 625, die den Fragebogen zurückschickten, konnte oder wollte mit diesem eigenen Erleben aufwarten. Für die Sache ergiebig ist sein Beitrag indessen nicht, denn so wie geschildert kann sich der Vorgang schwerlich abgespielt haben. Erst vor der Haustür und dann plötzlich mit durchschlagendem Erfolg bringt die Drohung mit der Bodycam beziehungsweise ihr Einsatz einen prügelnden Wüterich zur Räson? Wie kommt er dahin? Warum muss er noch gefilmt werden, wenn er schon abgeführt wird und das Haus verlassen hat?
Wenn schon Märchenstunde, dann mit Biss. Satire darf alles, britische erst recht, zumal auf der Insel schon seit 2005 mit zweifelhaftem Erfolg gefilmt wird: Monty Python jedenfalls würde seine zwei Policemen in den Horror einer häuslichen Gewaltszene stolpern lassen, damit sie erst einmal ihre Vorschriften aus den Hosentaschen kramen, um ausführlich zu studieren, wie sie die Kameras an den schmucken Uniformen einsetzen können – während der alkoholisierte Ehemann weiter auf seine Frau einschlägt.
Studien von der Polizei für die Polizei
Natürlich treiben Beschreibungen wie diese Polizeigewerkschaftern und allen Law-and-order-PolitikerInnen die Zornesfalten auf die Stirne, kommen der Realität aber doch näher als konstruierte Polizistenliteratur. Denn seriöse Untersuchungen zeigen, wie problematisch die Benutzung solcher Kameras im realen Alltag ist. Eine Schweizer Studie zählt "Vorfälle von häuslicher Gewalt" ausdrücklich zum "nicht sinnvollen Einsatzbereich". Zum Beispiel deshalb, weil oft "'das Ganze' schon gelaufen sei, wenn man in eine Wohnung hineingeht". Der Sachstandsbericht für die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder zum Thema blickt zurück auf den allerersten Modellversuch in Hessen im Jahr 2013 und erinnert daran, dass damals statt der üblichen zwei mindestens drei Beamte auf Streife unterwegs waren, damit "der ‚Kamerabeamte‘ in Kontrollsituationen lediglich eine passive Rolle mit dem Ziel hochwertiger Aufnahmen einnehmen kann".
Es gibt Stellungnahmen von wissenschaftlicher Seite für mehrere Landtage. Beim Einsatz der Bodycam müsse "ein entsprechend großer Abstand zu den aufzunehmenden Personen vorhanden sein", weil "immer der gesamte Körper" zu sehen sein solle, sowie "eine sehr ruhige Haltung, damit die Bilder scharf bleiben", schreibt das Kriminologische Forschungsinstitut Hannover. Die AutorInnen vergessen nicht, an den zweifelhaften Ursprung der vielen positiven Einschätzungen zu erinnern, die es landauf landab gab und die längst in zahlreiche Ländergesetze für die Anwendung der Körperkameras im öffentlichen Raum mündeten: "Medienwirksam" seien 2014 die Erfahrungen aus dem Frankfurter Stadtteil Alt-Sachsenhausen veröffentlicht worden, samt dem "Rückgang von Gewalt gegenüber Polizisten von 37,5 Prozent". Hört sich nach einer großen Zäsur an, in absoluten Zahlen entsprach das aber lediglich einer Abnahme von 40 auf 25 Fälle.
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